Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben es selbst erlebt: So vielem von dem, was heute hier gesagt wurde, konnten wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten vollauf zustimmen. Das ist ein sehr wichtiges Signal. Das ist gut so. Und das ist auch bitter nötig. Denn die jüngsten Enthüllungen über die Machtfantasien der äußersten Rechten haben nicht nur unmenschlichen Hass und schreckliche Hetze offenbart. Sie haben nicht nur Fassungslosigkeit und Empörung ausgelöst. Sondern auch enorme Unsicherheit. Und noch mehr.

Da sind Leute, die sich treffen und darüber beraten, wie bald 80 Jahre nach dem Ende der Nazizeit in Deutschland wieder Menschen selektiert werden sollen – nach ihrer Herkunft, ihrer Religion, nach der sexuellen Orientierung, nach dem Aussahen, nach ihrem Handicap oder wegen was auch immer. Da sind Leute, die reden vom „Volk“, aber sie meinen damit nicht alle Menschen in diesem Land, nicht einmal allem, die einen deutschen Pass haben. Die sagen „Volk“, aber sie denken völkisch. Und rassistisch.

Noch einmal: das schafft nicht nur Empörung. Das schafft auch Unsicherheit. Das macht Angst.

Vielleich haben Sie gelesen, was der ZDF-Moderator Mitri Sirin getwittert hat. Wie bei ihm etwas hochgekommen ist, was ihn an die schlimmsten ausländerfeindlichen Anschläge der 1980er und 90er Jahre erinnert hat, an Solingen und Mölln und Hoyerswerda. Da ist ein Mann, der von Angst spricht und das in seiner eigenen Heimat. Schon dieser Schaden ist gewaltig, er ist fürchterlich. Und es ist ein Schaden für unser ganzes Land.

Und diese Angst ist nicht übertrieben. Wir hatten das schon einmal in diesem Land, vor 1945: Eine Ausgrenzung unter deutschen Staatsbürgern, eine Diskriminierung, eine Entrechtung. Es ging auf die, die man für anders erklärte. Es kam zu Verfolgung, dann zu Vertreibung und dann zur Ermordung. Und nein, auch die Erinnerung an diese Zeit ist nicht übertrieben. Demokratie ist nicht selbstverständlich. Auf einmal kann sie weg sein.

Erich Kästner hat es so formuliert: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und es ist der Schluss meiner Rede. Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, EHE sie die Macht übernommen haben.”

1933 wollen wir NIE WIEDER haben.

Und nie wieder heißt jetzt.

Das sehen sehr viele Menschen genauso, überall in Deutschland und auch hier in Baden-Württemberg. Diese Menschen stehen auf, und sie stellen vor unsere Demokratie, vor unsere Freiheit, vor unsere Menschenrechte, die für ALLE gelten. Die Weimarer Demokratie scheiterte letzten Endes daran, dass sie zu wenig Demokraten hatte, zu wenig Menschen, die sie verteidigen. Aber das MUSS sein, denn wir können unsere Freiheit, unsere Demokratie nicht nur genießen, wir müssen sie auch erhalten. Sie verteidigen.

Heute ist anders, und wir erleben, dass so viele Menschen die Demokratie verteidigen, dass es selbst in Großstädten die Infrastruktur überfordert. All diese Menschen machen klar: Sie wollen in Frieden und Freiheit leben und nicht in einem Staat, der Menschen ausländischer Herkunft aus diesem Land vertreiben will, sogar dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Diese Menschen wollen nicht zulassen, dass Populisten uns die Ablehnung von Demokratie als Meinung der Mehrheit vorgaukelt.

Vielen, vielen Dank an all diese Menschen. Was wir in diesen Tagen erleben, ist so stark, wie wir es uns nur wünschen können. Wir wollen nun, dass zur Stärke auch die Dauer kommt. Aus dem Aufstehen muss ein Hinstehen für Demokratie und Freiheit werden. Und so lange sich die Feinde unserer Demokratie so stark fühlen, müssen wir stehenbleiben.

Darum wollen dieses Aufstehen, dieses Hinstehen unterstützen. Mit einem Bündnis für Demokratie und Menschenrechte. Mit Organisationen aus der ganzen Zivilgesellschaft, mit Gewerkschaften und der Wirtschaft, mit allen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Und mit allen demokratischen Parteien. Auch dafür an dieser Stelle herzlichen Dank.

Dieses Bündnis muss das Aufstehen im Land nicht initiieren, aber es kann helfen, diesem Aufstehen Dauer zu verleihen. Es ist soll Hilfe zur Selbsthilfe sein, und ein Signal der Gemeinsamkeit und Geschlossenheit, auch an alle, die Mitmachen. Es ist nicht wichtig, wer bei einzelnen Aktionen zuerst den Finger gehoben hat, welche Partei die erste Rednerin stellt. Es geht um den Zusammenhalt aller Demokratinnen und Demokraten.

Das Ziel ist auch kein politischer Burgfrieden. Zur Demokratie gehören die Debatte und sogar der leidenschaftliche Streit. Aber unter Demokratinnen und Demokraten streiten wir immer auf der Grundlage der freiheitlich- demokratischen Grundordnung. Wir streiten um den besten Weg FÜR unser Land. Aber die, die meinen, sie könnten aus diesem Streit Hass und Hetze lostreten, Extremismus und Diktatur, die sind GEGEN unser Land.

Die Extremisten setzen auf Verdruss. Ja, wir erleben schwierige Zeiten, viele enorme Herausforderungen. Die Leute erwarten, dass die Politik ihnen Lösungen anbietet, sie erwartet, dass man ihnen diese Lösungen auch erklärt und sie mitnimmt. Und ja, das geht besser, als es zuletzt gegangen ist, das gilt für die Politik in Berlin und nicht nur dort.

Aber zwischen der Ablehnung eines anderen Parteiprogramms und der Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung liegt eine klare Grenze. Die Feinde der Demokratie versuchen, diese Grenze zu überschreiten. Sie versprechen populistische Scheinlösungen, aber sie wollen nichts schaffen, sondern nur abschaffen: Demokratie, Menschenrechte, auch die Vielfalt, die unser Land stark macht.

Vielfalt kann anstrengend sein, eine Herausforderung. Aber Vielfalt ist für unser Land extrem wichtig. Rassismus zerstört unsere offene Gesellschaft, unseren Wohlstand, unsere Zukunft. Wir wollen diese Vielfalt, denn das Gegenteil von Vielfalt ist Einfalt.

Freiheit, Gleiches Recht für alle, eine offene, solidarische Gesellschaft – das sind keine verhandelbaren Parteiprogramme, das ist die Grundlage unseres Landes.

Jenseits davon gibt es keine Alternativen. Da gibt es nur Abgründe.

Dieses Jahr wird unser Grundgesetz 75 Jahre alt. Und das Grundgesetz beginnt mit einem ganz wichtigen Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Wir wollen zeigen: daran wird sich nichts ändern.

Dafür stehen wir.

Und dafür würden wir auch kämpfen.

Vielen Dank