Sehr geehrte Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist kein Problem, wenn man in der Politik nicht immer einer Meinung ist. Problematisch wird es, wenn der Gegenüber gar nicht mehr versteht, um was es eigentlich gehen soll. Deswegen lassen Sie mich mit der größtmöglichen Pädagogik in diese Debatte gehen.

Der Titel lautet „Minister Luchas Krisenmanagement in der Kritik“. Denn es geht eben nicht nur um unsere Kritik, sondern um Kritik, die an vielen Stellen in diesem Land zu hören ist. Und wir wollen über diese Kritik reden.

Und wir könnten jetzt Wetten darauf abschließen, ob man dieses Thema in der Regierungskoalition versteht.

Denn es geht NICHT darum, dass wir dem Minister bösen Willen vorwerfen. Wenn es nachher heißen wird, er bemühe sich doch nach Kräften, dann glauben wir ihm das sogar. Wir sind aber der Meinung, dass seine Bemühungen bei Weitem nicht ausreichen.

Wir sagen auch nicht, es werde nichts getan im Land. Es wird viel getan. Vom Bund, von den Landkreisen und den Gesundheitsämtern, von den Rathäusern.

Es wird auch viel getan von den Bürgerinnen und Bürgern, die sich wieder einmal zum allergrößten Teil mit viel Geduld und Vernunft an alle Regeln halten, so unerfreulich sie auch für uns alle sind.

Aber was vermisst wird in Baden-Württemberg, ist eine aktivere Rolle der Landesregierung. Was vermisst wird sind Führungsqualitäten, was vermisst wird, ist, dass diese Regierung so handelt, wie es erforderlich wäre. Und da bringt es eben nichts, wenn man auf den Bund zeigt und auf die Kommunen und auf die Gesundheitsämter und sagt, es laufe doch was. Wenn etwas läuft in diesem Land, dann läuft es nicht WEGEN, sondern TROTZ des Sozialministers. Und das kann so nicht sein.

Ich kann an jeder beliebigen Stelle anfangen. Warum nicht bei A wie Antigentest.

Vorige Woche hatte die Landesregierung angeblich gerade mal 5000 Schnelltests. Die Stadt Tübingen alleine hatte zu diesem Zeitpunkt schon doppelt so viele Schnelltests an ihre Pflegeheime verteilt. EINE STADT! DOPPELT SO VIELE!

Minister Lucha ist unterdessen stolz, dass er ein „Antragsportal“ freigeschaltet hat und es schon 1700 Anträge gibt. Schön. Und wer bearbeitet diese Anträge? Die Handvoll Leute, die sie bisher für die Pandemie abgestellt haben?  Jeder Landkreis in Baden-Württemberg hat einen größeren Krisenstab als das Sozialministerium.

Und da wundert es dann auch nicht, dass Sie Pflegeheimen raten, sich die Antigentests doch selbst zu beschaffen. Bayern hatte schon mehr als 500 000 Tests verteilt und über 10 Millionen Tests bestellt. Dort nimmt man die Fürsorgepflicht der Regierung offensichtlich ernster.

Wir laufen hinterher, wenn es um Corona geht, und wir können bei aller glühenden Leidenschaft für den Föderalismus gottfroh sein, dass wir wenigstens dem Bund hinterherlaufen können.

Wir werden aber bei wichtigen Fragen wie Schutzausrüstungen und Schnelltests erkennen, dass der Markt nicht immer darauf wartet, dass auch dem allerletzten Nachzügler ein Licht aufgegangen ist.

Krisenmanagement bedeutet, dass besondere Umstände auch besonderes Handeln benötigen. Anderes handeln als üblich. In anderer Entschlossenheit, mit anderer Gangart.

Im Frühjahr wurden wir von der Pandemie kalt erwischt. Das ging allen so, überall. Ausgerechnet Minister Lucha ging es anders. Er sagte, man sei bestens gewappnet, man werde „besonnen und entschlossen“ reagieren.

Und dann? Dann ging das stolpern los. Man schloss erstmal Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, später schloss man mal schnell Zahnarztpraxen, um sie gleich wieder zu öffnen. So besonnen ging es zu!

Und die Entschlossenheit? Keine Abordnungen von Personal in großem Stil, schon gar nicht über die Grenzen der Ministerien hinweg. Keine Regelungen, an die sich alle Gesundheitsämter halten könnten, keine Schaltzentralen, die diesen Namen verdient hätten.

Statt die Zügel in die Hand zu nehmen, ODER SIE IN DIE HÄNDE VON JEMANDEM ZU LEGEN, DER DAS KANN, staunt sich der Minister von Monat zu Monat durch die Krise, mit großen Kinderaugen. Und wie ein Kind hofft er, dass schon alles von alleine besser wird. Den ganzen Sommer haben wir so verschlafen, und als die lange angedrohte Zweite Welle losging, war das Land erneut so überrascht, dass die eigenen Stufenpläne in wenigen Wochen Makulatur waren. Inzidenzwerte von 35 und dann von 50. Was tun wir, wenn es über 150 sind? Daran hatte der Minister nicht gedacht. Er staunte einfach wieder.

Und wenn diese Woche gefragt wurde, wie es denn im Dezember weitergehen soll, dann hört man, es gäbe leider keine Strategie und keine Pläne, das sei nicht machbar. Minister Lucha wird wieder staunen und wieder stolpern.

Die Gesundheitsämter vor Ort werden alleine gelassen, und wenn sie mir nachher mit der Bundeswehr kommen, sage ich ihnen schon jetzt: Wenn das Land nicht mehr kann, als es NICHT ZU VERHINDERN, dass der Bund hilft, ist das wahrlich kein Grund für Eigenlob.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als 2015 Zigtausende von Geflüchteten in dieses Land kamen, war das eine gewaltige Herausforderung für die öffentliche Hand. Damals hat Baden-Württemberg gehandelt. Über Ressortgrenzen hinweg, mit klaren, einheitlichen Prozessen, mit schnellen Lösungen, um die Kommunen nicht alleine zu lassen und vor Ort schnell zu helfen. Es gab eine Krisenkommunikation, es gab eine Krisenkompensation mit Clusterbildung und neuen Zuständigkeiten, und es gab eine Krisenbeseitigung: Der öffentlichen Hand wurde es ermöglicht, wieder Herrin der Lage zu sein.

Was würde das heute bedeuten? Es würde bedeuten, dass es in Stuttgart nicht so wichtig ist, ob ein Stab für den Minister Strobl arbeitet oder den Minister Lucha, sondern das wichtig ist, welcher Stab welche Aufgabe am besten lösen kann und welche Ressourcen welches Haus hat.

Nur als Erinnerung: Formal wäre 2015 auch das Integrationsministerium zuständig gewesen, aber damals hat man in der Krise andere Prioritäten gesetzt.

Es würde auch bedeuten, dass man für jedes Gesundheitsamt klare Prozesse formuliert. Was tun wir bei einem Ausbruch in einem Verein? Was tun wir in einer Schule?

Und das würde auch eine Kommunikation bedeuten, die alle Regelungen klipp und klar und einheitlich verständlich macht. Und was heißt das? Im ganzen Land schüttelt man den Kopf darüber, dass nicht einmal klar ist, wie groß eine private Versammlung sein darf. Zehn Personen. Aber wenn es zwei größere Familien sind, gehen auch mehr? Oder genügen zwei größere Hausstände? Oder sind es immer nur zehn, egal welchen Verwandtschaftsgrad sie haben?

Sie finden momentan in der Online-Kommunikation der Landesregierung alle drei dieser Aussagen, zur gleichen Zeit.

So schaffen wir es, dass Behörden draußen im Land oft auch keine klaren Aussagen geben können. So schaffen wir es, dass unerfreuliche und unpopuläre Einschränkungen noch schwerer zu vermitteln sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ohne große Hoffnung auf Verständnis sage ich es noch einmal: Wenn es um die Bekämpfung der Pandemie geht, haben die SPD und diese Landesregierung dasselbe Ziel.

Was aber im ganzen Land kritisiert wird, und was auch wir kritisieren: Dieses Ziel müssen wir deutlich entschlossener, beherzter und professioneller angehen. Ein Minister muss nicht nur wissen, wo er hinwill, er muss dort auch hinkommen.

Wenn Sie es über diesen Berg schaffen wollen, ist es nicht genug, zu lenken. Sie müssen auch Gas geben, in den richtigen Gang schalten und Sie müssen endlich die Handbremse lösen.

Ich hoffe, Herr Minister Lucha, Sie konnten das verstehen.

Vielen Dank

Es gilt das gesprochene Wort

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik