Redemanuskript Sascha Binder
Regierungsinformation zum Sicherheitsbericht 2018

am 3. April 2019

Gleich zu Beginn Ihrer Rede betonen Sie die Bedeutung des Sicherheitsberichts für die Transparenz und den direkten Diskurs. Der Sicherheitsbericht informiere umfassend über die Sicherheitslage im Land. Im Positiven, wie auch bei Problemstellungen. So weit so gut. In Ihrer Rede (Anmerkung: bezieht sich auf die am Montag versendete schriftliche Fassung) allerdings sagen Sie äußerst wenig zu den Punkten, bei denen wir Verbesserungsbedarf sehen. Die Zunahme von Aggressionsdelikten im öffentlichen Raum fällt beispielsweise völlig unter den Tisch, die angestiegenen Sexualdelikte werden in wenigen Sätzen abgehandelt.

Stattdessen rühmen Sie sich dafür, dass wir bundesweit Spitze sind. Auf Fragen von Journalisten in der Pressekonferenz zur Vorstellung des Sicherheitsberichts, wie Sie diese Aussagen belegen können, blieben Sie eine Antwort schuldig mit Verweis darauf, dass andere Länder ihre Polizeiliche Kriminalstatistik zum Teil noch nicht vorgestellt hätten und es dadurch noch kein vergleichenbares Zahlenmaterial gebe.

  1. Sonderstab „Gefährliche Ausländer“
  • Selten war ein Konzept erfolgreicher“, so beschreiben Sie den Sonderstab „Gefährliche Ausländer“.
  • Wir wissen nur, dass der Sonderstab von seiner Gründung im Jahr 2018 bis heute 57 Fälle erfolgreich abgeschlossen hat.
  • Wir wissen nicht, wie viele Fälle der Sonderstab insgesamt behandelt hat und in wie vielen Fällen kein Ergebnis erzielt werden konnte. Deshalb können wir überhaupt nicht beurteilen, ob der Sonderstab tatsächlich erfolgreich war.
  • Und der Sonderstab kommt an seine Grenzen, was zum Beispiel der Fall des Hauptverdächtigen im Freiburger Gruppenvergewaltigungsfall zeigt, dem zwar die Gefährlichkeit dieser Person bekannt war, aber nichts unternommen werden konnte. Und dennoch kündigen Sie in Folge von Freiburg regionale Sonderstäbe an, wobei es dann doch nur einen geben wird (in Freiburg).
  • Wir brauchen Konzepte für den Umgang mit gefährlichen Intensivtätern unabhängig von der Nationalität und losgelöst vom Hauptaugenmerk der Abschiebung. Deshalb ist ein regionaler Sonderstab in Freiburg die falsche Antwort auf diesen Fall und ein reines weiteres Prestigeprojekt.
  • Worauf wir auch noch warten ist eine Umsetzung des neuen Verfahrens zur Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern. Nach der Ankündigung der Eckpunkte haben wir davon nie wieder etwas gehört und auch im Sicherheitsbericht ist dazu in den entsprechenden Ausführungen nichts zu finden.
  1. Aggressionsdelikte im öffentlichen Raum
  • Aggressionsdelikte im öffentlichen Raum haben um 5, 2 Prozent zugenommen, Aggressionsdelikte im öffentlichen Personalverkehr haben um 2,7 Prozent zugenommen.
  • Für das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger ist die Sicherheit im öffentlichen Raum entscheidend.
  • Die Sicherheit im öffentlichen Raum war bereits ein Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit und dennoch ist hier eine Zunahme bei den Gewaltdelikten zu verzeichnen.
  1. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
  • Während Ihnen der Sonderstab Gefährliche Ausländer zwei Seiten wert ist, handeln sie die Zunahme der Sexualdelikte in drei Sätzen ab. Obwohl ja immerhin zum Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit in diesem Jahr ernannt, nennen Sie genau ein Beispiel (Präventionsprogramm „Sicher. Unterwegs. – Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum“), um zu sagen, was gegen die Zunahme von Sexualdelikten unternommen wird.
  • Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung haben im Jahr 2018 um ca. 25 Prozent zugenommen. Sie verweisen in diesem Zusammenhang immer darauf, dass es Gesetzesveränderungen zur Verbesserungen des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung gab sowie eine geänderte statistische Erfassung ab 2018.
  • Weder im Sicherheitsbericht noch auf Nachfragen in Innenausschuss konnten Sie erklären, in welchem Umfang die Straftaten tatsächlich zugenommen haben.
  • Zwar wissen wir, dass die Bekämpfung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein polizeilicher Handlungsschwerpunkt für 2019 ist, viel mehr wissen wir aber auch nicht.
  • Eine Antwort darauf, was dies konkret bedeutet, bleiben Sie im Sicherheitsbericht, im Innenausschuss und auch in Ihrer heutigen Rede schuldig. Das Jahr 2019 ist aber nun bald auch schon zu einem Viertel vorbei, daher wäre es schon interessant, was geändert wurde und welche Erfolge für 2019 vorzuweisen sind.

Fazit

  • Vor dem Hintergrund der nun für 2018 vorliegenden Zahlen ist es umso bedauerlicher, dass der Innenminister den Koalitionsvertrag im Bereich der Sicherheit im öffentlichen Raum nicht umsetzen will.
  • Entgegen der Vereinbarung im Koalitionsvertrag hat der Innenminister keine interdisziplinäre Projektgruppe „Sicherer öffentlicher Raum“ unter Beteiligung der kommunalen Landesverbände eingerichtet.
  • Es ist auch unklar, ob eine solche Projektgruppe überhaupt noch eingesetzt wird und wie die kommunalen Landesverbände konkret einbezogen werden sollen.

Unsere Forderungen:

  • Eine verpasste Chance, denn eine Projektgruppestruktur gibt auch die Möglichkeit sich interdisziplinär die zu Zeit nehmen, Ursachenforschung zu betreiben z.B. zur Aufarbeitung der Gründe für die Zunahme von Aggressions-und Gewaltdelikten im öffentlichen Raum.
  • Wir wollen, dass sich die Menschen im öffentlichen Raum sicher fühlen. Dazu gehört, dass die Kriminalitätsprävention durch städtebauliche Maßnahmen unterstützt wird beispielsweise durch die Gestaltung und Beleuchtung öffentlicher Plätze.
  • Auch der mobilen Jugendarbeit und Projekten, die sich vor Ort mit Lärmbelästigung und Vandalismus beschäftigen, muss mehr Bedeutung zukommen. Denn Respektlosigkeit und Verrohungstendenzen sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir angehen müssen.
  • Der Innenminister setzt keinen Schwerpunkt auf das Thema Prävention im öffentlichen Raum, sondern kümmert sich bevorzugt um die Evaluierung der Polizeistrukturreform oder die Verschärfung des Polizeigesetzes. Wer die Prävention nicht ernst nimmt, übersieht dabei einen entscheidenden Baustein für die innere Sicherheit.
  1. Wohnungseinbruchsdiebstahl
  • Die Bekämpfung von Wohnungseinbruchsdiebstahl ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit. Es ist ein Zeichen guter Polizeiarbeit vor Ort, dass die Fallzahlen nochmal weiter zurückgegangen sind und auch die Aufklärungsquote gesteigert wurde.
  • Am Beispiel der Erfolge beim Wohnungseinbruchsdiebstahl zeigt sich auch, was möglich ist, wenn über einen längeren Zeitraum ein Deliktsfeld intensiv und mit hohem Personalaufwand bearbeitet wurde.
  • Beispielhaft ist auch die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg, die unter Innenminister Reinhold Gall mit Bayern begonnen wurde und auf die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hessen erweitert wurde. 2014 hat Baden-Württemberg als erstes Bundesland eine von Europol bereitgestellte Plattform genutzt, um Erkenntnisse zu überregionalen Tätern zu bekommen.
  1. Weitere Novellierung Polizeigesetz
  • Völlig unklar, wann eine Novellierung mit welchen Änderungen kommt, da sie sich mit ihrem grünen Koalitionspartner nicht einig werden. Sie haben ihren Mund hier wieder sehr vollgenommen, passiert ist noch nicht viel.
  • Ihr Vorgehen ist auch sehr dreist, da bevor die Änderungen der erster Novellierung unter ihrer Federführung überhaupt angewendet werden können (Quellen-TKÜ scheitert an Software; flächendeckende Einführung der Bodycam erst bis zum Sommer), da kündigen Sie schon weitere Verschärfungen an.
  • Was aus unserer Sicht aber überhaupt nicht geht, dass verfassungsrechtlich und europarechtlich dringend vorzunehmende Änderungen im Polizeigesetz nicht sofort vorgenommen werden, sondern darauf verwiesen wird, dass diese erst im Zuge der größeren Novellierung des Polizeigesetzes erfolgt.
  • Beispielsweise schieben Sie damit die verfassungskonforme Ausgestaltung der Rechtsgrundlagen für den Einsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen auf die lange Bank mit dem Ergebnis, dass weiterhin verfassungswidrige Rechtsgrundlagen im Gesetz stehen.
  • Ähnliches gilt für die europarechtskonforme Ausgestaltung des Polizeigesetzes. Seit dem 25. Mai 2018 ist die Datenschutzgrundverordnung in Kraft, aber noch immer ist die für Polizei maßgebliche Richtlinie nicht umgesetzt und das baden-württembergische Polizeigesetz nicht daran angepasst worden.
  • Sie sind aber nicht nur Innenminister, sondern auch Verfassungsminister. Deshalb sollten Sie das Polizeigesetz schnellstmöglich anpassen und nicht erst, wenn Sie sich in noch nicht absehbarer Zukunft mit den Grünen auf eine weitere Verschärfung des Polizeigesetzes geeinigt haben.

Mein Dank gilt allen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für ihre hervorragende Arbeit für unsere Sicherheit. Es ist ihr Verdienst, dass es in Baden-Württemberg weniger Straftaten gibt und sich die Aufklärungsquote verbessert hat.

Ich möchte Ihnen versichern, dass wir Gewalt gegen die Polizei, aber auch gegen Angehörige des Rettungsdienstes oder Mitarbeitern in den Kommunen, aufs Schärfste verurteilen und es uns sehr besorgt, dass die Gewalt weiterhin zunimmt. Wir hoffen, dass die Bodycam – wenngleich kein Allheilmittel – zur Verbesserung der Situation beiträgt.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Melbeck Fraktion
Malin Melbeck
Parlamentarische Beraterin für politische Planung und Strategie, Parlamentsrecht, Stellvertretende Fraktionsgeschäftsführerin