Vogt: „Verantwortungslos handeln Betriebe, die sich darauf verlassen, dass andere ausbilden“

Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit in zusätzliche Ausbildungsplätze investieren!

Die Situation auf dem baden-württembergischen Ausbildungsmarkt ist trotz boomender Wirtschaft nach Angaben der SPD-Landtagsfraktion äußerst kritisch. Auch im soeben begonnenen Ausbildungsjahr fehlten mindestens 30.000 Ausbildungsplätze, stellt die SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Ute Vogt fest. Sie fordert die Südwest-Industrie auf, die glänzende Auftragslage dazu zu nutzen, zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten. Außerdem besteht nach ihrer Ansicht nach wie vor erheblicher landespolitischer Handlungsbedarf. Sie plädiert dafür, das bestehende Sonderprogramm der Landesregierung zur Förderung von 600 zusätzlichen Ausbildungsplätzen mit einem Teil der Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit aufzustocken und unterstützt damit einen Vorschlag des DGB.

Dringenden Handlungsbedarf sieht die SPD-Fraktionsvorsitzende auch im schulischen Bereich. Die Landesregierung müsse rasch dafür Sorge tragen, dass die erforderliche Ausbildungsreife während der Schulzeit und nicht erst danach vermittelt wird.

Vogt: „Wir wollen, dass jeder ausbildungswillige und ausbildungsfähige Jugendliche ein Ausbildungsangebot erhält. Ausbildung ist eine originäre Aufgabe der Unternehmen, die sie nicht an den Staat abgeben können.“

Angesichts der immer größer werdenden Bugwelle von Altbewerbern sei allerdings auch das Land in der Pflicht, mehr zu tun, damit alle, die sich anstrengen, eine qualifizierte Ausbildung bekommen. Eine gute Ausbildung sei mehr denn je eine unverzichtbare Voraussetzung für einen erfolgreichen Start in das Berufsleben, so Vogt.

Sie kündigte an, zwischen dem 12. und dem 14. September auf einer Tour durchs Land vorbildliche Betriebe zu besuchen, deren Engagement für die berufliche Bildung Schule machen sollte. „Die öffentliche Aufmerksamkeit für solche erfreulichen Positivbeispiele soll andere zur Nachahmung motivieren“, so Vogt.

Die aktuelle Situation auf dem Lehrstellenmarkt

Nach Angaben der SPD-Landtagsfraktion steht die Situation auf dem baden-württembergischen Ausbildungsmarkt in deutlichem Gegensatz zur aktuellen wirtschaftlichen Lage im Land. Die Auftragseingänge der Südwest-Industrie lägen in den ersten 7 Monaten des Jahres um 12,2 % über dem Niveau des Vorjahres und für das laufende Jahr sei ein Wirtschaftswachstum von 3% für Baden-Württemberg im Bereich des Möglichen, gleichzeitig aber falle die Ausbildungslücke zum 1. September mit weniger als 71 Ausbildungsplätzen pro 100 Bewerber so niedrig aus wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr.

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums und der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit sind weit über 30.000 junge Menschen Altbewerber, die sich zum wiederholten Mal um einen Ausbildungsplatz bemühen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht hinnehmbar, dass fast ein Drittel aller baden-württembergischen Betriebe gar nicht ausbildet, obwohl sie eine Ausbildungsberechtigung haben. In den Betrieben der beschäftigungsstarken Metall- und Elektroindustrie habe dieser Wert im vergangenen Jahr einen Negativrekord von 41% erreicht, während er noch im Jahr 2002 bei 16% lag. Die SPD fordert, die enorme Zunahme von Aufträgen in diesen Betrieben für einen Ausbau der betrieblichen Ausbildung zu nutzen.

Ute Vogt: „Ich fordere die Unternehmen und Betriebe im Land auf, im jetzigen Aufschwung zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen und auch über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden. Die Ausbildung heute ist die entscheidende Voraussetzung für gute Geschäfte von morgen und trägt auch der sozialen Verantwortung Rechnung, die gut verdienende Unternehmen für die jungen Menschen haben.“

Schon heute gebe es in bestimmten Bereichen zudem einen Fachkräftemangel, der im Trend durch die demografische Entwicklung noch verschärft werde. Betriebe, die sich darauf verlassen, dass andere ausbilden, handelten deshalb verantwortungslos, so Vogt.

Was die Landesregierung tun muss

Von der Landesregierung fordert die SPD-Chefin dringend, das Sofortprogramm des Wirtschaftsministeriums zur Förderung zusätzlicher Ausbildungsplätze aufzustocken. Innerhalb von drei Monaten seien bis Ende August bereits über 800 Förderanträge gestellt worden, das Programm reiche aber nur für 600 zusätzliche Lehrstellen. Angesichts von 30.000 fehlenden Ausbildungsplätzen sei dies viel zu wenig.

Angesichts der schon bisher – im Vergleich mit den großen westlichen Flächenländern – „dürftigen“ Förderung der Berufsausbildung durch die Landesregierung beklage die IHK Region Stuttgart zu Recht die Absicht der Landesregierung, zum Jahreswechsel die Landesmittel zur sozialpädagogischen Begleitung von Praktika zur Einstiegsqualifizierung komplett zu streichen. „Wenn die Landesregierung an der Förderung junger Ausbildungswilliger spart, spart sie an der falschen Stelle. Jeder hier investierte Euro macht sich doppelt und dreifach bezahlt“, so die SPD-Fraktionsvorsitzende.

Überschüsse der Bundesarbeitsagentur auch für zusätzliche Lehrstellen nutzen

Vor dem Hintergrund von derzeit 30.000 fehlenden Ausbildungsplätzen regt die SPD-Fraktionsvorsitzende an, einen Vorschlag des DGB aufzugreifen und einen Teil der
Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit in zusätzliche Ausbildungsplätze – vor allem für Altbewerber – zu investieren. Für Baden-Württemberg könnten mit etwa 60 Mio. Euro mehr als 5.000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden.

Für die große Zahl von Altbewerbern müsse rasch eine nachhaltige Lösung in Form echter Ausbildungsplätze gefunden werden. Da reiche das Mini-Programm der Landesregierung längst nicht aus. „Investitionen in neue Ausbildungsplätze sind das beste Programm gegen die Arbeitslosigkeit von morgen. Deshalb wären die Beiträge von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von Unternehmen bestens angelegt.“ Die Landesregierung solle den Vorschlag des DGB schnellstmöglich aufgreifen, so Vogt.

Defizite der Landesregierung bei der Vermittlung von Ausbildungsreife

Aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion bestehen weiterhin eklatante Defizite bei der Schulausbildung, die eine erfolgreiche Suche nach einem Ausbildungsplatz erheblich erschweren. Die vielen nachgelagerten berufsvorbereitenden Bildungsgänge seien ein Beleg dafür, dass die Jugendlichen in den allgemein bildenden Schulen nicht ausreichend auf das Berufsleben vorbereitet werden. „Es läuft einiges schief in der Bildungspolitik, wenn es nicht gelingt, elementare Grundfertigkeiten in Deutsch und Mathematik sowie Grundregeln des Sozialverhaltens bereits in der Schule zu vermitteln“, kritisierte Vogt.

Die Ausbildungsreife müsse in der Schule erreicht werden und dafür müssten die Lehr- und Lernbedingungen insbesondere an den Hauptschulen deutlich verbessert werden. Notwendig seien ein systematisches Förder- und Unterstützungssystem und zusätzliches pädagogisches Personal, so Vogt. „Zusätzliches Personal entlastet die Lehrerinnen und Lehrer, verbessert die Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler und steigert damit auch deren Erfolgschancen.“
Große Bedeutung komme auch der Schulsozialarbeit zu, die Jugendliche und ihre Familien bei persönlichen und schulischen Problemen unterstütze und Hilfe bei der Berufsorientierung leiste. Die Antwort des Kultusministers auf einen SPD-Antrag, wonach die Wiederaufnahme der Landesförderung für die Jugendsozialarbeit an Schulen als eigenständiges Förderprogramm „nicht vorgesehen“ ist, sei nicht akzeptabel.

Damit die Jugendlichen künftig bessere Chancen auf einen erfolgreichen Start in das Berufsleben haben, müssten auch die strukturellen Rahmenbedingungen geändert werden. So müsse die Hauptschule auch zum mittleren Bildungsabschluss führen, wie dies der baden-württembergische Handwerkstag fordere. „Wir müssen weg kommen vom System des Aussortierens. Lernerfolg stellt sich dann ein, wenn die Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden, statt sie in schwierigen Lernphasen einfach nach unten durchzureichen“, so die SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende.

Helmut Zorell, Pressesprecher