Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich weiß nicht, ob das jedem außerhalb dieses Parlaments klar ist, aber heute ist die vorletzte reguläre Sitzung dieses Landtags vor der kommenden Wahl.

Und es ist eine für unsere Gesellschaft, für unser Land, aber auch für die Politik und die Parteien eine außerordentlich schwierige Zeit. Wir stehen nämlich mitten in einer Pandemie und gleichzeitig am Beginn eines wichtigen Wahljahres und wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg.

Und dass es für unser Land eine äußerst schwierige Situation ist zeigen die Diskussionen der letzten Tage und Wochen, wenn es um die politischen Entscheidungen rund um die Corona-Krise und die Bekämpfung der Pandemie geht. Und ja, das ist auch ein Aufruf zum Umgang zwischen Regierung und Opposition. Es ist aber nicht zuletzt ein Aufruf zum Umgang innerhalb der Regierung. Denn den größten Knatsch gab es in den vergangenen Wochen eben nicht zwischen SPD und Grünen, nicht zwischen FDP und CDU, den gab es zwischen den Regierungspartnern. Und ich rede hier nicht von dem schon seit Beginn der Legislatur schwelenden Streit zwischen Grünen und CDU. Ich rede hier von dem täglichen Kleinkrieg, dem zähen Kampf um politische Positionsgewinne, die nichts anderem als der gegenseitigen Profilierung und dem Wahlkampf geschuldet sind.

Der Ministerpräsident hat das gestern selbst beklagt. Zu Recht! Und noch mehr Recht hatte er, als er über das fragile Gut der Akzeptanz all dieser Maßnahmen sprach. Und diese Akzeptanz wird immer fragiler, denn uns allen hängen die ganzen Verbote und Schließungen zunehmend zum Hals heraus.

Was wir da auf keinen Fall brauchen, ist unsinniges Gezänk innerhalb der Regierung. Was wir nicht brauchen sind sture Politiker, die nicht wissen, was im Land läuft. Was wir nicht brauchen sind Debatten, bei den gute Argumente es nicht über vernagelte Parteigrenzen schaffen können.

Über die Bildungspolitik haben wir den vergangenen Wochen und Monaten so viel gesprochen, dass ich bei Stichworten bewenden lassen kann:

Angepasste Lösungen nach Inzidenz. Differenzierung zwischen Kitas und Schulen, aber auch innerhalb des Schulsystems anstatt unsinnigen Pauschalierungen,

Wahrung der Chancengleichheit für alle Kinder.

Unterscheidung zwischen jüngeren und älteren Klassen.

Wechselunterricht.

Schutzausrüstung.

Optimale Testkonzepte.

Kopf-Durch-die-Wand-Politik a la Eisenmann anstatt differenzierter Konzepte, um Kita- und Schulschließungen zu verhindern.

All das sind Dinge, die wir monatelang gefordert haben. Und man hat uns viel zu lange nicht zugehört. An ganz vielen Punkten ist die Landesregierung heute genau da, wo es ihr die SPD schon lange empfohlen hat. Aber es ging unglaublich viel Zeit verloren. Vertrauen. Guter Wille. Musste das denn sein?

Ich habe es schon einmal gesagt: Die SPD hat wie alle demokratischen Parteien dieses Hauses von Anfang an den Grundsatz der Corona-Politik dieses Landes mitgetragen.

Umso bedauerlicher ist es dann aber, wenn jeder noch so konstruktive Vorschlag in Bausch und Bogen abgetan wird. Und wenn die regierenden Rechthaber dann nicht Recht behalten, dann tritt man noch nach. Der, der es kommen sah, der ist dann ein Schlaumeier, wie der Ministerpräsident sagt.

Seit Wochen hören sich die Abgeordneten meiner Fraktion die Beschwerden über die Corona-Impfungen an. Und nein, es herrscht KEIN Chaos und nein, weder der Herr Kretschmann noch der Herr Lucha können den Impfstoff in ihrem Hobbyraum anrühren. Nicht einmal die Frau Eisenmann kann das. Das sagen wir auch allen Menschen, mit denen wir reden.

Aber den Mangel könnte man deutlich besser verwalten. Wochenlang schon haben wir Ihnen einen Vorschlag nach dem anderen gemacht. Nicht auf Teufel komm raus die Reserven horten, ein effizienteres Anmeldesystem wählen, den Betroffenen helfen, genauer priorisieren. Ganz zögerlich hat Herr Lucha eine Änderung nach der anderen umgesetzt, so als bereite es ihm starke Schmerzen, einen Rat der SPD anzunehmen.

Und wenn wir ihm jetzt sagen, dass eine genauere Priorisierung innerhalb der Stiko-Gruppen alles leichter machen würde, dann wird er wohl wieder erst in vier Wochen darauf reagieren, nach einem Monat voller Frust für Hunderttausende. Muss das sein?

Ich lasse mir keinen Wahlkampf vorwerfen. Hätte die Regierung unseren Rat offener angehört, wäre das wahlkampfstrategisch doch gar nicht gut für die Opposition. Aber vielleicht begreifen Sie endlich, dass es uns wichtiger ist, dass Baden-Württemberg so gut wie möglich durch diese Krise kommt. Dass die Eltern auf die Schulpolitik verlassen können. Dass ältere Menschen sich nicht für Impftermine plagen müssen! Dass man nicht Dinge verspricht, die man nicht einhalten kann, so wie einen Schulstart bei jeder Inzidenzlage. Das war absehbar Quatsch, das konnte man sich ausrechnen. Bin ich deswegen ein Schlaumeier?  Ich glaube dieses Land braucht eher Schlaumeier in der Regierung als ignorantes Weghören!

Und es geht eben auch da weiter, wo es um die trockenen Zahlen geht. Der Verkehrsminister hat gestern wieder beweisen, dass er nicht genau verstanden hat, dass ihm nicht die Kabinettskollegen, sondern dieser Landtag sein Geld zur Verfügung stellt.

Das haben wir auch reichlich getan, was die Regierung dann aber leisten muss, ist, dass diese Gelder auch abfließen. Eben nicht wie bei der Kultusministerin, die Schulen öffnen möchte aber die genehmigten Mittel für Testungen bei Lehrern noch gar nicht anrührt. Immerhin unterlässt sie das tatsächlich unabhängig von der Inzidenz.

Eben nicht wie bei Frau Hoffmeister-Kraut. Dem Schausteller- und Taxi-Gewerbe wurde im Juli einen Tilgungszuschuss von 92 Millionen Euro versprochen, der erst Ende 2020 richtig anlief.

Bis heute sind nicht einmal zehn Prozent ausbezahlt. Und ähnlich peinlich ist es bei der Digitalisierungsprämie Plus angelaufen. Musste das sein? Warum nehmen sie nicht die Füße in die Hand und bringen das Geld, das wir Ihnen anvertraut haben, so schnell wie möglich zu den Bedürftigen?

Sozialminister Lucha hat der Landtag fast zwei Milliarden Euro extra zur Verfügung gestellt. Warum sind noch nicht einmal 500 Millionen Euro investiert? Warum gaben wir Ihnen elf Millionen Euro allein für Tests in Kitas, und sie hatten zuletzt noch keinen einzigen Euro ausgegeben? Muss das sein?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in den kommenden Wochen werden wir alle einen merkwürdigen Wahlkampf erleben. Vieles ist wegen der Pandemie verboten. Anderes verbietet sich.

Aber das Virus kennt keine Wahlkampfpausen. Deswegen bitte ich uns alle, aber eben auch die Regierungsfraktionen, in den kommenden Wochen richtig zu priorisieren. Nicht nur beim Impfen, sondern auch bei ihrem politischen Handeln. Wenn Sie für ein paar Stimmen hin oder her das Vertrauen der Menschen in die Politik erschüttern, riskieren sie gewaltige Schäden.

Wenn sie dagegen ab und an die Finger aus den Ohren nehmen und zuhören würden – den Senioren, den Schulen, den Kliniken, den Künstlern, den Friseuren und natürlich gerne auch der SPD – dann könnten wir schneller als bisher und noch besser als bisher anpacken.

Vielen Dank

Es gilt das gesprochene Wort.