Wolfgang Drexler: „Anstatt auf die neuen Bedingungen zu reagieren, vertröstet die Landesregierung Airportbetreiber, Passagiere und Fluglärmopfer auf den Sankt-Nimmerleins-Tag“

SPD legt Eckpunkte zur Regulierung des Luftverkehrs vor


Mit der Vorlage eigener Eckpunkte zur Regulierung des Luftverkehrs erhöht die SPD den Druck auf die Landesregierung, endlich eine moderne Luftverkehrskonzeption für ganz Baden-Württemberg zu entwickeln. Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler warf der CDU/FDP-Koalition vor, sich bei der überfälligen Neuordnung des Luftverkehrs immer noch im Blindflug zu befinden. „Anstatt auf die neuen Bedingungen zu reagieren, vertröstet die Landesregierung Airportbetreiber, Passagiere und Fluglärmopfer auf den Sankt-Nimmerleins-Tag“, so Drexler. Trotz völlig neuer Fakten wie dem Auftauchen der Billigflieger halte sie an alten Floskeln fest und verharmlose den dringenden Handlungsbedarf.

Drexler verwies auf die Weigerung der Landesregierung, bis zum Sommer 2008 die von der SPD geforderte neue Luftverkehrskonzeption vorzulegen. Innenminister Rech hatte dies mit einer zu kurzen Fristsetzung und der Erarbeitung einer neuen Konzeption im Rahmen des Generalverkehrsplanes (GVP) begründet. Drexler wertete diese Hinweise als „unerträgliche Ausflüchte“, erst recht vor dem Hintergrund, dass die SPD seit nunmehr acht Jahren auf die Erarbeitung einer solchen Luftverkehrskonzeption drängt.

Die Landesregierung und der Luftverkehr: Eine Chronik der Verweigerung SPD-Verkehrsexperte Drexler machte entlang einer „Chronik der Verweigerung“ deutlich, wie sich die Landesregierung bei der Neugestaltung des Luftverkehrs aus der Verantwortung gestohlen und sich stattdessen als „Ankündigungsweltmeister“ betätigt habe.

•Im Mai 2000 wurde die Forderung der SPD nach einer Luftverkehrskonzeption zurückgewiesen, da diese bereits im GVP enthalten sei. (Landtagsdrucksache 12/5153) Doch bereits damals seien die Prognosen der Landesregierung überholt gewesen.
•Im Juli 2001 negierte die Landesregierung nach wie vor Handlungsbedarf, da der GVP noch immer aktuell sei. (Landtagsdrucksache 13/76)
•Auch im November 2002 nichts Neues von der Landesregierung in Sachen Luftverkehrskonzeption: Sie verwies lapidar auf den „aktuellen“, damals allerdings schon mehr als sieben Jahre alten GVP. (Landtagsdrucksache 13/1505)
•Im Juni 2006 stellt dann die Landesregierung den Handlungsbedarf zwar nicht mehr grundsätzlich in Abrede, vertröstet aber auf einen neu zu erarbeitenden GVP. (Landtagsdrucksache 14/42)
•Heute, also Anfang 2008, noch immer dieselbe Litanei: Der bereits 2006 angekündigten neue GVP werde es auch für den Luftverkehr richten. Doch wann der Plan erscheinen wird, steht noch immer in den Sternen. (Landtagsdrucksache 14/2388)

Wolfgang Drexler: „Beim Luftverkehr dreht die Landesregierung eine Endlosschleife, anstatt endlich auf dem Boden der Tatsachen zu landen und dann neu durchzustarten.“

Andere Länder hätten Baden-Württemberg längst überholt. So könnten beispielsweise Nordrhein-Westfalen und Brandenburg eine eigene Luftverkehrskonzeption vorweisen. Auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seien mit ihrer gemeinsamen Luftverkehrskonzeption für Mitteldeutschland 2006 mit Blick auf die Verschiebungen im Luftverkehr ganz gut aufgestellt.

Annahmen im Generalverkehrsplan 1995: Schnee von gestern Wie sehr die Zeit auch in Baden-Württemberg dränge, zeigen nach Ansicht Drexlers die Annahmen der Landesregierung im GVP aus dem Jahre 1995 im Vergleich mit den Fakten des 21. Jahrhunderts. So seien die damaligen Wachstumsprognosen für das Passagieraufkommen am Flughafen Stuttgart längst weit übertroffen. Der Baden-Airpark habe schon jetzt fast das neunfache Aufkommen der GVP-Erwartung, obwohl der Prognosehorizont noch gar nicht erreicht ist (siehe Tabelle 1). Drexler machte darauf aufmerksam, dass sich die Regierung noch vor fünf Jahren frühestens im Jahr 2015 eine Millionen Passagiere in Söllingen vorstellen konnte.

Tabelle 1: Annahmen des Generalverkehrsplanes für das Jahr 2010 und die Realität 2007 für das Fluggastaufkommen in Mio. Passagieren

FlughafenAnnahmen GVP für 2010 Realität 2007
Stuttgart8,0510,33
Baden-Airpark0,12 0,98
Friedrichshafenk.a.0,65

Wolfgang Drexler: „Es ist schädlich für die Entwicklung des Luftverkehrsstandorts Baden-Württemberg, angesichts dieser dramatischen Fehleinschätzungen nicht schleunigst eine neue moderne Konzeption vorzulegen.“

Hauptziele der SPD für eine neue Luftverkehrskonzeption:
Attraktive Verbindungen halten und Belastungen gerechter verteilen

Aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion muss eine neue Luftverkehrskonzeption zwei Hauptziele im Auge haben: Zum einen muss sie attraktive Verbindungen in Baden-Württemberg halten und zum anderen die dabei entstehenden Belastungen gerechter verteilen. Zur Umsetzung dieser Ziele hält Drexler folgende Maßnahmen für nötig:

Belastung für die Bevölkerung möglichst klein halten
Die SPD betrachtet es als Fehler, dass sich die Landesregierung beim Luftverkehr vor allem auf den Flughafen Stuttgart konzentriert, obwohl sie auch an den beiden anderen Flughäfen in Söllingen (Baden-Airpark) und Friedrichshafen beteiligt ist. Anstatt sich um sinnvolle und zumutbare Verkehrsverlagerungen zu bemühen, diskutiere sie den Bau einer zweiten Startbahn in Stuttgart. Ein solches Projekt wäre für die jetzt schon über Gebühr belastete Bevölkerung des Filderraumes schlicht eine Katastrophe.

Dabei hatte die Landesregierung bereits 2001 auf eine FDP-Anfrage geantwortet, dass Friedrichshafen, aber insbesondere der Baden-Airpark Ersatz- und Ergänzungsfunktion für Stuttgart übernehmen könnten. (Landtagsdrucksache 13/545) Außerdem könnte der Sonderflughafen Lahr, auf dem als einzigem Flughafen in Baden-Württemberg sogar der Airbus A380 landen kann, unter Voll-Lizenz ebenfalls Kapazitäten aufnehmen.

Für eine vernünftige Verkehrsanbindung sorgen
Alternativen werden aus Sicht von Drexler aber nur dann von den Kunden angenommen, wenn eine vernünftige Erreichbarkeit der Flughäfen gewährleistet ist. Im GVP von 1995 habe die Landesregierung noch eine generelle Verknüpfung von Schiene und Flughäfen gefordert. Passiert sei in diese Richtung jedoch nicht viel. In der Antwort auf den Antrag des Karlsruher SPD-Abgeordneten Johannes Stober vom Februar dieses Jahres führte die Landesregierung aus, dass sie keinen Grund sehe, den Baden-Airpark an das Schienennetz anzuschließen. (Landtagsdrucksache 14/2419)

Wolfgang Drexler: „In Sonntagsreden bricht die Landesregierung eine Lanze für die Verknüpfung von Schiene und Flughäfen. Wenn es aber konkret wird wie in Söllingen, will sie von ihren eigenen Versprechungen plötzlich nichts mehr wissen.“

In einer neuen Luftverkehrskonzeption müsse eine moderne Schienenanbindung für alle Flughäfen im Land ein zentrales Element sein. Andernfalls werde es nicht gelingen, die Konzentration auf Stuttgart einzudämmen.

Einzugsgebiet mit in die Planungen aufnehmen
Drexler wies weiter darauf hin, dass sich über Dreiviertel der Nachfrage eines Flughafens in der Regel aus einem engen Einzugsbereich mit bis zu etwa einer eine Stunde Anfahrtszeit rekrutiert. Nehme man die Anfahrtszeiten mit dem Auto, so habe Karlsruhe eine 60-Minuten-Isochrone, also ein Einzugsgebiet mit einer Stunde Anfahrtszeit für 3 Mio. Menschen. Stuttgarts vergleichbarer Wert liege bei 4,5 Mio. „Die Zahlen für die Einzugsgebiete zeigen, dass das Fluggast-Potenzial des Baden-Airparks deutlich über den zehn Prozent der Passagiere liegt, die er im Vergleich zu Stuttgart derzeit hat“, so Drexler.

Der Baden-Airpark habe allerdings zwei Probleme: Erstens ist er mit der Schiene nicht zu erreichen, sondern nur mit dem Bus. Dadurch verlängert sich selbstverständlich auch die Anfahrtszeit zum Flughafen. So brauche ein Fluggast aus Mannheim oder Freiburg weit über eineinhalb Stunden, aus Stuttgart sogar über zwei Stunden, um zum Baden-Airpark zu kommen. Stuttgart dagegen sei von Karlsruhe und Mannheim aus in knapp anderthalb Stunden zu erreichen. Von Stuttgart aus selbst betrage die Fahrzeit derzeit 27 Minuten, die sich aber durch Stuttgart 21 um bis zu zwei Drittel verringern werde.

Zweitens biete der Baden-Airpark nicht dieselbe Angebotsvielfalt wie Stuttgart. Drexler warf der Landesregierung vor, hier als Anteilseigner die Hände in den Schoß zu legen. Das Land sei im Rahmen einer neuen Luftverkehrskonzeption gefordert, den Baden-Airpark vernünftig an das Schienennetz anzubinden und über verbilligte Slotgebühren den Flughafen für die Airlines attraktiver zu machen.

Wechselwirkungen mit anderen, grenznahen Flughäfen beachten
Eine neue Luftverkehrskonzeption muss nach Auffassung Drexlers berücksichtigen, dass Baden-Württemberg von den europäischen Drehscheiben Frankfurt, München und Zürich umgeben ist. Schon jetzt sei gewährleistet, dass auch entfernte Reiseziele von Baden-Württemberg aus schnell und bequem erreicht werden können. Hinzu kommen die in unmittelbarer Nähe gelegenen Regionalflughäfen in Basel-Mulhouse-Freiburg, Memmingen und Straßburg.

Wolfgang Drexler: „Die Landesregierung muss akzeptieren, dass Baden-Württemberg nicht in allen Belangen der Nabel der Welt sein kann. Kein Flughafen im Ländle wird auf absehbare Zeit einem der umliegenden Großflughäfen den Rang ablaufen können, zumal dies auch gar nicht nötig ist.“ Beim Luftverkehr könne sich das Land nicht die Attitüde leisten, für alle überall alles anbieten zu wollen. „Der Schwabe und der Badener hat auch in Zukunft kein Problem damit, von Frankfurt oder München nach New York zu fliegen.“

Verkehrliche Auswirkungen durch andere Verkehrsträger beachten
Eine Luftverkehrskonzeption darf nach den Worten Drexlers auch nicht einseitig auf ein für alle Ewigkeit anhaltendes Wachstum beim Fliegen setzen. Es gelte vielmehr, auch zukunftsweisende gegenläufige Trends mit einfließen zu lassen. So könnten schnelle und deshalb attraktive Schienenverbindungen viele Kurzstreckenflüge überflüssig machen. Dies könne beispielsweise an der TGV-Verbindung Stuttgart-Paris abgelesen werden. Seit ihrer Einführung sei das Fluggastaufkommen auf der Verbindung Straßburg-Paris um jährlich 500.000 Passagiere gesunken.

Wolfgang Drexler: „Dieses Beispiel zeigt, dass es verkehrspolitisch wie ökologisch absolut vernünftig sei, sich für Schnellbahn-Projekte wie Stuttgart 21 und für den Ausbau der Rheintalschiene stark zu machen.“

Alle Verkehrsträger gleichberechtigt besteuern
Drexler hält es klimaschutzpolitisch für fatal, dass die Landesregierung nach wie vor an einer steuerlichen Privilegierung des Fliegens festhält. Die CDU lehne es ab, Kerosin künftig sowohl auf innerdeutschen wie auch innereuropäischen Flügen mit einer Mineralölsteuer zu belegen. Auch für eine Mehrwertsteuererhebung für innereuropäische Flüge will sich die Landesregierung nicht einsetzen.

Die weltweite Steuerbefreiung von Kerosin besteht seit 1944. Damals wurde sie als Maßnahme zur Völkerverständigung eingeführt. Dass dies heute nicht mehr Aufgabe des Flugzeugs ist, liegt für Drexler auf der Hand. Trotzdem werde in Deutschland an der hierzulande seit 1953 geltenden Steuerbefreiung bisher nicht gerüttelt.

Wolfgang Drexler: „Wegen des erreichten Entwicklungsstandes ist die Subvention von Kerosin nicht mehr gerechtfertigt. Es ist klimapolitischer Wahnsinn, dass die wesentlich umweltfreundlichere Bahn Mineralöl-, Strom-, Öko- und Mehrwertsteuer zahlen muss und so einen eindeutigen Wettbewerbsnachteil zu verzeichnen hat.“

Planung einer zweiten Startbahn in Stuttgart stoppen
Eine zweite Startbahn am Stuttgarter Flughafen kommt für die SPD nicht in Frage. „Zum einen ist dem Filderbereich eine noch stärkere Belastung nicht zuzumuten. Zum anderen kann eine Attraktivitätssteigerung bei den Regionalflughäfen des Landes den Expansionsdruck von Stuttgart nehmen“, sagte Drexler. Er forderte die Landesregierung auf, in der Frage eines Ausbauverzichts am Stuttgarter Flughafen zu ihrem Wort zu stehen.

So habe etwa der frühere Verkehrsminister Müller in einer Plenarrede am 22. Januar 2003 zum Stuttgarter Flughafen wörtlich erklärt: „Wir haben zu dieser Frage eine klare Position. Das nämlich, was wir heute auf den Fildern haben, ist das, womit der Flughafen in den nächsten Jahren rechnen kann und rechnen muss. Mehr wird es nicht sein.“ (Landtagsdrucksache 13/37)

Wer jetzt keine moderne, ausgewogene Luftverkehrskonzeption anpacke, rede unweigerlich einer zweiten Startbahn in Stuttgart das Wort. Anstatt dem Flughafen zu erlauben, 600 Mio. Euro in seine Erweiterung zu stecken, mit der er 3,2 Millionen Fluggäste zusätzlich abfertigen könnte, solle die Betreibergesellschaft das Geld lieber in die Regionalflughäfen des Landes stecken.

Wolfgang Drexler: „Das Land muss auf die Schienenanbindung und auf den Ausbau seiner Regionalflughäfen setzen. Ein zukunftsweisendes, tragfähiges Konzept für die Weiterentwicklung des Luftverkehrs braucht keine zweite Startbahn am Flughafen Stuttgart.“


Martin Mendler
Stellv. Pressesprecher