Redemanuskript von Andreas Stoch zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thema „Das Dringende tun und das Wichtige vorantreiben“

Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

eines kann man mit Sicherheit sagen: Wir haben sehr lange auf eine Regierungserklärung von Ihrer Regierung, von Ihnen, Herr Ministerpräsident, gewartet. Wir die Parlamentarier dieses Landes hier im Landtag, aber vor allem auch die Menschen in Baden-Württemberg.Denn die Menschen in diesem Land, auch wir hier, haben Fragen. Fragen, wie diese Regierung dieses unser Land durch eine der schwierigsten Situationen in der Nachkriegsgeschichte bringt. Was diese Regierung konkret unternimmt, um auf die veränderten Umstände, zu reagieren.

Aber ich muss Ihnen leider sagen: Das Warten hat sich nicht gelohnt.

Herr Ministerpräsident,

das hat nicht einmal damit zu tun, dass wir Ihren Ausführungen widersprechen würden. Mit sehr Vielem, was wir von Ihnen gehört haben, haben Sie sicher Recht. Das gilt ganz besonders für Ihre Beschreibung der Lage in der Ukraine und des furchtbaren Leids, das der rechtswidrige, der kriminelle Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelöst hat. Und ganz besonders Recht haben Sie auch, wenn Sie eine unverrückbare Solidarität mit der Ukraine einfordern, und zwar mit den Menschen dort im Land ebenso wie mit jenen, die sich hierher in unser Land geflüchtet haben. Das können auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nur unterstreichen.

Und doch wird Ihre Regierungserklärung den Anforderungen dieser Krise einfach nicht gerecht. Denn nachdem Sie die Lage so korrekt beschrieben haben, beschreiben Sie auch, was gute Politik in dieser Krise tun muss und was sie schon getan hat. Dann haben wir gehört, was die Bundesregierung unter Olaf Scholz und auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für die Sicherung der Energieversorgung geleistet haben, mit welchem Tempo und welcher Vehemenz man gegen einen Gasmangel im Winter vorgeht und Versorgungslücken in den Stromnetzen.

Und Sie haben die gewaltigen Entlastungspakete des Bundes vorgestellt, das Abschöpfen von Zufallsgewinnen, die vom Bund beschlossenen Preisbremsen für Strom, Gas und Wärme. Die Dezemberzahlung des Bundes an die Haushalte. Sie haben über die Heizkostenzuschüsse des Bundes gesprochen, über die Härtefallmittel des Bundes für Kliniken und sozial schwache Menschen, für die Bundeshilfen für die Kultur und die Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen, für die der Bund den Ländern weitere Milliarden zur Verfügung stellt.

Sie merken es in der Aufzählung selbst: Sie haben die ganze Zeit nur darüber gesprochen, was der BUND gemacht hat. Und ja, einige dieser Hilfen sind kofinanziert, wie so viele andere Dinge in Deutschland. Und dann muss auch das Land einen Teil dazu beitragen.

Auch das haben Sie erwähnt. Und Sie haben auch gleich gesagt, dass es an die Grenze des Leistbaren gehe, wenn Baden-Württemberg 4,8 Milliarden Euro dafür ausgeben müsse. Wohlgemerkt ist das die Zahl, die das Land und die Kommunen ausgeben müssen, und zwar nicht in diesem Jahr, sondern in den kommenden zwei Jahren. Und man wird den Verdacht nicht los, dass die Zahlen an dieser Stelle möglichst hoch sein sollen, damit man Ihnen das Gejammer über die schweren Belastungen auch glaubt.

Und wenige Augenblicke, bevor Sie erklärt haben, diese Milliarden seien eigentlich kaum leistbar, haben Sie mit Blick auf den Bund erklärt, der Staat gebe mit den Entlastungen ja nur seine INFLATIONSGEWINNE zurück. Und das sei ja nur recht und billig. Jetzt muss ich schon fragen: Uns ist doch hoffentlich allen klar, dass zum Staat auch Baden-Württemberg gehört, oder? Dass die Haushaltsummen aller Bundesländer zusammen ein Volumen haben, das in etwa dem des Bundeshaushalts entspricht? Dass Baden-Württemberg eben auch Milliarden an zusätzlichen Steuereinnahmen erhält? Von uns allen in diesem Land.

Und dass auch Baden-Württemberg einfach nur etwas von diesem Geld zurückgibt, wenn es sich an die Vereinbarungen von Bund und Ländern hält.

Will das hier jemand infrage stellen?

Und dieser Vereinbarung hat auch Baden-Württemberg zugestimmt, Herr Ministerpräsident. Aus „voller Überzeugung“, haben Sie gesagt. Weil ein „breiter Konsens“ in der Krise wichtig sei. Aber dann haben Sie doch wieder minutenlang am Bund gekrittelt, an der Bundesregierung, der Ihre eigene Partei angehört. Und Sie haben kritisiert, dass der Bund nicht genug bezahlt und die Kosten viel höher sind als die Förderung. Und Sie haben das so hingestellt, als sei das ein schlimmer Webfehler in der Politik des Bundes.

Und hier müssen wir Ihnen klar widersprechen: Nein, das ist kein Fehler, sondern Absicht, und diese Absicht basiert auf der Annahme, dass sich in einer Krise auch die Länder an der Krisenbewältigung beteiligen. Und die Kosten, die der BUND nicht trägt – das sind die Kosten, die das LAND tragen soll. Und wir fragen uns einmal mehr, ob Sie eigentlich verstanden haben, welche Rolle das Land in dieser Krise spielen muss. In einer Regierungserklärung des Landes listen Sie eigentlich nur die Hilfen des Bundes und loben die Politik der Bundesregierung, Sie danken den Bürgerinnen und Bürgern und Sie verweisen auf die Anstrengungen der Kommunen.

Aber wie groß ist das, was diese LANDESREGIERUNG tut? Wo leisten Sie etwas, zu dem Sie der Bund und die anderen Länder nicht gleichsam gezwungen haben? Wie weit strecken Sie selbst die Hand zur Hilfe aus? Wie weit übernehmen Sie selbst VERANTWORTUNG in dieser Krise? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wir hatten nach Wochen und Monaten erwartet, dass in dieser Regierungserklärung Nägel mit Köpfen gemacht werden. Nägel, die ungefähr dem entsprechen, was der Bund leistet, was die Kommunen leisten. Was diese Krise der Wirtschaft abverlangt und jedem einzelnen von uns.

Aber was Sie heute ankündigen, ist kein Doppelwumms und kein Wumms und nicht einmal ein halber Wumms. Sie bieten Darlehen an, nicht einmal zinslos, sondern nur ZINSVERGÜNSTIGT. Während der Bund hilft, wollen Sie Hilfe nur VERLEIHEN, dafür wollen Sie noch 2,1 Prozent Zinsen. Und auch bei der Liquiditätshilfe kommen Sie nicht so richtig ins Geben. Wieder Darlehen, wieder Kredite, wieder mit Zinsen. Ich kenne Bäcker, die Ihnen erklären werden, dass sie sich Geld auch bei Ihrer Hausbank borgen können.

Ja, Sie bieten dann noch ein Angebot zur Beratung zur Energiekosteneinsparung, das ist gratis, und der Bäcker wird dann erfahren, dass er nur wenige hunderttausend Euro investieren muss, um deutlich weniger Energiekosten zu haben. Ist das Ihre Art, die enormen Steuermehreinnahmen zurückzugeben?

Und dann noch Ihr Sondertopf für soziale Infrastruktur. Über den hatten wir uns sogar wirklich gefreut. Bis Sie ihn präzisiert haben. 30 Millionen Euro wollen Sie geben in dieser Krise, die auch die sozialen Einrichtungen mit Milliarden an Mehrkosten belastet. Zwei Euro Siebzig pro Kopf in Baden-Württemberg. Dieser Sondertopf ist gut gemeint, aber es wäre so viel besser und vernünftiger und notwendiger, wenn der Sondertopf kein Sondertöpfchen wäre!

Nun haben sich die Regierungsparteien ja ausgiebig selbst gelobt und werden uns fragen, wer uns denn auf die Idee bringt, dass das nicht reicht. Dass unser Land nicht genug tut in dieser Krise. Ich sage Ihnen, wer uns auf diese Idee bringt: Die meisten ANDEREN Bundesländer!

Ich habe Sie erst gestern wieder an das landeseigene Hilfspaket in Niedersachsen erinnert. Ein Milliardenpaket, zusätzlich vom Land! Und schauen Sie sich ihren Lieblingsnachbarn Markus Söder an: Bayern nimmt bald ZWEI MILLIARDEN Euro für einen eigenen Härtefallfonds in die Hand. Die handeln offensichtlich auch ohne „bedrohliche Lücken“ in den Bundeshilfen. Und sie handeln, obwohl sie die Bundeshilfen auch mitfinanziert haben!

Aber in diesen Ländern und vielen anderen hat man begriffen, dass es jetzt eine große, gemeinsame Kraftanstrengung ALLER braucht. Dass ALLE anpacken müssen, um diesen Karren durch den Dreck und aus dem Dreck zu bekommen. Und diese Regierungserklärung zeigt leider deutlich: Sie sehen die Krise. Aber in den Krisenmodus schalten Sie nicht.

Und noch etwas stört mich fundamental an Ihrer Regierungserklärung, aber auch vielen Aussagen der vergangenen Wochen: Sie übernehmen 1 zu 1 die Narrative der CDU, so zum Beispiel, wenn Sie von einer „Winterlücke“ fabulieren. Erstens: Es war eine Empfehlung der Gaspreiskommission, dass die Gaspreisbremse erst ab dem 1.3. eingeführt werden soll. Und wissen Sie warum? Weil nach Einschätzung der Mitglieder der Kommission ein früherer Start technisch nicht möglich ist. Das hat übrigens Herr Habeck erst vorgestern auch hier im Land deutlich gemacht.

Und zweitens hat die Bundesregierung entschieden, die Dezemberzahlung voll!!! zu übernehmen, um die finanziellen Mehrbelastungen der Privathaushalte, aber auch kleiner und mittlerer Unternehmen in diesem Zeitraum bis zur Einführung von Strom- und Gaspreisbremse abzufedern. Genau deswegen fordern wir Sie ja seit Wochen auf, denjenigen zu helfen, bei denen diese Unterstützung nicht ausreicht. Und genau deswegen fordern wir von Ihnen seit Monaten die Einrichtung von Schutzschirmen bzw eines Härtefallfonds.

Also handeln Sie endlich und machen sich nicht zum willigen Erfüllungsgehilfen der CDU! Und, Herr Ministerpräsident, die komplette zweite Hälfte ihrer Rede hätten Sie auch schon vor vier Jahren halten können, ohne Pandemie, ohne alle aktuellen Krisen. Es ist der übliche Ritt ins Grüne, es gibt so viel schöne Pläne und Ziele und Ideen und vor allem keine Fragen, ob man irgendwo auch wirklich vorankommt.

Immer wieder haben wir gehört, dass die Energiewende mit voller Wucht angegangen werden muss. Mit großen, mit größten Investitionsprogrammen. Gerade jetzt! Für unabhängige Energieversorgung! Für ein Ende des Gasimports aus zweifelhaften Lieferländern. Für ein Weltklima, in dem noch Menschen leben können!

Und was machen Sie? Sie zählen auf, dass Sie Dialoge führen und schöne Ziele geschaffen haben. Und gestern erst haben Sie erklärt, wie Sie solche Ziele verstehen: 1000 Windräder werden nicht gebaut, sie wurden nur ERMÖGLICHT. Prima. Baden-Württemberg bleibt ein Schlusslicht beim Ausbau, aber das Ziel stimmt. Und wo gestalten Sie Zukunft, statt sie nur abzuwarten? Wo sind ihre großen Investitionen in die Transformation? In die Digitalisierung? Wo fördern Sie Lösungen gegen den Fachkräftemangel? Glauben Sie wirklich, sie könnten solche lebenswichtigen Zukunftsaufgaben nur mit Strategiedialogen lösen? Mit Bürgerforen und Klimagesprächen?

Man kann über Probleme sprechen, aber dann muss man sie auch lösen. Auch das haben wir in Ihrer Regierungserklärung vermisst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe es zu Beginn schon einmal gesagt: Wir haben lange auf diese Regierungserklärung gewartet, aber das Warten hat sich leider nicht gelohnt. Denn wir warten immer noch darauf, dass diese Landesregierung in dieser Krise agiert. Dass sie handelt, dass sie hilft, dass Sie Schaden von unserem Land wendet. Dass sie begreift, dass man in dieser Lage nicht nur einen, sondern mindestens zwei oder drei Gänge hochschalten muss.

Diese Regierungserklärung wird der Lage nicht gerecht und sie wird nicht einmal ihrem Titel gerecht: „Dringendes tun… Wichtiges vorantreiben… Krise entschlossen bewältigen…. Zukunft mutig gestalten…“

Wo TUT diese Landesregierung etwas, zu was Sie der Bund nicht gedrängt hat? Wo treibt sie irgendetwas voran? Wo BEWÄLTIGT sie etwas, wo gestaltet sie Zukunft? Und wo kommt auch nur der Verdacht auf, diese Landesregierung handle „entschlossen“ oder gar „mutig“? Wir müssen offensichtlich weiter warten. Und das ist ganz schlecht in dieser Krise. Herr Ministerpräsident, sorgen Sie dafür, dass diese Landesregierung in dieser Krise das Ihrige tut. Und das bedeutet nicht, nur unter Zwang zu handeln und nur das absolute Minimum zu tun.

Baden-Württemberg ist ein starkes Land und ein reiches Land. Und es ist ein Land, das in dieser Krise viel mehr zu verlieren hat als andere Länder. Deswegen muss die Landesregierung von Baden-Württemberg jetzt mindestens das tun, was andere Länder in eigener Regie unternehmen, am besten noch mehr und noch entschlossener.

Ich habe es gestern gesagt und ich sage es heute: Wir würden diesen Weg konstruktiv begleiten.

Wenn Sie erklären, dass Sie so regieren wollen, wie es in dieser Krise nötig ist.

Das wäre eine echte REGIERUNGS-ERKLÄRUNG. Und auf die sollten Sie unser Land nicht mehr warten lassen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.