Anhörung der SPD-Fraktion: Experten bemängeln Vernachlässigung der Entlassungsvorbereitung und der Nachsorge

MdL Nik Sakellariou: „Goll will bei den Kernaufgaben des Staates sparen“

Viel Kritik gab es heute bei einer Expertenanhörung der SPD-Fraktion zum Regierungsentwurf eines neuen Strafvollzugsgesetzes. In mehreren Punkten bleibe der Entwurf sogar hinter der gegenwärtigen Gesetzeslage zurück, so das Resümee von Nik Sakellariou, Strafvollzugsbeauftragter der SPD-Fraktion. Bisher sei der Erziehung Jugendlicher die Priorität im Vollzug eingeräumt worden, Fragen der Sicherheit hätten sich daran ausrichten müssen. „Dieses Verhältnis scheint der Justizminister ins Gegenteil verkehren zu wollen, wenn er nun die innere Sicherheit gleich an den Anfang und den Erziehungsauftrag erst in § 21 seines Entwurfs stellt“, so Sakellariou. Dies komme einem Vorzeichenwechsel gleich. Auch auf eine spezielle pädagogische Ausbildung für Bedienstete im Jugendstrafvollzug wolle Goll verzichten, entgegen der Regelungen von 1953.

Heftige Kritik kam aus der Expertenrunde zu den geplanten Vorschriften zur Entlassungsvorbereitung und zur Nachsorge. Hier sei weder eine Verpflichtung seitens der Anstalt noch ein Rechtsanspruch des Gefangenen auf Unterstützung in dieser wichtigen Phase, wenn nicht sogar wichtigsten Phase des Strafvollzugs, vorgesehen. Dr. Joachim Walter, Leiter der Vollzugsanstalt Adelsheim, erläuterte, dass ein Anspruch gegenüber den Anstalten, sich um die Gefangenen zu bemühen, durchaus gerechtfertigt sei. Durch eine profunde Unterstützung in dieser Zeit, insbesondere durch die Hilfe bei der Aufnahme einer Arbeit, könne die Rückfallquote immens gesenkt werden.

Ein guter Start in die Zeit nach dem Gefängnis sei die wichtigste Voraussetzung für ein weiteres Leben ohne Straftaten. Zurzeit gebe es eine enge Kooperation mit dem DGB-Berufsverbindungswerk und eine projektbezogene Finanzierung über EU-Mittel, aber diese laufe trotz ihrer Erfolge bald aus. „Eine Verankerung im Haushalt dieser 3-4 Stellen wäre mehr als wünschenswert“, so Walter.

Auf Widerspruch bei den Experten stieß auch die Formulierung des Entwurfs zu den Behandlungs- und Erziehungsgrundsätzen. Der Bezug zur „Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, … in der Liebe zu Volk und Heimat…“ halten alle Experten für wesentlich zu hoch gegriffen. „Wir sind schon zufrieden, wenn sie keine Straftaten mehr verüben“, so Walter.

Prof. Dieter Dölling von der Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe sieht insbesondere den christlichen Bezug als Problem, da etwa die Hälfte aller jugendlichen Gefangenen anderen Glaubensrichtungen angehöre.

Auf großes Unverständnis der Fachwelt stößt das Ziel des Justizministers, im Jugendstrafvollzug mit dem neuen Gesetz sogar noch Geld sparen zu wollen. Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts könnten aber nur umgesetzt werden, wenn das dafür erforderliche Geld im Haushalt – wie in den meisten anderen, auch ärmeren Bundesländern – zur Verfügung gestellt werde, so die Experten.

„Solche Gelder sind eine Investition in die Zukunft“, so Rainer Stickelberger, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. „Abgesehen davon gehört die Strafrechtspflege zu den Kernaufgaben des Staates und sollte deshalb auch entsprechend finanziert werden.“ Er hoffe sehr, dass in Baden-Württemberg nicht auch erst ein tragischer Todesfall wie der in Siegburg geschehen muss, damit die Regierung umdenkt, so Stickelberger.

Helmut Zorell
Pressesprecher