Redemanuskript Dr. Stefan Fulst-Blei
Aktuelle Debatte „Aufhebung der Schulpflicht, Sommerentlassungen und mangelnde Nachhilfe – Eisenmann verspielt die Zukunft unserer Kinder“

am 22. Juli 2020

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Es läuft was schief in Baden-Württembergs Schulen!

Seit Beginn der COVID19-Krise treibt uns bildungspolitisch eine große Sorge um: Kinder und Jugendliche, die den Anschluss verlieren. Geldbeutel und Bildungshintergrund der Eltern schlagen voll durch: digitale Ausstattung, Räumlichkeiten, Fähigkeit zur Unterstützung.

Ja, der Bund hat dank SPD-Initiative reagiert und Mittel für Endgeräte bereitgestellt. Erst dann ist das Land nachgezogen. Noch ist aber unklar, ob bis September auch die für einen Fernunterricht notwenigen Geräte und ausreichende Datenverbindungen bereitgestellt werden können.

Es gibt aber noch zahlreiche weitere Problemlagen, welchen oft eines gemeinsam ist: Die Kultusministerin kommuniziert schlecht, schiebt die Verantwortung an Schulleitungen ab und lässt wirkliche Unterstützung vermissen. Das kann so nicht bleiben, Kolleginnen und Kollegen!

Ihr Nachhilfeprogramm unter dem Namen „Lernbrücke“ droht zur „Lernkrücke“ zu werden. Wir haben dies hier schon kritisch reflektiert. Seitdem sind die warnenden Stimmen aber noch lauter geworden. Nicht nur der VBE mahnte am 16. Juli eine bessere Kommunikation an. Auch inhaltlich krankt Ihr Konzept. Sie wollen die Defizite von vier Monaten in zwei Wochen freiwilligem Unterricht am Ende der Sommerferien auffangen. Noch immer wissen Sie nicht, ob Sie dies organisatorisch in dieser Breite gewährleisten können. Und selbst wenn: es wird nicht reichen! Die Schulschließungen haben zu sehr unterschiedlichen Entwicklungsständen geführt. Das muss in einem stark individualisierten Unterricht aufgefangen werden. Von Regelbetrieb kann in den Schulen keine Rede sein. Die zu kurzen Lernbrücken werden das Problem nicht lösen. Zu wenig Zeit, zu wenig Verbindlichkeit!

Es ist zweifelhaft, dass gerade die Schülerinnen und Schüler mit Nachholbedarf die Motivation aufbringen, in zwei Ferienwochen Deutsch und Mathematik zu pauken. Ist die Lernbrücke aber zu kurz, fällt das Kind ins Wasser! Das dürfen wir aber nicht zulassen!

Ich sage Ihnen heute erneut: Viel sinnvoller wäre es, den Schulen ein Budget zur Verfügung zu stellen, um auch während des Schuljahres Nachhilfe anzubieten. Ein wesentlicher Baustein könnte hier die Einbindung externer Partner sein, wie zertifizierte Dozentinnen und Dozenten von Volkshochschulen oder Nachhilfeinstituten. Viele Schulleitungen unterstützen diesen Vorschlag und fordern, dass sie Nachhilfe auch verbindlich anordnen können. Auch brauchen wir mehr pädagogische Assistenzkräfte oder auch Studierende, die Lehrkräfte unterstützen. Das alles können Sie im SPD-Konzept „Das krisenfeste Klassenzimmer“ nachlesen. Ihr Lernbrücken-Programm dagegen greift zu kurz, Sie wissen das!

Zusammen mit Ihrer unsäglichen Debatte innerhalb der Regierung um die Schulpflicht wird daraus eine toxische Mischung. Ein Anruf genügt und die Schulpflicht ist faktisch passé? Soll das über Monate so laufen? Wie wollen Sie verhindern, dass ausgerechnet diejenigen Kinder und Jugendlichen zu Hause bleiben, die Förderung besonders nötig hätten?

Welche Antwort geben Sie hier? Können Sie hier z.B. auch aufsuchende Arbeit gewährleisten? Gibt es hier klare Verabredungen mit den Kommunen? Stichwort aufsuchende Schulsozialarbeit.

Wie wollen Sie Kinder einbinden, die zuhause bleiben müssen. Haben Sie geklärt, dass Kinder dann per Videoschalte teilnehmen können? Ist das datenschutzrechtlich geklärt? Das ist Ihre Aufgabe, nicht die der Schulleitungen. Und bitte hierzu ausnahmsweise heute mal eine konkrete Antwort, Frau Ministerin!

Gestern übrigens hat mich noch eine Anfrage einer geschiedenen Mutter erreicht: was passiert eigentlich, wenn sich die Eltern nicht einig sind? Nein, das ist alles nicht durchdacht.

Für die SPD ist die Schulpflicht, ist das Recht auf Bildung ein sehr hohes Gut. Bevor dieses per Anruf ausgesetzt wird, ist ein Attest über potentiell erschwerte Covid-19-Verläufe notwendig.

Ihre bisherige Politik droht die Bildungsschere weiter zu öffnen. Das ist unverantwortlich!

Und dann noch: „Alle Jahre wieder, fliegt die Lehrkraft raus…“

Man könnte meinen, es ist halt Business as usual: der Sommer kommt und die fertigen Referendare und befristeten Lehrkräfte werden entlassen. Aber nein, 2020 ist kein normales Jahr. Dieses Jahr müsste die Landesregierung endlich diesen sozialpolitischen Missstand abstellen und Beschäftigte, die ja sowieso nach der Pause wieder eingestellt werden, nicht 6,5 Wochen in die Arbeitslosigkeit senden.

Dieses pädagogische Fachpersonal wird nämlich mehr als je zuvor gebraucht: niemals zuvor in der Geschichte des Bundeslandes war die Versorgung der Schulen mit Lehrkräften so unklar wir heute. Noch nie gab es eine solche Unsicherheit in welcher Form Unterricht im nächsten Schuljahr überhaupt stattfinden kann. Fernunterricht, Präsenzunterricht, Hybridunterricht als Mischung von beidem? Entsprechend groß ist der Vorbereitungsaufwand für Lehrkräfte, gerade wenn sie neu in diesen Beruf einsteigen.

Dieser Missstand wird zum Zynismus, wenn jetzt in Aussicht gestellt wird, dass die Kolleginnen und Kollegen ja früher eingestellt werden können, wenn sie am Lernbrückenprogramm teilnehmen. Und was ist mit der Vorbereitungszeit?

Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, dass dies für die Betroffenen richtig übel ist. Viele kämpfen dafür, dass dieser Missstand aufgehoben wird. Meine Partei hat den Turnaround bereits 2016 beschlossen. Grüne und CDU blockieren dagegen auch noch 2020.

Wer Lehrkräfte, die er händeringend braucht, bis zu 6,5 Wochen für sich arbeiten lässt, ohne sie dafür angemessen zu bezahlen, ist eines: ein schlechter Arbeitgeber!

Spätestens in diesem Jahr, in dieser Krise hätten Sie diesen Missstand beseitigen müssen! Es geht um 9.000 Beschäftigte!

Ausnutzen statt bezahlen: das ist Ihre Politik! Das muss ein Ende haben! Stellen Sie die betroffenen Lehrkräfte über den gesamten Sommer ein!

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

markus
Markus Sommer
Berater für Wissenschaft, Forschung und Kunst