Redemanuskript Andreas Stoch
1. Bericht des Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg gegen Antisemitismus

am 16. Oktober 2019

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit der Bestellung eines Beauftragten gegen Antisemitismus hat Baden-Württemberg eine Pionierrolle in Deutschland eingenommen. So sagt das die Landesregierung, und da kann ich der Landesregierung nur Recht geben.

Leider kann ich mich nicht nur freuen darüber, und ich glaube, kein anständiger Mensch in diesem Land kann sich nur darüber freuen. Denn wenn ich erlebe, wie brandaktuell die Aufgaben eines solchen Beauftragten heute sind, fast 75 Jahre nach dem Ende der Nazizeit und der Menschheitskatastrophe der Judenverfolgung, dann wird mir kalt.

Antisemitismus zu begegnen sollte in unserem Land im 21. Jahrhundert Prävention bedeuten, Aufklärung, Begegnung. Es sollte bedeuten, das Wissen um die Ungeheuerlichkeiten des 20. Jahrhunderts wach zu halten. Ein Wissen, dass uns niemals verloren gehen darf.

Und es sollte bedeuten, auch ein ganzes Menschenleben nach dem Ende des sogenannten Dritten Reiches weiter an einem Miteinander von Juden und Nichtjuden zu arbeiten, an einem Miteinander unseres Landes und des Staates Israel.

Stattdessen erleben wir, dass wir im Herbst 2019 darüber nachdenken müssen, wie wir jüdische Gotteshäuser besser gegen mörderische Angriffe schützen. 81 Jahre nach der Reichspogromnacht müssen wir es in Angriff nehmen, Synagogen besser durch die Polizei zu schützen, ihre Türen zu panzern.

Das ist eine Katastrophe, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine Schande. Und es bleibt auch eine Schande, wenn Antisemiten in deutschen Parteien eine Heimat oder zumindest eine freundliche Nachbarschaft finden. Dagegen müssen sich alle anständigen Parteien wehren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bericht des Beauftragten gegen den Antisemitismus ist auf traurige Weise hochaktuell geworden, und es ist tragisch, dass wir uns über Sicherheitsmaßnahmen Gedanken machen müssen. Das ist nötig, das ist dringlich, das geht sicher vor.

Doch wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Bericht uns viele andere Handlungsempfehlungen bietet, dass er uns Vorschläge zu Prävention, zu Bildung, Begegnung und Aufklärung bietet. Auch das ist dringend, und auch das sollten wir uns dringend zu Herzen nehmen. Und besonders dringend ist eine angemessene Reaktion auf alle Formen des Antisemitismus, also auch auf verbalen Antisemitismus, auf Anfeindungen, auf Hassmails, auf unerträgliche Anspielungen in der politischen Kommunikation.

Tatsächlich scheint nicht mehr selbstverständlich, was noch vor zwei Jahrzehnten selbstverständlich war in diesem Land, und das zeigt uns der Bericht deutlich. Die Aufklärung über die Judenvernichtung lässt nach, die pädagogische Begleitung ist oft veraltet oder findet nur noch pro forma statt.

Konkret kann der Besuch einer Gedenkstätte durch eine Schulklasse symbolisch bleiben, wenn dieser Besuch nicht gut vor- und nachbereitet wird. Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer schlägt der Bericht ausdrücklich vor. Das ist Prävention, das bietet jüdischem Leben in unserem Land nicht sofortigen Schutz. Aber es ist wichtig und notwendig.

Bemerkenswert finde ich auch die Ratschläge, die der Bericht zur Begegnung mit jüdischem Leben macht. „Mitleid erzeugt noch keinen Respekt“, hat Herr Blume gesagt, und damit meint, er, dass die Vermittlung jüdisches Leben über das Leid der Nazizeit hinausgehen muss, dass man jüdisches Leben auch lebhaft vermittelt. Schließlich empfiehlt uns der Bericht auch ein entschlosseneres Handeln gegenüber auch verbalem Antisemitismus.

Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal an rechtsextreme Wahlplakate erinnern, die in diesem Land eben offenbar nicht abgehängt werden konnten, obwohl man in anderen Bundesländern den Mut dafür aufbrachte.

Und ich erinnere an die enormen Schwierigkeiten, die Betroffene erleben, wenn sie Schmähungen und Bedrohungen verfolgt wissen wollen. Wir lassen hier noch viel zu viel zu, und Attacken wie jüngst in Halle zeigen uns, dass wir das nicht mehr zulassen dürfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor eineinhalb Jahren habe ich an dieser Stelle für meine Fraktion die Einrichtung der Stelle eines Beauftragten gegen Antisemitismus gefordert.

Ich habe damals zum Schluss den irisch-britischen Staatsphilosophen Edmund Burke zitiert:  „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“

Antisemitismus wird geflüstert und geschrien. Er wird gepostet, geliked und geschmiert, er führt zu Anfeindungen, zu Übergriffen, zu Anschlägen.

Wir müssen ihm in jeder Form begegnen. Mit Prävention, mit Bildung, mit Strafverfolgung, leider auch mit Polizeischutz und besserer Sicherung. Und mit Null Toleranz gegenüber allen antisemitistischen Brandstiftern.

Das Böse ist unter uns. Und es DARF nicht triumphieren.

Tun wir was.

Es gilt das gesprochene Wort.