Redemanuskript Sabine Wölfle
Erste Beratung Gesetzentwürfe Inklusives Wahlrecht

am 20. März 2019

Heute diskutieren wir in erster Lesung einen Gesetzentwurf zu einem Thema, welches wir bereits vor einem Jahr hätten parlamentarisch erledigen können.

Es geht um die in Baden-Württemberg geltenden Wahlrechtsausschlüsse für bestimmte Menschen mit Behinderungen. Um genau diesen Menschen für die kommende Kommunalwahl das Wahlrecht zu ermöglichen, liegt uns neben dem Gesetzentwurf meiner Fraktion nun auch einer aus dem Hause Strobl vor.

Zehn Jahre nach der Übernahme der UN-Behindertenrechtskonvention in deutsches Recht ist es ein längst überfälliges Vorhaben, auch diesen Menschen mit Behinderung ihr Recht zu wählen gesetzlich zuzugestehen. Die SPD hat dies in den aktuellen Koalitionsvertrag auf Bundesebene auch hinein verhandelt. Denn: Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen – und hier sind alle Menschen mit Behinderungen gemeint – ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit anderen wahrnehmen können.

Jetzt hat es zehn Jahre gedauert, bis diese Entscheidung endlich bei uns auf der Tagesordnung steht, zu Recht wird dies auch kritisiert. Zu kritisieren ist aber auch die Haltung der CDU, sowohl in Baden-Württemberg als auch im Bund, weil die CDU mit allen Mitteln versucht, das inklusive Wahlrecht im Landtag wie auch im Bundestag aufzuhalten.

Denn der Gesetzentwurf aus dem Haus von Minister Strobl, den die Regierungsfraktionen für die heutige Beratung eingebracht haben, hat nur ein Ziel: für Ruhe bei diesem Thema im Rahmen der kommenden Kommunalwahl zu sorgen. Danach wird das Thema neu auf die Agenda gesetzt.

Mit der Annahme dieses Gesetzes würden die Wahlrechtsausschlüsse in unseren Kommunalwahlgesetzen bestehen bleiben und das, obwohl sie offensichtlich verfassungswidrig sind. Sie würden, nach Ihrer Vorstellung, nur vorrübergehend nicht zur Anwendung kommen. Dafür gibt es nur einen Begriff: Augenwischerei!

Der grüne Sozialminister stimmt in der Ressortabstimmung diesem Gesetzentwurf auch noch zu und die grüne Landtagsfraktion unterzeichnet ihn ohne schlechtes Gewissen! So viel zur grünen Politik zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Was Sie hier vorlegen ist nichts anderes als ein fauler Kompromiss und ein Einknicken vor der CDU!

Ich erinnere an die bisherige Diskussion. Die erste Lesung des am 9. Mai 2018 eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung kommunalwahlrechtlicher Vorschriften durch Herrn Minister Strobl veranlasste mich damals nachzufragen, ob man das inklusive Wahlrecht vergessen hat und ob die Landesbehindertenbeauftragte Stephanie Aeffner eingebunden wurde. Der Innenminister war damals offensichtlich gar nicht im Bilde, worum es mit dem inklusiven Wahlrecht geht.

Im weiteren Verlauf der Debatte hat mein Kollege Stickelberger auf das Fehlen des inklusiven Wahlrechts hingewiesen, ich zitiere erneut, er sagte: „Sie sind vom Thema inklusives Wahlrecht so weit entfernt wie die Erde vom Mond oder vielleicht noch weiter“.

Auffällig war damals schon, dass der für Menschen mit Behinderung zuständige Minister Lucha offenbar gar nichts zu diesem Thema zu sagen hatte.

Es war damals schon klar: die Regierungsfraktionen und die Landesregierung hatten schlichtweg vergessen, über eine entsprechende Regelung zu beraten, obwohl genau das im geltenden Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention festgehalten ist!

Um hier auszuhelfen oder besser gesagt, der Regierung Beine zu machen, denn die Zeit wurde langsam knapp, haben wir damals einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, um das inklusive Wahlrecht noch rechtzeitig vor der Kommunalwahl im Mai 2019 einzuführen. Der wurde aber mit der fadenscheinigen Begründung abgelehnt, man müsse das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten.

Dabei haben Sie das damals schlichtweg verschlafen, nicht nur der Innenminister, auch der Sozialminister und die Fachsprecher für die Belange von Menschen mit Behinderung erst recht.

Hinzu kommt noch, dass Herr Minister Strobl in der Antwort auf unseren Antrag sogar noch bestätigte, dass die Einbindung der Landes-Behindertenbeauftragten deshalb nicht erfolgte, weil es keine diesbezüglichen Regelungen im Gesetzentwurf gab. In der 2. Lesung aber behauptete er, das inklusive Wahlrecht sei nicht übersehen worden. Was für Widersprüche !

Frau Aeffner hat damals zu Recht gesagt, dass es nicht sein kann, dass Politik nur handelt, wenn ihr per Urteil attestiert wurde, dass die bisherige Praxis verfassungswidrig ist.

Sie hätten das damals in ihrem Gesetz regeln können oder einfach nur unseren Änderungsantrag annehmen können. Aber Sie wollten gar nichts ändern, sie hatten das Thema nicht einmal auch nur ansatzweise auf dem Schirm. Dann wird permanent, auch in Presseverlautbarungen, behauptet, man habe keine Insellösung gewollt und ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wäre eine Regelung nicht möglich. Merkwürdig nur, dass es da scheinbar mehrere Inseln gibt, ich nenne da Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Saarland. Diese haben die Wahlrechtsausschlüsse bereits entweder ersatzlos gestrichen oder sind bereits im parlamentarischen Verfahren.

Und was wäre passiert, wenn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Februar nicht gekommen wäre? Ich sage es Ihnen: dann hätten Sie gar nichts gemacht.

Wir haben vor wenigen Wochen nun erneut einen Gesetzentwurf eingebracht um auf den letzten Metern die Teilnahme an der Kommunalwahl noch möglich zu machen. Kurz nach der Einbringung unseres Gesetzentwurfs kam dann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und jetzt war die Aufregung bei Grünen und CDU riesengroß. Jetzt musste schnell was Eigenes her, denn auf keinem Fall wollte man unseren Entwurf annehmen.

Es passt aber leider zur Historie des gesamten Ablaufs, dass jetzt erneut nichts Gescheites dabei herausgekommen ist.

Denn der vorliegende Gesetzentwurf aus dem Hause Strobl hebt die offensichtlich verfassungswidrigen Passagen nicht auf, er setzt ihre Anwendung einfach nur aus. Man will sich offenhalten, zu einem späteren Zeitpunkt Regelungen zu finden, weiterhin bestimmte Menschen vom Wahlrecht auszuschließen.

Deshalb  möchte ich noch einmal für unseren Gesetzentwurf werben – denn:

  • nur unser Gesetzentwurf streicht offensichtlich verfassungswidrige Regelungen aus unserem Kommunalwahlrecht; wer das nicht tut, hält Diskriminierungen aufrecht, auch wenn er ihre Anwendung temporär aussetzt
  • nur unser Gesetzentwurf bewahrt die Parallelität zu dem im Bundestag vereinbarten Wahlrechtsänderungen
  • und sollte man im Bundestag entgegen der dort getroffenen Vereinbarungen doch noch mehr ändern, dann könnte man im Nachgang bei uns die Gesetze auch noch mal ändern; das muss man beim Gesetzentwurf aus dem Hause Strobl aber ohnehin

Warum also jetzt eine Übergangslösung, wie sie die Regierungskoalition jetzt vorschlägt? Der Grund ist einfach: im Bund so auch hier sucht die CDU weiterhin nach Wegen, bestimmte Menschen in Zukunft auszuschließen. Genau das steckt dahinter.

Die Lebenshilfe, die LAG Selbsthilfe und andere haben zum jetzt vorliegenden Entwurf aus dem Hause Strobl eine klare Position: Man versteht ebenso wenig wie wir, warum es, anders als im SPD-Gesetzentwurf, keine dauerhafte Regelung gibt. Sie von Grün und Schwarz bauen sich hier eine Hintertüre mit dem Ziel, die Wahlrechtsausschlüsse zu erhalten.

Liebe grüne Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie doch mal, was Minister Strobl Ihnen da auf Seite 2 in Ihren Gesetzentwurf geschrieben hat! Da steht unter der Alternative der Annahme unseres Gesetzentwurfs – ich zitiere – „und ggf. spätere Neuschaffung von Wahlrechtsausschlüssen“. Damit liefern Sie uns den wahren Grund für die Übergangslösung sogar schriftlich.

Und wo bleibt die Intervention des Ministers Lucha? Dröhnendes Schweigen …

Ich möchte abschließend feststellen: es geht hier um Rechte und um ein klares Zeichen, dass wir Inklusion verstanden haben und wir endlich anerkennen, dass Menschen mit Behinderung nicht ausgeschlossen werden dürfen und wir ihnen die gleichen Rechte zugestehen, die Nicht-Behinderte auch haben.

Es ist am Ende nicht entscheidend, ob das Recht zu wählen wahrgenommen wird, es geht um das Recht selber, nicht mehr und nicht weniger.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik