Redemanuskript Andreas Stoch
Antrag der SPD Drucksache 16/5885 „Grün-Schwarze Landesregierung: Endstation Direkte Demokratie“

am 15. Mai 2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

in Baden-Württemberg streiten wir aktuell vor Gericht um ein Volksbegehren, und während dieses Verfahren seinen Weg geht, sollten wir heute einmal ganz grundsätzlich beleuchten, wo wir stehen.  Ich will Kretschmanns Gretchenfrage stellen: Sag, wie hast Du’s mit der direkten Demokratie?

Seit der Einführung im Jahr 1974 gab es in diesem Land kein Volksbegehren. Ich zitiere den Volksbegehrensbericht 2019 von Mehr Demokratie: „Die Tabellen belegen schließlich, dass die direkte Demokratie in einigen Bundesländern nur auf dem Papier vorhanden war. In Baden-Württemberg fand noch kein einziges Volksbegehren zu Sachfragen statt“.

Das sagt Mehr Demokratie, deren Landesgeschäftsführerin Sarah Händel ich recht herzlich begrüßen möchte. Und in der Pressekonferenz vom 7.Mai wurde es noch deutlicher: In Bezug auf die Landesregierung war die Rede von Zitat: „Verarsche engagierter Bürger“ und „Feigheit“, die Beteiligungsform werde „nur als Störfaktor empfunden“

Das ist eine ungeheure Ohrfeige für ein Bundesland, dessen Regierung von Grünen angeführt wird, von einem  Ministerpräsidenten, der 2011 eine Politik des Gehörtwerdens versprach und 2014 mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie, das Ganze mit den Worten von Willy Brandt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“.

Und dabei geht es eben um nichts anderes als die Frage, ob dieses Mehr an Demokratie auch ernst gemeint ist und echte Entscheidungen herbeiführen kann.

Vor 17 Jahren war das bei den Grünen noch ganz klar, als Politiker wie Cem Özdemir, Rezzo Schlauch und Fritz Kuhn deutlich die Position vertraten, dass Volksgesetzgebung keinen Finanzvorbehalt kennen darf, wie er jetzt von der Landesregierung vorgebracht wird. Und das ist ja auch völlig logisch: Alle ernsthaften Entscheidungen haben immer auch finanzielle Auswirkungen, wenn man die untersagt, darf direkte Demokratie gar keine Auswirkungen mehr haben.

Nun gibt es viele Menschen in diesem Land, die das nicht wundern wird. So ist halt der Kretschmann, werden sie sagen, eigentlich kein Grüner, sondern ein Konservativer mit einem Köfferchen Öko. Aber auch das war ja mal ganz anders: Ich zitiere Winfried Kretschmann aus einem Interview im Jahr 2011:  „Das Volk sollte über alles abstimmen können, über das das Parlament auch abstimmen kann.“

Nun hat es in Baden-Württemberg 2011 eine Volksabstimmung gegeben, bei der es um eine runde Milliarde ging, für Stuttgart 21 nämlich. Und der Ministerpräsident hat erst in diesem Frühjahr wieder erklärt, dass diese Volksabstimmung natürlich zulässig war. Der Sachverhalt sei halt irgendwie ein anderer gewesen, sagt der Ministerpräsident, und sein Innenminister wird noch deutlicher: Damals hätten Regierung und Parlament die Abstimmung auf den Weg gebracht – jetzt sei der Antragsteller aber eine Partei.

Wenn eine Partei an der politischen Willensbildung mitwirkt, ist das für Minister Strobl also ein Tabu. Für mich ist das Demokratie.

Kurz gesagt: Volksabstimmungen sind in den Augen der aktuellen Landesregierung am besten nur von der Regierung selbst herbeizuführen und eben gerade nicht per Volksbegehren. Und wenn nicht gerade die Regierung hinter der Initiative steht, darf so ein Begehren auch keine finanziellen Auswirkungen haben, also am besten gar keine Auswirkungen.

Was sagt man dazu? Ich habe da ein Zitat des Kollegen Sckerl: „Das angeblich gewollte Korrektiv zur repräsentativen Demokratie ist zur Farce verkommen.“ Ich sage gleich dazu, dass er das schon 2009 zur damaligen Lage gesagt hat, es wirkt aber doch immer noch sehr aktuell.

Aber der Kollege Sckerl hat noch mehr gesagt: Im März sagte er der Stuttgarter Zeitung (ich zitiere):

„Sollte der Verfassungsgerichtshof die sehr weitreichende Einschätzung des Innenministeriums teilen, müssen wir Änderungen prüfen. Es kann nicht sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nur Volksabstimmungen über Sonnenschein und Regen abhalten“.

Kollege Sckerl, das verstehe ich vollkommen. Aber wie kommt es, dass die Landesregierung das nicht mehr verstehen will?

Und es geht ja noch weiter: Wenn Sie sich im Internet im offiziellen Beteiligungsportal der Landesregierung über Volksbegehren informieren wollen, werden Sie auf die Seite der Landeszentrale für politische Bildung verwiesen. Dort steht: „Anders als in anderen Bundesländern ist das Finanztabu weniger strikt und umfasst nur das Staatshaushaltsgesetz an sich. Kosten verursachende Gesetzentwürfe sind zulässig.“  Das ist die offizielle Aussage über die Rechtslage in diesem Land und dann frage ich mich schon, welches Land dann der Ministerpräsident regiert? Hat Baden-Württemberg noch ein Untergeschoss mit anderen Regeln?

Wir werden es herausfinden, denn der Verfassungsgerichtshof hat den Landtag ja nun zu einer Stellungnahme im Streitfall um unser Volksbegehren gebeten. Die Regierungsfraktionen haben ihre Entscheidung im Ständigen Ausschuss zwar letzte Woche vertagt, aber

ich freue mich Sie daran erinnern zu dürfen, dass der Landtag in der Sache bereits im Jahr 2012 Stellung bezogen hat. Auch damals ging es um den Finanzvorbehalt, und zwar bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21.  Ich zitiere die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses, dem der Landtag damals ohne Widerspruch  zugestimmt hat:

„Die Gesetzesvorlage betrifft auch nicht das Staatshaushaltsgesetz als solches. Der Verfassungsgerichtshof für Sachsen sieht für die dortige Parallelvorschrift in der sächsischen Landesverfassung einen engen Anwendungsbereich unter ausdrücklichem Verweis auf die vergleichbare Rechtslage in Baden-Württemberg.

Diese Auffassung wird auch von der Landesregierung vertreten. Es ist offenkundig, dass nicht jede finanzielle Auswirkung eines Gesetzes dazu führen kann, dass eine Volksabstimmung hierüber nach Artikel 60 Absatz 6 LV ausgeschlossen ist. Würden alle finanziellen Auswirkungen dazu führen, dass eine Volksabstimmung ausgeschlossen wäre, wäre praktisch kein Raum für jegliche Volksabstimmungen. Dieses Ergebnis würde sicher nicht dem Willen des Verfassungsgebers entsprechen, der Volksabstimmungen grundsätzlich ermöglichen wollte. Dementsprechend gehen auch die Kommentare zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg davon aus, dass finanzwirksame Gesetze, auch bei stärkeren Auswirkungen, nicht von der Volksabstimmung ausgeschlossen sind (…).“

Wenn eine grün geführte Regierung 2012 diese Aussage traf und eine grün geführte Regierung 2019 kein Volksbegehren über gebührenfreien Kita-Besuch zulassen will, kann man das nur noch mit politischer Persönlichkeitsspaltung erklären. Wenn eine Partei, die sich wieder und wieder die direkte Demokratie auf die Fahnen schrieb, eine Partei, die ausdrücklich den Weg unterstützte, den wir jetzt gehen – wenn diese Partei aus tagespolitischen Erwägungen ihre Grundsätze versenken würde, dann wäre das ein Super-Gau für die politische Glaubwürdigkeit dieser Partei. Es würde bedeuten, dass eine Partei, die in diesem Land noch nicht einmal 40 Jahre alt ist, schon ihre eigenen Wurzeln verbrennt. Dass sie Angst hat vor dem eigenen Volk. Und es würde bedeuten, sich nicht nur über die Landesverfassung, sondern auch über das Grundgesetz hinweg zu setzen.

Uns geht es darum, dass wir direkte Demokratie in der Art und Weise ermöglichen wollen, wie sie unsere Gesetze vorsehen.

Wer direkte Demokratie aber nur in Sonntagsreden preist und im Alltag unmöglich machen will, der steht nicht für Volksbegehren, sondern für Volksverdummung. Ich schließe mich daher dem Appell von Mehr Demokratie an und fordere alle Abgeordneten des Landtags von BW auf: Halten Sie ihr Versprechen von 2015 und bekennen sie sich zur direkten Demokratie.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Geßmann Fraktion
Simone Geßmann
Beraterin für Recht, Verfassung, Medienpolitik