SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid: „Das höchste Gericht im Land wird dem Finanzminister und der Regierung einen Verfassungsverstoß attestieren“

Grünen-Fraktionschef und Spitzenkandidat Winfried Kretschmann: „Der Ministerpräsident hat sich kurz vor der Wahl ins rechte Licht rücken wollen – ohne Rücksicht auf die Landesverfassung“

Verfassungsrechtler Professor Wieland: „Die rechtliche Stellungnahme für die Landesregierung würde ich an einer Universität nicht akzeptieren: Sie hat nicht einmal die Qualität einer Seminararbeit“

Die SPD-Fraktion und die Fraktion der Grünen im Landtag werden heute beim Staatsgerichtshof ihre Antragsschrift in Sachen EnBW-Aktienkauf einreichen. Zuvor geben Nils Schmid, SPD-Spitzenkandidat und Fraktionsvizechef, sowie Winfried Kretschmann, Spitzenkandidat und Fraktionschef der Grünen, die Antragsschrift in einer Pressekonferenz bekannt. Dabei bewertet der Verfassungsrechtler Professor Joachim Wieland auch die „rechtliche Stellungnahme“ der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz vom 15. Dezember 2010, die von der Landesregierung für diesen Vorgang angefordert wurde, als vollkommen unzureichend.

Schmid verbindet mit der Klage ein klares Ziel: „Das höchste Gericht im Land wird dem Finanzminister und der Regierung Mappus attestieren, mit ihrem eigenmächtigen Handeln beim Kauf der Unternehmensanteile das Haushaltsrecht des Parlaments verletzt und damit gegen die Verfassung verstoßen zu haben.“ Kretschmann sieht im Handeln der Regierung einen klaren Machtmissbrauch: „Der Ministerpräsident hat sich kurz vor der Wahl durch das Geschäft ins rechte Licht rücken wollen – ohne Rücksicht auf die Landesverfassung und auf das Parlament als Haushaltsgesetzgeber.“ Beide Politiker hoffen auf eine baldige mündliche Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof, wobei ein Termin noch vor der Wahl sehr unwahrscheinlich sei.

Nils Schmid, selbst promovierter Jurist, betont grundsätzlich den Stellenwert des Haushaltsrechts für ein Parlament: „Im Interesse einer geordneten Haushaltsführung in einem demokratischen Gemeinwesen kommt dem Parlament das Budgetrecht zu – das sogenannte Königsrecht des Parlaments.“ Hiervon seien nur wenige Ausnahmen geregelt, wie zum Beispiel das Notbewilligungsrecht, das in Fällen von Naturkatastrophen und Unglücken dem Finanzminister die Möglichkeit einräumt, über- und außerplanmäßige Ausgaben zu tätigen. „Es ist untragbar, dass sich ein Ministerpräsident selbstherrlich über unsere Verfassung stellt, den Finanzminister instrumentalisiert und ein Recht für Notfälle missbraucht, um ein Wahlkampfmanöver zu inszenieren“, empört sich Schmid.

Kretschmann greift die Widersprüche auf, in die sich die Regierung in den vergangenen Tagen verstrickt hatte: „Zur Frage der rechtlichen Beratung sprach der Ministerpräsident zunächst von einem verfassungsrechtlichen Gutachten, daraus wurden im Schreiben seines Staatsministers dann interne Memos und aus denen wurde dann ein mündliches Gutachten.“ Genauso widersprüchlich seien die Angaben über die Information des Finanzministers, der ausweislich der Verfassung im Falle der Notbewilligung der Herr des Verfahrens ist. „Im Plenum erklärte der Ministerpräsident, dass das Finanzministerium das Geschäft geprüft habe. Später werden in der Presse Koalitionskreise zitiert, wonach der Finanzminister erst wenige Stunden vor Vertragsunterzeichnung vom Ministerpräsidenten informiert wurde“, zeichnet der Grüne die jüngsten Entwicklungen nach. Mappus habe sich erst gestern geweigert, die Frage zu beantworten, wann der zuständige Minister Stächele informiert worden ist.

Antragsschrift: Vorgehen nicht „unabweisbar“
Die Antragsschrift wurde erstellt von Professor Martin Morlok von der Universität Düsseldorf, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, sowie von Professor Joachim Wieland von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Wieland sowie der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Sebastian Roßner als Vertreter von Professor Morlok unterstreichen, dass bei der Klage neben der Betonung des Haushaltsrechts in den Händen des Parlaments das Hauptaugenmerk auf der Frage nach der Unvorhersehbarkeit und Unabweisbarkeit der Ausgabe liege. Nach Artikel 81 der Landesverfassung ist vorgesehen, dass der Finanzminister „im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses“ eine Zustimmung zu einem Vorgang erteilen kann.

Unvorhersehbarkeit: „Es ist für uns kaum vorstellbar, dass die Landesregierung zum Zeitpunkt des letzten Haushaltsbeschlusses im Juli 2010 noch nicht bemerkt hatte, dass die Aktionärsvereinbarung bei der EnBW zum Ende des Jahres auslaufen und das Land hier zumindest ein Kaufinteresse haben würde“, sagte Roßner.

Unabweisbarkeit: Wieland betont, dass es auf jeden Fall an der für das Notbewilligungsrecht erforderlichen Unabweisbarkeit fehle: „Zum einen begründet eine – zumal fragliche – Gewinnaussicht keine unbedingte Notwendigkeit für eine Ausgabe und zum anderen mangelt es an einer Dringlichkeit, die es tatsächlich unmöglich gemacht hätte, einen Nachtragshaushalt einzubringen.“

Gemäß der geltenden Rechtslage sei der Finanzminister in einem solchen Fall verpflichtet, beim Präsidenten des Landtags anzufragen, ob ein entsprechender Nachtragshaushalt verabschiedet werden könne. „Dies ist im vorliegenden Fall – wie schon vor vier Jahren bei der Privatisierung der Bewährungshilfe – unterblieben“, erläutert Roßner. Dass der Finanzminister womöglich erst Stunden vor dem Vertragsschluss von dem geplanten Verkauf erfuhr, sei durch die Art der Geschäftsführung der Regierung selbst verschuldet und könne daher keine Rolle spielen.

Völlig unverständlich ist es für Wieland, dass der Ministerpräsident die verfassungsrechtlich notwendige Zustimmung des Parlaments zur Verhandlungsmasse mit der EdF machen konnte. „Die Landesverfassung darf niemand zur Disposition stellen – schon gar nicht der Ministerpräsident, der einen Eid auf sie geschworen hat und erst recht nicht, wenn es um einen langfristig planbaren Kauf von Aktien geht“, erklärt Wieland.

Der Versuch des Ministerpräsidenten, den Verfassungsbruch mit kollidierendem Bundesrecht zu rechtfertigen, weist Roßner in der Antragsschrift deutlich zurück. „Die bundesrechtliche Veröffentlichungspflicht des Übernahmeangebots nimmt dem Landtag nicht das Recht, in einem Gesetzgebungsverfahren für einen Nachtragshaushalt die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Aktienkauf zu schaffen“, erläutert er.

Unzureichende „Rechtliche Stellungnahme“ für die Landesregierung
Der Verfassungsrechtler Professor Joachim Wieland, einer der beiden Autoren der Antragsschrift, bewertet die „rechtliche Stellungnahme“ der Anwaltskanzlei, die von der Landesregierung angefordert wurde, als unzureichend. Er unterstreicht, dass eine mündliche Erstattung eines solchen Gutachtens, die von der Kanzlei nach Angaben von Ministerpräsident Mappus vorgelegt wurde, vollkommen unüblich sei. „Allein schon wegen haftungsrechtlicher Fragen ist es schwer vorstellbar, dass ein solches Gutachten mündlich erstattet werden könnte“, betont Wieland: „Die Gefahr von Missverständnissen ist hier doch viel zu groß.“

Der Professor hält das sogenannte Gutachten auch inhaltlich für alles andere als überzeugend: „Diese Stellungnahme würde ich an einer Universität nicht akzeptieren: Sie hat nicht einmal die Qualität einer Seminararbeit“, betont Wieland. Ihm fehlt vor allem eine rechtliche Auseinandersetzung der Autoren mit dem Urteil des Staatsgerichtshofes, der vor rund drei Jahren genau zur Frage des Notbewilligungsrechts eine sorgfältige Entscheidung getroffen habe. „Es kann doch nicht sein, dass Juristen ein solches Urteil vollkommen außer Acht lassen“, erklärt Wieland. Selbst der Umfang der Stellungnahme von fünf Seiten – wobei der größte Teil sich auch noch auf die Beschreibung des Sachverhalts beschränke – sei in keiner Weise nachvollziehbar.

Der Verfassungsrechtler hält es auch für sehr überraschend, dass die Landesregierung ihren eigenen Ministerien offenkundig nicht genügend Sachverstand zutraue, um die rechtlichen Fragen zu prüfen. „Es ist ohne Vorbild, dass eine Landesregierung ihre eigenen Juristen in einer solchen Frage übergeht“, erklärt Wieland.

Stuttgart, 9. Februar 2011

Dr. Roland Peter
Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion

Wolfgang Schmitt
Pressesprecher der Fraktion Grüne