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Die Akademisierung der Pflege- und Therapieberufe ist notwendig, weil
die Anforderungen an die Pflege- und Therapieberufe steigen und sich im Rahmen einer Ausbildung nicht mehr zukunftsfest abbilden lassen.
 Pfleger:innen und Therapeut:innen zunehmend Kenntnisse der Medizin besitzen müssen, um für ein effizientes Zusammenspiel von Pflege, Therapie und Medizin erfolgreich mit und an den zu Pflegenden und Patient:innen arbeiten zu können.
 das Studium u.a. die Bedingung ist, um die notwendige fachliche Augenhöhe zwischen Pfleger:innen, Therapeut:innen und Ärzt:innen für das erfolgreiche Zusammenspiel herzustellen.
 z.B. die Interpretation wissenschaftlicher Daten eine akademische Kompetenz ist, die ein Studium
erfordert.
 es diese akademischen Abschlüsse in fast allen anderen Ländern bereits gibt und die aktuelle Situation damit einen Wettbewerbsnachteil für Baden-Württemberg darstellt.

1. Die Gründe, die schnelles Handeln erfordern

1.1 Die demographische Entwicklung
Die baden-württembergische Gesellschaft altert. Daraus entsteht ein erhöhter Bedarf an Pflege- und Therapiefachkräften, der mit den aktuellen Ressourcen nicht zu decken ist. Es droht ein Fachkräftenotstand
in den Pflege- und Therapieberufen. Der Bedarf allein an Pflegefachkräften wird zwischen 24.000 und 100.000 Vollzeitstellen bis zum Jahr 2040 beziffert. Das Statistische Landesamt hat angekündigt, im
Herbst zum Pflegefachkräftemangel belastbare Zahlen vorzulegen. In den Berufen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie kommt lediglich auf jede zweite bis dritte freie Stelle eine Bewerbung. Unterbelichtet ist in der Diskussion zudem, dass die anstehenden Herausforderungen nicht nur durch einen bloßen Aufwuchs an ausgebildeten Pflege- und Therapiefachkräften gedeckt werden kann. Die wachsenden
Anforderungen an die genannten Berufe in der täglichen Arbeit erfordert eine verstärkte Akademisierung der Pflege- und Therapieberufe, insbesondere der Physiotherapie, der Ergotherapie und der Logopädie.
Der sich abzeichnende Pflegenotstand erfordert politische Anstrengungen in unterschiedlichen landespolitischen Bereichen und auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen. Deshalb haben wir bereits Vorschläge
zur Pflegeassistenz sowie für effizientere Verfahren der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in den Gesundheits- und Pflegefachberufen vorgelegt.

1.2 Die quantitative und qualitative Weiterentwicklung der Therapie- und Pflegeberufe
Im europäischen Vergleich weisen Deutschland und auch Baden-Württemberg ein enormes Defizit an Quantität und Qualität in den entsprechenden Therapie- und Pflegeausbildungen auf.
Hierfür steht die bereits 2012 vom Wissenschaftsrat empfohlene Akademisierungsquote. Sie sollte zwischen zehn und 20 Prozent liegen. Noch im vergangen Jahr lag die Quote, welche die Studierenden eines
primärqualifizierenden Studiengangs in den Therapieberufen ins Verhältnis zu den Fachschüler:innen in den Therapieberufen setzt, bei der Physiotherapie bei neun Prozent, bei der Ergotherapie bei einem Prozent und bei der Logopädie bei sieben Prozent. Für die Pflege kann laut Landesregierung derzeit keine aussagekräftige Quote berechnet werden, da die Zahlen der Studien- und Ausbildungsanfänger:innen derzeit nicht durchgehend erfasst würden. Wenn wir aber mit Zahlen des Statistischen Landesamts von ca. 6.000 Anfänger:innen einer Pflegeausbildung im Jahr 2022 in Baden-Württemberg ausgehen, bräuchten wir mindestens 600 Studienplätze jedes Jahr und selbstverständlich auch so viele Erstsemester-Studierende.
Selbst wenn wir alle Studierenden der Pflege in unterschiedlichsten Studiengängen und an den unterschiedlichsten Hochschulen zusammennehmen, erreichen wir diese Zahl aktuell nicht. Kurzum: Die Weiterentwicklung der Therapie- und Pflegeberufe geht zu langsam voran. Schon der Ausbau der Studienplätze in der Pflege auf zehn Prozent stellt ein ambitioniertes Ziel dar. Die Akademisierung muss zu einem
kontinuierlichen Prozess werden, der 20 Prozent als nächstes Etappenziel im Blick hat. Durch die immer enger werdende notwendige Zusammenarbeit mit z.B. den Ärzt:innen ist eine qualitative
Weiterentwicklung der Pflege- und Therapieberufe hin zu einem primärqualifizierenden Studium erforderlich. Die akademische Sozialisation vereinfacht diese Zusammenarbeit und fördert z.B. die Fähigkeit,
mit wissenschaftlichen Daten umzugehen. Die wachsende Profilierung der Pflege- und Therapieberufe als Studium bedeutet auch die Unterstützung eines Kulturwandels hin zur Augenhöhe zwischen Pfleger:innen und Therapeut:innen mit den Mediziner:innen in der Berufspraxis.

1.3 Der Rückstand gegenüber anderen europäischen Staaten
Gerade der Blick ins Ausland zeigt, wie sehr Baden-Württemberg bei der Fachkräfteentwicklung im Bereich Pflege- und Therapieberufe hinterherhinkt. In vielen Nachbarländern sind die Therapie- und Pflegeberufe bereits vollständig akademisiert. Ein wichtiger Aspekt nimmt dabei der interdisziplinäre Anteil im Studium ein. Dieses Gefälle im internationalen Vergleich führt zu zwei für den Standort Deutschland negativen Tendenzen. Erstens wandern Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung und Interesse an einem Pflege- oder Therapiestudium ab, z.B. nach Österreich. Zweitens kann den aus diesen Staaten kommenden Fachkräften kein adäquates Angebot gemäß ihrer Qualifikation unterbreitet werden.

1.4 Der gesetzlich geforderte Umbau der existierenden Studiengänge
Neben dem „äußeren“ Druck auf die Akademisierung der Pflege- und Therapieberufe gibt es auch einen „inneren“ Handlungsdruck. Dieser resultiert aus den Gesetzesprojekten, die derzeit auf Bundesebene in
Arbeit sind und dem sich daraus ergebenden Umbau bereits existierenden Studiengänge in Baden-Württemberg. Noch diesen Herbst will die Bundesregierung das Pflegestudiumstärkungsgesetz auf den Weg
bringen, das in erster Linie folgende Punkte klären soll:
 Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Pflege
 Integration der Finanzierung des praktischen Teils der hochschulischen Pflegeausbildung in das bestehende Finanzierungssystem der beruflichen Pflegeausbildung über den Ausgleichsfonds der
Länder
 angemessene Vergütung für die gesamte Dauer des Studiums für die Studierenden über den Ausgleichsfonds der Länder In den Therapieberufen gilt es bis Ende des Jahres auf Bundesebene die Modellstudiengänge in reguläre Studiengänge in den entsprechenden Berufsgesetzen zu verankern. Daraus entsteht für das Land ein Handlungsdruck, dem es bisher aber noch erfolgreich widersteht und
zum Schaden der Pflege- und Therapielandschaft Baden-Württembergs nicht gerecht wird.

2. Forderungen der SPD

2.1 Verdopplung der Studienplätze und flächendeckende Versorgung
Im Bereich Pflegestudium gehen wir für das Jahr 2023 von 350 bis 400 Studienplätzen an zehn Hochschulen bzw. Hochschulstandorten im Land aus, die fast alle ausbildungsintegrierend sind. Da es sich dabei
vorwiegend um Kooperationen mit Pflegeschulen handelt, sind sie bis 2031 befristet. Nach den Vorgaben des angekündigten Pflegestudiumstärkungsgesetzes ergibt sich die Notwendigkeit diese Studiengänge
auf primärqualifizierend umzustellen. In der Physiotherapie haben wir derzeit etwa 150 Studienplätze auf drei Hochschulen verteilt.
In der Ergotherapie lediglich einen Modellversuchsstudiengang an einer privaten Hochschule in Heidelberg und in der Logopädie etwa 20 Studienplätze an der Hochschule Ravensburg-Weingarten.
Es braucht eine Verdopplung der Studienplätze, in der Pflege aber mindestens 600. Aber auch das kann nur die erste Etappe sein. Denn auch mit einer Verdopplung nimmt Baden-Württemberg gerade einmal
die kleinste Hürde von zehn Prozent Akademisierungsquote in den Pflege- und Therapieberufen.
Die enge Verzahnung des Studiums mit der Praxis bei den Pflege- und Therapieberufen (Intensivstudiengänge) und die damit direkt zusammenhängende Versorgungsleistung für die Bevölkerung, fordern wir
das Augenmerk auf eine flächendeckende Einrichtung mit Studienplätzen über die ganze Fläche des Landes verteilt. Insbesondere die Duale Hochschule Baden-Württemberg bietet hierfür eine gute Infrastruktur.

2.2 Finanzierung von primärqualifizierenden Studienplätzen bereits für das Studienjahr 2024/25
Ein besonderes Argument für die Dringlichkeit dieses Aufbaus ist die Ausbildung von Lehrpersonal für die
Hochschulen. Sicherlich können durch die Verschiebung, die mit der neuen Attraktivität der Pflegestudiengänge – Stichwort: Vergütung der Praxisphase – einhergeht, interessierte Schüler:innen/Studierende
von den Schulen an die Hochschulen gezogen werden und in diesem Zuge auch Lehrpersonal verschoben
werden. Aber das wird für den zu deckenden Bedarf nicht ausreichen. Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit der Finanzierung jetzt aus der gesetzlich verankerten Deadline 2031, zu der die aktuellen, ausbildungsintegrierenden und günstigeren Studiengänge nicht mehr angeboten werden dürfen. Darauf aufbauend muss es – abgestimmt mit den Hochschulen – einen Zeitplan für den jährlichen Aufwuchs von
Bachelorstudienplätzen, beginnend mit dem Studienjahr 2024/2025, geben.

2.3 Verbesserung der Anerkennung ausländischer Berufs- und Studien-abschlüsse
Die SPD hat mit einem Gesetzentwurf bereits Vorschläge für eine Verbesserung der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse in den Pflege- und Gesundheitsberufen vorgelegt. Dabei geht es zum einen um
bessere Verfahrensabläufe, zum anderen aber auch um eine deutlich höhere Personalausstattung sowohl
in der Anerkennungsberatung als auch in der direkten Bearbeitung der Anerkennungsanträge. Insbesondere von den Arbeitgebern, die Fachkräfte aus dem Ausland beschäftigen wollen, gibt es deutliche Kritik
an der Länge der Verfahren. Die gleichen Forderungen können jetzt schon auf die Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse erweitert werden und müssen Gegenstand einer engen Zusammenarbeit der
Ressorts sein.

2.4 Einrichtung einer Task Force zur effizienten Zusammenarbeit der Ressorts
Die Akademisierung der Pflege- und Therapieberufe betrifft die Ressorts Wissenschaft und Soziales in gleichem Maße. Eine enge, effiziente und effektive Zusammenarbeit ist deswegen geboten und muss mit der
Schaffung einer eigenen Task Force unterlegt werden. Beide Ressorts haben sowohl ins Land hinein ihre bei dem Thema relevanten Stakeholder, z.B. Regierungspräsidien, Krankenhäuser und Hochschulen, mitzunehmen als auch relevante Entwicklungen auf der Bundesebene in enger Abstimmung weiterzuverarbeiten und weiterzugeben. Mit einer Task Force kann das Land klarstellen: Das Thema ist wichtig für die Zukunft Baden-Württembergs.

2.5 Abschaffung des Schulgelds für die Ausbildung zu den Gesundheitsfach- bzw. Therapieberufen
Wir fordern, dass die Landesregierung die Schulgeldfreiheit in den Therapieberufen wie im Koalitionsvertrag vereinbart, umsetzt, ohne auf eine bundeseinheitliche Regelung zu warten. Dies haben andere Bundesländer bereits getan. Insbesondere mit Blick auf die Nachbarländer Baden-Württembergs ergibt sich
daraus die Gefahr der dauerhaften Abwanderung von Fachkräften.

3. Herausforderungen für die Akademisierung der Pflege- und Therapieberufe in Baden-Württemberg
Es ist uns bewusst, dass diese Forderungen besondere Anstrengungen notwendig machen. Deswegen möchten wir hier noch einmal erläutern, welche Herausforderungen besonders ins Auge gefasst werden
müssen, damit eine erfolgreiche Umsetzung der Forderungen gelingen kann.

3.1 Der Zeitdruck
Das Bachelor-Studium dauert drei Jahre und das Pflegeberufegesetz räumt für bestehende Kooperationen von Hochschulen mit Schulen eine Übergangsfrist bis Ende 2031 ein. Daraus ergibt sich, dass spätestens
2028 die primärqualifizierenden Studiengänge etabliert sein müssen, um eine Lücke in der Versorgung von Fachkräften in der Pflege auszuschließen.
Kurzfristig entsteht Zeitdruck auch dadurch, dass mögliche Kooperationspartner der Hochschulen, also Krankenhäuser oder andere Anbieter von Pflege- und Therapiedienstleistungen, bei den Hochschulen anfragen, wann Studiengänge etabliert werden. Aus der Praxis heraus besteht aktuell schon eine hohe Nachfrage.

3.2 Die Finanzierung
Die baden-württembergischen Hochschulen haben sich bereits auf den Weg gemacht die Pflegeberufe zu akademisieren. Diese vorwiegend ausbildungsintegrierenden Studiengänge müssen nun in primärqualifizierende Studiengänge überführt werden. Dadurch entsteht ein Mehraufwand, der seitens der Landesregierung kompensiert werden muss. Dieser Mehraufwand entsteht in erster Linie, weil die bisherigen Ausbildungselemente, die an einer Fachschule erbracht wurden, nun auch ins Studium überführt werden müssen. Für die hochschulseitigen Kosten eines Studienplatzes in der Pflege und in den Therapieberufen können ca. 8.000 Euro pro Jahr aus der Erfahrung mit der Akademisierung der Hebammenausbildung angenommen werden. Im Sinne der Verdopplung der Studienplatzzahlen muss aber von mindestens einer Verdopplung der Zuschüsse an die Hochschulen ausgegangen werden. Für die Akademisierung der Therapieberufe ist in der Hochschulfinanzierungsvereinbarung II (HoFV II) für
die Jahre 2022 bis 2025 Geld zur Verfügung gestellt worden, wenn auch unter Haushaltsvorbehalt. Eine solche finanzielle Planung fehlt für die Akademisierung der Pflege und muss dringend nachgeholt werden,
so dass die ersten primärqualifizierenden Studiengänge bereits zum Studienjahr 2024/25 angeboten werden können. Dass die Landesregierung durchaus fähig ist, in Vorleistung zu treten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, hat sie 2022 mit der Bereitstellung von zwei Mio. Euro an Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste zur Sicherstellung der Finanzierung der vom Bund im Pflegeberufereformgesetz geforderten Berufspraxis im Studium bewiesen. Es liegt nur am politischen Willen.

3.3 Das differenzierte Hochschulsystem
In Baden-Württemberg haben wir ein stark ausdifferenziertes Hochschulsystem. Studienangebote im Bereich Pflege und Therapie bieten die Duale Hochschule Baden-Württemberg, Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Universitäten, staatliche anerkannte Hochschulen wie die kirchlichen Hochschulen und private Hochschulen. Diese unterschiedlichen Hochschularten haben sich nach ihren je eigenen
Rahmenbedingungen bereits vor Jahren auf den Weg der Akademisierung der Pflege- und Therapieberufe
gemacht und müssen jetzt gemäß diesen eigenen Rahmenbedingungen spezifisch unterstützt werden

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik