Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit zwei Jahrhunderten kämpfen Frauen für ihre Rechte, seit dem 20. Jahrhundert zunehmend lauter und selbstbewusster: für bessere Arbeitsbedingungen. Für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Für gerechte Repräsentation an den Schalthebeln der Macht. Kurz: für die Gleichstellung der Frau!

Jährlich wird dieser Einsatz am 8. März weltweit besonders gefeiert und bekräftigt.

Vier Tage vor dem diesjährigen Weltfrauentag hat der Kollege Hagel ein klares Statement abgegeben. In der Südwestpresse gab er ein großes Interview und ließ sich damit zitieren, dass Geopolitik wichtiger ist als Gendersternchen: Die Überschrift des Interviews war klar: „Geopolitik statt Genderstern“. Erlauben Sie mir dazu zwei Anmerkungen:

  1. Zunächst einmal, Herr Hagel, herzlichen Glückwunsch, Sie haben im Rhetorikkurs offensichtlich aufgepasst. Da lernt man: Vergleiche sind immer gut. Und dann noch eine Alliteration. „Geopolitik statt Genderstern.“ Aber ich muss Ihnen trotzdem sagen: Diese Formulierung „Geopolitik statt Genderstern“ ist von so einer unfassbaren Banalität, dass es mir als Vorsitzender der zweitgrößten Fraktion ja wirklich peinlich wäre, im Angesicht eines Krieges mitten in Europa mit einem solchen Satz zitiert zu werden.
  2. Es mag manche Menschen geben, die sich einfach nur darin gefallen, sich durch die Verwendung des Genderstars von anderen zu unterscheiden. Geschenkt. Aber der Genderstern steht für nichts anderes als für geschlechtergerechte Sprache. Auch die zielt auf eine Gesellschaft, in der wir alle unabhängig von Geschlecht, sexueller Identität, Alter oder Staatsangehörigkeit gleichberechtigt und solidarisch miteinander leben können. Das gegen Geopolitik auszuspielen, verkennt doch, warum Männer und auch Frauen in der Ukraine kämpfen: Weil sie eine freie, weil sie eine gerechte Gesellschaft wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an diesem Tag muss es gesagt werden: Zu den Schatten eines jeden Krieges gehört Gewalt gegen Frauen. Frauen sind in bewaffneten Konflikten Gewalt ausgesetzt – von sexualisierter Gewalt bis hin zu Völkermord. Und das betrifft auch Frauen auf der Flucht. Ich denke dabei auch an die Männer, die in Freierforen schreiben, dass sie sich auf all die Ukrainerinnen freuen, die jetzt zu uns kommen. Das sind Männer, die es für gerechtfertigt halten, den Körper einer Frau zu kaufen. Auch daran denken wir am 8. März.

Aber die Frauen in der Ukraine sind nicht nur Opfer, sie sind auch Akteurinnen. Manchmal auf der Suche nach Lösungen und in Friedensbemühungen. Manchmal indem sie Alte und Kinder mit auf die Flucht nehmen. Und manchmal sind sie auch Kämpferinnen: die aktuelle Miss Ukraine Anastasiia Lenna, sie hat Tiara und Pailletten-Kleid gegen Flecktarn und ein Gewehr getauscht. Der ukrainische Heldenmut, den viele von uns momentan bewundern, ist eben auch in einigen Fällen ein Heldinnenmut.

Doch lassen Sie uns mit Blick auf den Weltfrauentag auch nach Baden-Württemberg, hinein in unser Land schauen. Diskutieren wir Gleichstellung, dann reden wir über konkrete Politik. Und die vergangenen zwei Jahre waren gleichstellungspolitisch schwierige Jahre: Die Pandemie hat die Unwucht in der Verteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen verstärkt. Erst am Montag war Equal Pay Day: Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 18 Prozent weniger als Männer. Aufs Jahr gerechnet arbeiten sie 2022 vom 1. Januar an 66 Tage unentgeltlich. Und hier im Ländle ist dieser Abstand nochmal größer: So verdienen Frauen in Baden-Württemberg durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer.

Baden-Württemberg: Schlusslicht in Deutschland beim Gender Pay Gap.

Woher kommt das? Auch davon, dass Frauen in Spitzenpositionen immer noch in der Minderheit sind, in Baden-Württemberg besonders. Ich zitiere aus dem Gleichstellungsatlas der Bundesregierung:

Der Frauenanteil an den Hochschulprofessuren, deutschlandweit bei 24,7 Prozent, in Baden-Württemberg 22,3 Prozent. Frauenanteil in Führungspositionen in der Justiz, bundesweit 26,9 Prozent, in Baden-Württemberg 16,6 Prozent. Baden-Württemberg: eines der Schlusslichter.

Bei den Verwaltungsspitzenpositionen in den Landkreisen und kreisfreien Städten: bundesweit 11,1 Prozent. In Baden-Württemberg 6,8 Prozent. Baden-Württemberg: eines der Schlusslichter.

Zum Frauenanteil in diesem Hohen Haus ist schon mehr als genug gesagt worden. Afghanistan haben wir ja inzwischen wieder eingeholt, aber auch nur, weil die Taliban das Parlament dort inzwischen abgeschafft haben. Ich sage es Ihnen deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir wollen diese Wahlrechtsreform. Und wir wollen sie jetzt!

Aber nicht nur die mangelnde Repräsentation in Spitzenpositionen, auch die traditionelle Arbeitsteilung benachteiligt Frauen. Und auch hier schlägt wieder Corona durch: In der Pandemie reduzieren Frauen häufiger ihre Arbeitszeit als Männer, ihr Anteil an Care-Arbeit nimmt noch weiter zu. Wir haben es stellenweise mit einer Retraditionalisierung zu tun. Nur durchschnittlich 60 Prozent der Haushalte, in denen es vor Corona eine faire Aufgabenverteilung gab, hat das auch während der Krise beibehalten.

Der Anteil der alleinerziehenden Frauen nimmt deutlich zu. Die Gefahr, als Alleinerziehendenhaushalt von Armut gefährdet zu sein, liegt bei uns bei 43%. Baden-Württemberg: an dieser Stelle das Schlusslicht bei der Armutsgefährdung im Vergleich der Bundesländer.

Das frauenpolitische Thema, das mir besonders am Herzen liegt, will ich heute natürlich nicht unerwähnt lassen:  Es gibt viel zu wenig Frauenhausplätze, Beratungsstellen sind unterfinanziert, das Angebot in ländlichen Gebieten, für Frauen mit Behinderung oder mit Zuwanderungsgeschichte ist zu oft ungenügend. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus und endlich eine einzelfallunabhängige Finanzierung unserer Frauenhäuser und Beratungsangebote in Baden-Württemberg. Davon sind wir meilenweit entfernt. Ob ich als Frau Schutz finde und ob mein Frauenhausplatz finanziert wird, hängt in unserem Land davon ab, in welchem Landkreis ich lebe. Diesen Zustand dürfen wir nicht länger akzeptieren!

Baden-Württemberg: Schlusslicht bei der Frauenhausfinanzierung.

Gleichstellungsfragen sind Gesellschaftsfragen. Sich diesen Fragen zu widmen, bedarf des Mutes, tiefsitzende Strukturen zu verändern. Das tun die Vereinten Nationen im Rahmen der Agenda 2030, die Europäische Union im Gender Action Plan. Und die neue Bundesregierung bekennt sich jetzt klar zur Mitfinanzierung der Frauenhäuser und einer konsequenten Gleichstellungspolitik. Auch Baden-Württemberg braucht endlich eine gleichstellungspolitische Agenda. Ich bin ganz bestimmt nicht die einzige im Land, die der Meinung ist: Doro

– Es gilt das gesprochene Wort. –