Die Inklusive Schule – auf dem Weg zur erfolgreichen praktischen Umsetzung 

Seit dem Schuljahr 2015/2016 können Eltern entscheiden, ob ihr Kind mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot an einer allgemeinbildenden bzw. beruflichen Schule oder einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) unterrichtet werden soll. Die Abschaffung der Sonderschulpflicht war ein entscheidender Schritt der grün-roten Landesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und ein Meilenstein auf dem Weg zu einem gerechteren Bildungssystem und einer inklusiven Gesellschaft. Inklusion ist ein Grundrecht, dem auch das Bildungssystem Rechnung tragen muss. Sechs Jahre nach der Änderung des Schulgesetzes wird deutlich, dass Schulen die Inklusion mit viel Engagement umsetzen. Für viele Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte
ist Inklusion selbstverständlich. Dennoch stehen die Schulgemeinschaften bei der Organisation und im Schulalltag weiter vor großen Herausforderungen. Vor allem der eklatante Fachkräftemangel führt zu Einschnitten und beeinträchtigt vielerorts die Umsetzung inklusiver Bildungsstrukturen an den Schulen. Im Schuljahr 2020/2021 konnten an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren ca. 720 Deputate nicht besetzt werden. Infolgedessen fehlen sonderpädagogische Lehrkräfte, die über die Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren an die Regelschulen abgeordnet werden. Zu Beginn des Jahres 2022 müssen wir feststellen, dass aufgrund des hohen Personalmangels viele Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren von Unterrichtsausfall betroffen sind und der Bildungsanspruch von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht flächendeckend gewährleistet werden kann. Trotzdem will die SPD-Landtagsfraktion von Baden-Württemberg den Weg zur erfolgreichen praktischen Umsetzung von Inklusion weiter beschreiten. Für die SPD ist klar: Inklusion ist nicht verhandelbar. Es bedarf einer klaren Vision davon, wie inklusive Schule aussehen soll sowie konkret formulierte Schritte und Rahmenbedingungen. Diese sollen die Schulen unterstützen und Kindern und Eltern Transparenz und Orientierung bieten. Daher formuliert die SPD-Landtagsfraktion folgende Handlungsstrategien:

1. Inklusion in den Köpfen verankern
2. Den Fachkräfte- und Ressourcenmangel lösen
3. Inklusion im Schulalltag organisatorisch festigen

Umsetzung der Handlungsstrategie
Die SPD-Landtagsfraktion sieht in der Inklusion einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag, der weit über den Bildungsbereich hinausgeht. Inklusion ist Bestandteil des Rechts auf Teilhabe eines jeden Menschen und damit grundlegende Maßnahme für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Aufgrund der Schulpflicht ist Schule gleichwohl der Ort, an dem sich alle Kinder und Jugendlichen begegnen und Erfahrungen für das gemeinsame Leben sammeln können. Schule soll auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereiten und ist damit ein wichtiger, aber bei weitem nicht der einzige Lern und Lebensraum, der im Kontext der Umsetzung von Inklusion in den Blick genommen werden muss. Die folgenden Handlungsansätze zur Förderung der Inklusion sind daher nur ein Ausschnitt der notwendigen Maßnahmen. Nicht alle von ihnen sind unmittelbar umsetzbar, weshalb sich die Ausführungen auf teils unterschiedliche Zeithorizonte beziehen: unverzüglich sowie kurzfristig (in den nächsten fünf Jahren), mittelfristig (in fünf bis zehn Jahren) und langfristig (in zehn bis 15 Jahren).

1. Inklusion in den Köpfen verankern
Inklusion ist nicht verhandelbar und muss auch im Bereich der Schulen von allen Beteiligten als Selbstverständlichkeit aufgefasst werden. Es ist daher notwendig, grundlegende Veränderungen in allen Bereichen des Bildungssystems zu unterstützen, um Inklusion in der Praxis zu fördern. Dazu ist es notwendig, das Thema Inklusion schulartübergreifend stärker in den Fokus zu rücken.

a. Verständnis von Heterogenität als Norm der pädagogischen Grundhaltung
Wir fordern eine Vermittlung des Inklusionsgedankens als pädagogische Grundhaltung statt Sonderaufgabe einzelner Schulstandorte und Lehrkräfte.

Inklusion ist die Umsetzung des Rechts auf Teilhabe und nach der UN-Behindertenrechtskonvention ein Menschenrecht. Inklusion heißt alle Schülerinnen und Schüler in den Blick zu nehmen, nicht nur diejenigen mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot. Es geht um eine begabungsgerechte Förderung aller Kinder und Jugendlichen und den Respekt gegenüber individueller Stärken und Schwächen. Inklusion bedeutet, wir grenzen niemanden aus. Der erfolgreiche Umgang mit Heterogenität wird damit ein klares Schulentwicklungsziel. Inklusion ist Handlungsauftrag für die Schule als
Organisation, aber auch für jede am Schulalltag beteiligte Person und muss Grundwert des gesamten Schullebens sein. Der Anspruch muss es sein, sowohl an SBBZ wie auch an Regelschulen eine gleichwertige und qualitativ hochwertige Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit und ohne Förderbedarf zur Verfügung zu stellen. Dieser Anspruch muss nach außen deutlich kommuniziert werden, um diese notwendige Haltungsänderung zu befördern. Dazu braucht es sowohl Veränderungen im Schulalltag als auch in der Lehrkräfteausbildung und Fortbildung. Der Inklusionsgedanke muss in alle Bereiche des Bildungssystems integriert werden.

b. Inklusion als gemeinsame Aufgabe aller Schularten
Wir fordern, dass alle Schularten einen inklusiven Bildungsansatz adaptieren und diesen mithilfe von individuellen „Inklusionsentwicklungsplänen“ (IEP) umsetzen und an die individuellen Gegebenheiten vor Ort anpassen.

Laut dem Zweiten Inklusionsbericht 2019 besuchen knapp 48 Prozent der Kinder mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot an inklusiv arbeitenden Schulen eine Grundschule, fast 30 Prozent eine Gemeinschaftsschule und 16 Prozent eine Haupt oder Werkrealschule. Realschulen und Gymnasien halten bislang zu selten ein inklusives Bildungsangebot vor. Wir streben auf Grundlage einer intensiven Beratung von Schulträgern und Eltern eine ausgeglichene Verteilung der Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot auf alle Schularten an. Zum einen, weil Inklusion eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt und zum anderen, um die Überforderung einzelner Schularten zu vermeiden. Im Schulgesetz wurde bewusst festgelegt, dass inklusive Bildungsangebote einschließlich des zieldifferenten Unterrichts an allen allgemeinbildenden Schulen möglich sind. Hierfür muss der inklusive Gedanke stärker in unseren Bildungsplänen und den Schulen vor Ort verankert werden. Mittelfristig sollten daher alle Schulen ein inklusives Lehr- und Lernkonzept in Form eines „Inklusionsentwicklungsplans“ (IEP) erarbeiten. In diesem sollen die Schulen aller Schularten im Rahmen ihrer Profil- und Leitbildentwicklung das Thema Inklusion aufgreifen und individuelle Konzepte für ihre Schule erarbeiten. Auch notwendige Veränderungen sollen darin festgehalten werden. Die Leitbildentwicklung befähigt jede Schule dazu, die erforderlichen Schritte zur Umsetzung des Inklusionsgedankens in ihrem Portfolio zu benennen. Die infolgedessen aufgebauten Strukturen unterstützen den individuellen Weg jeder Schule zur Umsetzung von Inklusion. Dabei müssen individuelle Gegebenheiten vor Ort Beachtung finden und in die Leitbildentwicklung einfließen. Für diese Leitbildentwicklung müssen den Schulen Entlastungsangebote gewährleistet werden.

c. Inklusion als Baustein der Lehrkräfteaus- und -fortbildung
Wir fordern, Inklusion als grundlegende Unterrichtsform in allen Studiengängen für das Lehramt zu verankern.

Inklusion spielt in der derzeitigen Ausrichtung der Lehramtsstudiengänge bisher eine eher untergeordnete Rolle. Zwar gibt es in der Zwischenzeit Pflichtseminare, jedoch weiterhin keine verpflichtenden Praktika mit diesem Schwerpunkt. Auch fehlt ein einheitliches Curriculum. In den Hauptfächern ist das Thema Inklusion nicht existent. Lediglich angehende Lehrkräfte in den Studiengängen der Sonderpädagogik werden differenziert auf das Unterrichten von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf vorbereitet. Dabei steigt die Zahl der inklusiv zu beschulenden Kinder und Jugendlichen, sodass die pro Kopf zugewiesenen Stunden der Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen für die Regelstunden nicht ausreichen. Die Verankerung inklusiver Unterrichtsstrukturen und Konzepte in die Lehrpläne der Lehramtsstudiengänge aller Schularten ist daher dringend erforderlich. Dazu ist eine umfängliche Evaluation der Lehramtsstudiengänge hinsichtlich des Themas Inklusion notwendig, deren Ergebnisse
Einfluss auf die Gestaltung von Studiengängen und Fortbildungsstrukturen haben müssen. Inklusion muss zentraler Bestandteil der Lehrkräfteaus- und -fortbildung sein. Hinsichtlich geringer Nachfrage von Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der Inklusion muss es Anspruch sein, die Nachfrage deutlich zu steigern. Mit Blick auf die Übertragung eines inklusiven Bildungsansatzes auf alle Schularten sollten die Fortbildungsangebote vor allem an Realschulen und Gymnasien gezielt beworben werden. Im Zuge der Erstellung eines IEP einer Schule sind gegebenenfalls auch passgenaue sowie verbindliche Fortbildungen vor Ort sinnvoll. Die angestrebten Veränderungen nehmen alle Schularten in die Pflicht. Bislang findet Inklusion hauptsächlich in der Primarstufe und der Sekundarstufe 1 von Werkrealschulen und wenigen Realschulen sowie vieler Gemeinschaftsschulen statt. Um Inklusion als Grundrecht zu verankern, müssen zukünftig jedoch alle Schularten intensiver in die Umsetzung einbezogen werden und schulartübergreifend im Studium verpflichtender Bestandteil sein.

2. Fachkräfte- und Ressourcenmangel lösen
Die Lehrkräfteversorgung muss für die Landesregierung oberste Priorität haben. Dafür ist eine Ausbildungsoffensive, insbesondere im Bereich Sonderpädagogik notwendig, sowie der Ausbau von Weiterqualifizierungsmöglichkeiten und die Zuweisung zusätzlicher Ressourcen. Die notwendigen finanziellen Mittel müssen im Haushalt festgeschrieben werden.

a. Ausbildungsoffensive im Bereich Sonderpädagogik starten
Wir fordern eine Ausbildungsoffensive im Bereich Sonderpädagogik mit einem Ausbau der Studienplätze und der Attraktivitätssteigerung des Aufbaumasterstudiengangs durch mehr Anrechnungsstunden.

Eine Modellrechnung des Kultusministeriums aus dem Jahr 2019 zum Lehrkräftebedarf der Jahre 2020 – 2030 zeigt deutlich, dass eine Ausbildungsoffensive im Bereich Sonderpädagogik dringend notwendig ist.
Laut der dort erhobenen Zahlen ist bis zum Jahr 2024 im Lehramtsstudiengang Sonderpädagogik mit einem Mangel an Neubewerberinnen und -bewerbern von kumuliert 650 Personen zu rechnen. Zwar ist den Berechnungen zufolge in den Jahren 2025 und 2026 von einer Übereinstimmung von Angebot und Bedarf auszugehen, jedoch ist dieser Zugewinn mit Blick auf die reale Situation an den Schulen keinesfalls ausreichend. Der Bedarf erhöht sich zudem, wenn das Zwei-Pädagogen-Prinzip im Klassenzimmer konsequent angestrebt wird. Auch die Einrichtung einer fest verankerten Krankheitsvertretungsreserve für sonderpädagogische Fachkräfte erfordert den Einsatz zusätzlichen Personals. Daher müssen die Studienkapazitäten im Lehramt Sonderpädagogik zeitnah ausgebaut sowie die Attraktivität der Studiengänge
gesteigert werden. Zum einen ist dafür mindestens ein weiterer Studienstandort einzurichten, zum anderen müssen die Studienkapazitäten an den bisherigen Studienstandorten ausgebaut werden. Die bereits 2016 ankündigte Einrichtung eines weiteren Studienstandortes ist fahrlässig überfällig. Weiter muss dafür Sorge getragen werden, dass sich wieder mehr Menschen für ein Studium der Sonderpädagogik entscheiden, dieses erfolgreich beenden und nach ihrem Abschluss eine Stelle als Lehrkraft in Baden-Württemberg antreten. Aufgrund der allgemein hohen Nachfrage nach Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen und dem Umstand, dass das Studium nicht in allen Bundesländern angeboten wird, wandern viele Studienabsolventinnen und -absolventen nach erfolgreichem Abschluss in andere Bundesländer ab. Mittelfristig braucht es daher eine Initiative der Kultusministerkonferenz, die sich für ein Ende der gegenseitigen Abwerbung einsetzt. Mit attraktiven Arbeitsangeboten muss jedoch auch Baden-Württemberg dazu beitragen, die Absolventinnen und Absolventen im eigenen Bundesland zu halten. Dazu gehört als kurzfristig umsetzbarer Schritt beispielsweise die Weiterbeschäftigung der Referendarinnen und Referendare über die Sommerferien. Die notwendigen finanziellen Mittel hierfür müssen endlich im Haushalt verankert werden. Des Weiteren muss das zweijährige modifizierte Aufbaumasterstudium Sonderpädagogik für den horizontalen Laufbahnwechsel (HOLA) voll ausgebildeter Lehrkräfte ausgebaut und attraktiver gestaltet werden. Zu unseren Kernforderungen gehört dabei die Gewährung der notwendigen Anrechnungsstunden, eine Freistellung von mindestens 75 Prozent, um das Studium erfolgreich berufsbegleitend zu absolvieren. Außerdem sind für die Absolventinnen und Absolventen hinreichend Stellen in der Besoldungsklasse A13 einzurichten. Darüber hinaus sollte die Wiedereinführung des Aufbaustudiengangs in Teilzeit eruiert werden. Die Inklusive Schule – auf dem Weg zur erfolgreichen praktischen Umsetzung Fachlehrer und technische Lehrkräfte (FL/TL) sind wesentliche Bausteine einer bestehenden und zukünftig verbesserten Personalausstattung. Hier liegt eine mögliche, zu hebende Ressource, um die Mangelsituation kurzfristig zu beheben. Um Qualität zu gewährleisten, bedarf es eines gut entwickelten Fortbildungssystems bis hin zur vollwertigen sonderpädagogischen Lehrkraft. Ebenfalls sind als Anreiz mehr Aufstiegsstellen bereit zu stellen.

b. Die Ressourcenzuweisung weiterentwickeln
Wie fordern die Weiterentwicklung der Ressourcenzuweisung zur besseren Ausstattung der Schulen mit sonderpädagogischen Lehrkräften, um Inklusion an allen Schulen als Regelfall zu implementieren. Ziel ist das Zwei-Pädagogen-Prinzip.

Eine auskömmliche Ausstattung aller Schulen mit sonderpädagogischen Lehrkräften ist Grundvoraussetzung für qualitätsvolle Unterrichtsangebote. Aufgrund des eklatanten Fachkräftemangels ist die aktuelle Versorgungslage der Schulen vielerorts jedoch unzureichend, kann sich in den kommenden Jahren durch erhöhte Studienkapazitäten und zusätzliche Weiterbildungsangebote aber verbessern. Aktuelle Engpässe dürfen in keinem Fall zu einem dauerhaften Abrücken von definierten Qualitätsansprüchen führen. Durch die Weiterentwicklung der Fachkräfte- und Ressourcenzuweisung sollen die Schulen mit sonderpädagogischer Expertise versorgt werden.

1. In den nächsten fünf Jahren sollte Inklusion durch zusätzliche Ressourcenzuweisungen an die SBBZ und in besonderem Maße auch an die Regelschulen weiter und besser umgesetzt werden. Auch der Ganztag muss mit Blick auf die inklusive Beschulung stärker in den Fokus rücken. Gibt es an einer Schule ein Ganztagesangebot, müssen auch Kinder und Jugendliche mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot daran teilnehmen können. Beachtung und finanzielle Mittel sollten weiterhin auch Formate wie Gruppeninklusion und Außenklassen erhalten. Zur Umsetzung und Stärkung der Angebote kann es notwendig sein, Kompetenzen zu bündeln, um die Potenziale der Kinder individuell zu unterstützen. Bei der Gruppeninklusion erscheint vorrangig die Gruppenbildung im gleichen Förderschwerpunkt sinnvoll. Im Format der Gruppeninklusion kann die sonderpädagogische Förderung besser gewährleistet werden als im Rahmen der Einzelinklusion. Die Zielperspektive muss dennoch sein, dass sich mittelfristig alle Schulen zu inklusiv arbeitenden Schulen entwickeln und flächendeckend ein inklusives Bildungssystem entstehen kann. Gut umgesetzte Außenklassen von SBBZ an allgemeinbildenden oder beruflichen Schulen pflegen einen engen Kontakt und gemeinsamen Schulalltag mit einer Partnerklasse. Das Format stellt damit einen sinnvollen Einstieg in die inklusive Arbeit dar, kann aber ebenso Gegenstand einer langfristigen Zusammenarbeit sein. Vor allem im Bereich der sozial-emotionalen Entwicklung können Außenklassen für die Kinder und Jugendlichen einen wichtigen Baustein in ihrem Schulalltag darstellen. Kinder mit
einem solchen Förderbedarf brauchen Rückzugsmöglichkeiten und kleinere Settings, können durch das Format der Außenklassen im Rahmen ihrer individuellen Bedürfnisse jedoch am Regelschulbetrieb teilnehmen. Im Sinne der Qualitätssicherung muss die Schulverwaltung die Umsetzung der von den beteiligten Schulen entworfenen Konzepte zukünftig noch besser überprüfen. Zudem sollte die derzeitige Praxis der Zeugnisgestaltung, nach der Schülerinnen und Schüler ihr Zeugnis durch das zuständige SBBZ erhalten und nicht von der Regelschule, an der sie die Außenklasse besuchen, überarbeitet werden. Schülerinnen und Schüler der Außenklasse sollten die Möglichkeit erhalten, ein Zeugnis der allgemeinen Schule mit einer entsprechenden Anmerkung zu erhalten. Für die Gestaltung dieser Zeugnisse sind landesweit einheitliche Standards erforderlich. Um die Teilnahme der Kinder mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot am Ganztagsangebot sicherzustellen, müssen sie bei der Zuweisung von Ressourcen für die Umsetzung des Ganztages berücksichtigt werden. Dies gilt auch bei der Bemessung der Finanzmittel für außerschulische Kooperationspartner, die den Ganztag an einer Schule mitgestalten. Auch die Einsatzzeit der Schulbegleitung muss bei Bedarf auf die Ganztagsangebote ausgeweitet werden.

2. Um inklusiv unterrichtende Schulen und die Lehrkräfte zu unterstützen, braucht es sowohl Klassenassistenzen als auch Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter. Jede Klasse, in der mindestens vier Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf beschult werden, sollte Anspruch auf eine zusätzliche Unterstützungskraft in Form einer Klassenassistentin oder eines Klassenassistenten erhalten. Als Pool im zuständigen Schulamt etabliert, können Schulen sofort auf Bedarfe reagieren und Klassenassistenzen flexibel einsetzen. Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter kommen je nach Förderbedarf hinzu. Eine Finanzierung streben wir über das Bundesteilhabegesetz an.

3. In den nächsten fünf bis zehn Jahren muss die Zuweisung von Lehrerwochenstunden grundlegend geändert werden. Einen Verteilungskampf zwischen SBBZ und inklusiv arbeitenden Schulen gilt es dabei unbedingt zu vermeiden. Die Ressourcenzuweisung für inklusive Bildungsangebote durch die SBBZ ist sinnvoll, muss aber von der Schulverwaltung begleitet und transparent organisiert werden. Das Zuweisungsverfahren muss entsprechend nachvollziehbar gestaltet sein und nach pädagogischen Gesichtspunkten erfolgen. Dabei darf es nicht zum Instrument einer Mangelverwaltung werden. Auf Grundlage von Lernstandserhebungen und eines baden-württembergischen Sozialdatenindex fordern wir im Rahmen einer Sockelzuweisung zusätzliche Wochenstunden für die Schulen zu Beginn jedes Schuljahres. Hinzu kommt eine pro-Kopf-Zuweisung von Lehrerwochenstunden für Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot. Dieser gestaltet sich unter anderem in der Zuweisung
von drei zusätzlichen Stunden für den Förderschwerpunkt Lernen und sechs Stunden im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Diese müssen als Mindeststandard verbindlich verankert und zeitnah zu Beginn des Schuljahres ohne lange Wartezeiten zugeteilt werden können. So kann gleich zu Beginn eines Diagnostikprozesses Förderung bereitgestellt und Phasen der Antragsstellung und Überprüfung überbrückt werden. Davon profitieren Kinder und Lehrkräfte gleichermaßen.

4. Inklusive Settings benötigen vor allem ausreichend qualifizierte Fachkräfte. Grundsätzlich ist das Ziel zur Verbesserung inklusiver Strukturen an den Schulen die Umsetzung des Zwei-Pädagogen-Prinzips. Dieses soll in fünf bis zehn Jahren flächendeckend umgesetzt werden. Weiter fordern wir die Einrichtung einer fest verankerten Krankheitsvertretung für sonderpädagogische Fachkräfte in den Schulämtern, die dem im Bereich der Inklusion wichtigen Faktor der Kontinuität Rechnung trägt. Ein inklusiver Bildungsansatz begründet zudem den Aufbau multiprofessioneller Teams an allen Schulen. Angesichts vielschichtiger Herausforderungen an den Schulen und unterschiedlicher Unterstützungsbedarfe der Schülerinnen und Schüler müssen Lehrerkollegien mittelfristig erweitert und der Aufbau multiprofessioneller Teams gefördert werden. Bereits jetzt sind unter anderem Fachkräfte aus der Schulsozialarbeit und Schulpsychologie sowie Schulbegleitungen und pädagogische Assistenzen an der Gestaltung des Schulalltags beteiligt. Die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft verlangt einen Ausbau dieses multiprofessionellen Ansatzes. Je nach schulspezifischer Anforderung kann die Einbindung anderer pädagogischer Fachkräfte, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, aber beispielsweise auch die Einstellung von Verwaltungsassistenzen, IT-Spezialistinnen und Spezialisten oder Fachkräften aus dem Bereich Soziologie, Logopädie, Ergotherapie, Sport sowie Ernährung sinnvoll sein. Unter Einbezug unterschiedlicher Perspektiven und Nutzung dieser vielfältigen Kompetenzen können Schulen so inklusiv arbeiten und zielgerichtet zu Lern- und Erfahrungsräumen für unsere Gesellschaft und Demokratie weiterentwickelt werden. Langfristig müssen auch die Qualifizierungsmöglichkeiten für die Mitglieder in solchen multiprofessionellen Teams durchlässiger und flexibler werden. Vor allem im Bereich Schulbegleitung und pädagogische Assistenz wünschen sich Betroffene mehr Möglichkeiten zum Laufbahnwechsel und Quereinstieg. Über modulartige Weiterbildungsangebote sollten solche Wege geebnet werden, um die Professionalisierung und Fachlichkeit an den Schulen zu unterstützen. Perspektivisch ist es außerdem sinnvoll, dass alle Schulen über sonderpädagogische Expertise in Höhe von mindestens einer Vollzeitstelle verfügen, die durch eine Sonderpädagogin oder einen Sonderpädagogen ausgefüllt wird. Unverzüglich sollte die Monetarisierung von nicht besetzten Lehrerstellen für Sonderpädagogik ermöglicht werden. Geld, das aufgrund eines Mangels an Bewerberinnen und Bewerbern nicht in Personal investiert werden kann, soll in einem dafür eingerichteten Fördertopf gesammelt werden. Auf Ebene der staatlichen Schulämter sollen dafür eingestellte Verwaltungsassistentinnen und Verwaltungsassistenten die Gelder auf Nachfrage bzw. Antrag den Schulen zur Umsetzung anderer Projekte zuteilen. Mithilfe eines Personalbudgets aus den Ressourcengewinnen durch die freien Stellen bzw. Stellenanteile, können die Schulleitungen kurzfristig auf andere externe Unterstützungsleistungen zurückgreifen, bis die Lehrkräftestellen besetzt werden können. In einem ersten Schritt könnten dafür beispielswiese pro Schule bis zu zwei Stellen mit bis zu 10 Prozent
der vorgesehenen Gelder für Lehrkräftestellen eingesetzt werden. Vorrang muss jedoch immer die Einstellung zusätzlicher Lehrkräften haben.

3. Inklusion im Schulalltag organisatorisch festigen
Inklusion muss im Schulalltag organisatorisch verankert werden. Dafür braucht es klare Konzepte und Entlastungen für die Schulleitungen und Lehrkräfte. Nur wenn die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden, kann Inklusion schulartübergreifend und im Einklang mit allen Beteiligten umgesetzt werden.

a. Schulleitungen stärken
Wir fordern eine deutliche Entlastung der Schulleitungen an den SBBZ und den inklusiv arbeitenden Schulen. Für Schulleitungen an allen Schularten fordern wir mehr Gestaltungs- und Entscheidungsfreiraum, beispielsweise durch mehr schulscharfe Ausschreibungen sowie eigene Personalbudgets im Rahmen von Monetarisierung, um die Weiterentwicklung der Schule und Verbesserungen der Unterrichtsqualität vorantreiben zu können. Fragen der Besoldung, der Ausstattung mit Funktionsstellen, der Entlastung von Verwaltungsaufgaben sowie der Differenzierung von Halb- und Ganztagesbetrieb stellen sich sowohl
bei SBBZ als auch inklusiv arbeitenden Schulen. Wir fordern daher zur Entlastung der Schulleitungen von Verwaltungsaufgaben die Einrichtung zusätzlicher Verwaltungsstellen. Dadurch steht mehr Zeit zur Entwicklung pädagogischer Konzepte und elementarer pädagogischen Aufgaben zur Verfügung. Zusätzlich sollte jede Schule einen Beauftragten oder eine Beauftragte für Inklusion (BfI) benennen, die für inklusionsspezifische Aufgaben an der Schule zuständig ist. Diese Aufgabenverteilung, angerechnet in Form gestaffelter Anrechnungsstunden, führt zu einer weiteren Entlastung der Schulleitungen.

b. Anpassung der Stundentafel
Wir fordern eine Anpassung der Stundentafel, die außerunterrichtliche Tätigkeiten der Lehrkräfte stärker berücksichtigt. Zieldifferenter Unterricht ist an allen Schularten gleichermaßen eine große Herausforderung für die Lehrkräfte. Im Zuge dessen müssen verschiedene Maßnahmen eruiert und umgesetzt werden. Besprechungsstunden, Vorbereitungszeit und Elterngespräche müssen endlich in der Stundentafel berücksichtigt werden. Auch die indirekte Senkung des Klassenteilers mittels faktorisierter Gewichtung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gilt es dabei zu diskutieren. Der Übergang der aktuellen Grundschulkinder mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot auf die weiterführenden Schulen ist frühzeitig absehbar und muss daher seitens der
Schulverwaltung gezielt und vorausschauend vorbereitet werden.

c. Schulbegleitung mit klaren Aufgaben und entsprechender Qualifikation
Wir fordern eine klare Rollen- und Aufgabenbeschreibung sowie eine daran angepasste Qualifizierung der Schulbegleitung, die zur Umsetzung der Inklusion an Schulen beitragen. Die Schulbegleitung braucht ein klar definiertes Rollen- und Aufgabenprofil. Formal sind Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter für die Unterstützung förderbedürftiger Kinder und Jugendlicher im Sinne der Eingliederungshilfe zuständig. Ihre Tätigkeit ist daher keine pädagogische, sondern beschränkt sich eigentlich auf Hilfestellungen zur Bewältigung von Alltagshürden. Aufgrund bestehender Engpässe an Schulen nehmen die Schulbegleitungen jedoch oft Aufgaben wahr, für die sie weder ausgebildet noch zuständig sind. Im Sinne der betroffenen Schülerinnen und Schüler ist es wichtig, das Aufgabenprofil klar zu definieren und entsprechend standardisierte Anforderungen an die Qualifizierung zu formulieren. Damit einhergehen muss eine Verortung der Schulbegleitung im Kultusressort, sowie Fortbildungsangebote und eine der Qualifikation angepasste Vergütung. Durch die Verortung im Kultusressort werden Schulbegleitungen bei einer Anstellung beim Land automatisch Teil des Lehrkräftekollegiums. Des Weiteren bedarf es einheitlicher Regelungen zur Finanzierung von Schulbegleitungen sowie ein transparentes Beantragungsprozedere. Zudem sollten Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter für alle schulischen Aktivitäten, wie Klassenfahrten oder Ferienbetreuung, aber auch Ganztagesangebote zur Verfügung stehen. Sie müssen neben ihrem Einsatz im Unterricht die Teilhabe des förderbedürftigen Kindes an allen Aspekten des schulischen Lebens unterstützen. Diese Aufgabenvielfalt muss selbstverständlich im Stundenumfang berücksichtigt werden. So kann die Schulbegleitung sinnvoll weiterentwickelt und in den Aufbau multiprofessioneller Teams an den Schulen einbezogen werden. Im Sinne der Bindungsarbeit einer Schulbegleitung wäre es darüber hinaus sinnvoll, den Bewilligungszeitraum der Schulbegleitung zu verlängern. Kinder arbeiten und lernen am
besten in funktionierenden und eingespielten Bindungen. Durch häufige Wechsel sowie der Ungewissheit, ob und wann wieder eine Schulbegleitung zur Verfügung steht, entsteht sowohl bei den Eltern als auch den Kindern Unsicherheit, die ihre Entwicklung negativ beeinträchtigen kann. Beispielsweise wäre über einen Bewilligungszeitraum über die gesamte Grundschulzeit nachzudenken, der im Falle von nicht mehr notwendigem Unterstützungsbedarf auch aufgehoben werden kann. Die langfristige Begleitung und vertrauensvolle Zusammenarbeit kann die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler positiv beeinflussen und auch die Arbeit im Team mit den Lehrkräften stärken.

d. Digitale inklusive Bildungsangebote
Wir fordern barrierefreie digitale Bildungsangebote, insbesondere mit Blick auf die Gestaltung einer Lernplattform. Inklusion bedeutet Teilhabe an Bildung und damit auch barrierefreien Zugang zu allen
Lernmitteln des Landes. Dies gilt auch für digitale Lernmittel. Digitalisierung muss insbesondere auch an den Schulen inklusiv gedacht werden. Deswegen muss bei der Entwicklung der digitalen Bildungsplattform Barrierefreiheit unbedingt mitgedacht werden. Auch Moodle und Big Blue Button müssen sich hinsichtlich der Barrierefreiheit besser ausrichten. Bisher sind weder Sprachausgabe noch automatische Untertitel Standard. Hier braucht es allgemeine Lösungen, denn barrierefreie Digitalisierung darf nicht von der Eigeninitiative einzelner Schulen und Lehrkräfte abhängig sein. Wir fordern daher mehr Engagement und technischen Support, auch im Rahmen verschiedener Fortbildungsangebote, von Seiten des Landes. Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) sollte dementsprechend für den barrierefreien Zugang aller Lernmaterialien sorgen.

e. Perspektiven ermöglichen
Inklusion hört nicht nach dem Schulabschluss auf, sondern muss im Übergang von Schule zu Beruf mitgedacht werden. Berufsberatung und -vorbereitung müssen ebenfalls inklusiv gedacht werden. Hierfür
müssen sowohl die Schulen als auch die Wirtschaft sensibilisiert werden. Bereits ab Klassenstufe 5 sollte die Berufsberatung für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und deren Eltern zur Verfügung stehen. Berufspraktika, Berufsorientierung und -beratung müssen barrierefrei zugänglich sein und sich auf die Bedürfnisse von Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf einstellen. Daher fordern wir entsprechende Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berufsberatung und der an den Schulen für die Berufsorientierung zuständigen Lehrkräfte. Auch hier wird deutlich: Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe!