Redemanuskript Andreas Stoch

Aktuelle Debatte Grüne „Rechtsextremismus – die unterschätzte Gefahr“

am 27. Juni 2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

dass diese Aktuelle Debatte mit dem Fall Lübcke einen tödlichen Anlass hat, ist tragisch. Es ist aber auch tragisch, dass uns erst ein politischer Mord dazu bringt, uns einmal zu überlegen, was in diesem Land vor sich geht. Denn fast alles unterhalb tätlicher Angriffe gilt inzwischen ja schon als normal und wird bisweilen wie ein hinzunehmendes Berufsrisiko hingestellt.

Dass Menschen, die sich engagieren, beschimpft und bedroht werden, dass sich in ihren Posteingängen der Unflat stapelt und man sich besser gegen Schmierereien versichert, all das sorgt nicht mehr für große Skandale und rüttelt nicht mehr wach.

Nicht, wenn es Mitglieder dieses Hauses trifft, wie auch die Kollegin Erikli, und eben auch nicht, wenn es jeden in diesem Land treffen kann, der sich in irgendeiner Weise einsetzt, die Rechtsradikale provozieren könnte:

In der Kirche oder der sozialen Arbeit, in der Hilfe für Geflüchtete, gegen Fremdenhass oder auch nur für die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus. Jeden dieser engagierten Menschen können Hass und Beleidigung treffen, unflätige Verleumdungen und auch Drohungen.

Weil wir uns davon nicht einschüchtern lassen wollen, legen wir uns ein dickes Fell zu, klappen den Kragen hoch, ignorieren die Trolle und Hater. Wir machen weiter. Wir halten viel aus. Der Fall Lübcke aber lehrt uns, dass wir vielleicht schon zu viel ausgehalten haben.

Dies gilt nicht nur gegenüber einer kleinen Minderheit, die in den sozialen Medien umso wilder brüllt und um sich spuckt. Dies gilt nicht nur für rechte Echokammern, in denen Politiker und Engagierte Bürger zu Monstern erklärt werden, zu Abschaum oder zu Ungeziefer. Dies gilt auch gegenüber jenen Politikern, die dieser Infektion unseres gesellschaftlichen Miteinanders glucksend zusehen, die ihm immer offener applaudieren und die versuchen, all dem auch politisch die Bahn zu bereiten.

Auch in diesem Land und in diesem Haus erleben wir, wie die AfD die Weichen bewusst auf Entgleisung stellt. Affront statt Argument, Eklat statt Erklärung, und immer wieder die Demonstration, dass man die Spielregeln der Demokratie verachtet. Dass man die Spielregeln dieses Parlaments mit Polizeibeamten durchsetzen musste, ist uns noch in böser Erinnerung.

Politiker der AfD bedienen bewusst Gewaltphantasien, für die ihnen ein Teil ihrer Anhänger Beifall klatscht. Da wird auf Politiker Jagd gemacht, da verspricht man, Gegner an die Wand zu stellen. Man applaudiert Demonstrationen, auf denen Galgen für die Kanzlerin herumgetragen werden.

Und ein Mitarbeiter der AfD-Fraktion in diesem Landtag twittert im Juli 2017, es sei „glänzend“ gewesen, dass der chilenische Diktator Pinochet Kommunisten aus Helikoptern habe werfen lassen: Zitat: „So muss das“. Nein, sage ich: So muss das nicht. So darf das auch nicht!

All das sind sprachliche Entgleisungen, und wir haben nun auf das deutlichste erleben müssen, wozu die führen können: Wer lange genug mit Sprache zuschlägt, schlägt irgendwann auch mit Gewalt zu.

Und ich sage es noch einmal: Ich fürchte, wir haben auch hier schon zu viel ausgehalten. Wir halten es aus, dass eine Partei, die auch in diesem Parlament vertreten ist, mindestens ihren Rechten Flügel tief ins Nest der Rechtsradikalen steckt, und dass sie an genau der Ideologieproduktion mitmacht, die rechte Gewalt angeblich legitimiert.

Und es ist eigentlich auch nicht aushaltbar, dass die allerrechteste Flügelspitze der CDU sich immer noch in Richtung AfD reckt. Ich hoffe, die klare Ansage an Werteunion und Co. überlebt die nächsten Landtagswahlen.

Für eine Partei wie die SPD, deren Mitglieder zwischen 1919 und 1945 selbst von politischen Morden Rechtsextremer betroffen waren, ist allein schon der Versuch unerträglich, sich diesen Brandstiftern anzunähern.

Was ich auch nicht aushalten möchte ist, dass wir nach dem Fall Lübcke wieder zur Tagesordnung übergehen. Nach einem politischen Mord, den es nach allem, was wir wissen, nicht ohne eine monatelange Hetzkampagne gegeben hätte. Eine Hetzkampagne, die wir zu lange zu ignorieren versuchten, weil wir das für das beste Mittel hielten.

Was sind wirklich die besten Mittel? Wenn es um Gewalt und Gewaltbereitschaft geht, sind wir uns einig, und wenn es darum geht, Rechtsextreme oder Reichsbürger zu entwaffnen, ist Baden-Württemberg auch einige gute Schritte weitergekommen, da wird der Innenminister ausnahmsweise keine Kritik von mir hören.

Und dass er damals eine Initiative der SPD aufgegriffen hat, soll jetzt auch keine Rolle spielen. Hauptsache, es wurde gehandelt gegenüber den äußersten und gefährlichsten Extremisten.

Ich denke aber, wir sollten gerade ein so schreckliches Extrem wie den Tod von Walter Lübcke zum Anlass nehmen, eben nicht nur an die äußersten Extreme zu denken.

Wenn Rechtsextremismus und rechte Gewaltbereitschaft eine Krankheit ist, die dieses Land bedroht, dann kann man nicht nur in Quarantäne schicken und nicht nur Isolierstationen aufbauen, dann muss man auch an Impfstoffe denken, an Vorbeugung, an das Vermeiden von Ansteckung.

Was wir alles tun können, liegt dem Landtag detailliert vor, und zwar in den Handlungsempfehlungen, die der NSU-Untersuchungssausschuss uns in seinem Abschlussbericht im vergangenen Dezember vorgestellt hat.

In diesem breiten Bündel an Empfehlungen geht es immer wieder auch um Prävention, und diese Prävention kann eben ganz konkret aussehen.

Ich erinnere an die Empfehlungen zur Bekämpfung der rechtsextremistischen Musikszene, die im Bericht klar als „Einstiegsdroge“ auch in die gewaltbereite rechte Szene identifiziert wird.

Hier eine bessere und verstärkte Polizeiarbeit zu fördern, bringt keinen Soforterfolg wie das Einsammeln von Waffen bei Reichsbürgern, aber es kann viel verhindern. Wie wir wissen, sogar Gewalttaten. Der Ausschuss schlägt auch vor, dass das Wissen über die rechtsextreme Szene in der Polizei noch besser weitergegeben werden muss.

Jede Polizistin und jeder Polizist in diesem Land weiß, was ein Fingerabdruck ist und wie man damit umgeht. Genauso selbstverständlich muss der Umgang mit den gesellschaftlichen Fingerabdrücken der Rechtsextremen sein. Der Ausschuss schlägt mehr Weiterbildung vor und mehr Spezialisierung, bei der Polizei wie beim Verfassungsschutz. Auch das ist kein Weg, der schnelle Erfolge bringt, aber es ist der richtige Weg, und wir sollten ihn gehen.

Auch die Mahnungen des Untersuchungsausschusses zu einer besseren länder- und behördenübergreifenden Zusammenarbeit ist zu nennen. Auch das hat der Innenminister gestern in den Medien angesprochen, auch da hat er unsere Unterstützung.

Und auch die Empfehlung des Ausschusses für einen besseren Blick auf Gesamtermittlungen und das Erkennen von Vernetzungen unterschiedlicher Kriminalitätsbereiche haben angesichts des Falles Lübcke noch mehr an trauriger Aktualität.

Da draußen ist eine kleine, aber gefährliche Zahl Rechtsextremer unterwegs, die ein ständiges Risiko darstellt.

Deswegen muss der Staat, muss die Mehrheit der Gesellschaft sich auch ständig zur Wehr setzen.

Noch eine Empfehlung des Ausschusses: Aussteigerprogramme, die gezielte Ansprache von Mitgliedern der rechtsextremen Szene und konsequentes Vorgehen gegen rechte Initiativen, die über angebliche Betreuung von Inhaftierten ihre Reihen füllen oder zumindest erhalten wollen.

Wenn wir mit allen Mitteln verhindern wollen, dass sich politische Morde wiederholen, dann müssen wir mit allen Mitteln vorgehen. Das sollten wir wörtliche nehmen: Mit allen Mitten heißt nicht nur mit den härtesten Mitteln, sondern auch mit den anderen. Mit allen Mitteln eben. Ich darf deswegen auch an die Empfehlung des Ausschusses erinnern, die Extremismusforschung auszubauen.

Wir müssen besser einschätzen können, welche Gefahren Rechtsextreme darstellen. Als die mörderische Verschwörung des NSU bekannt wurde, hat Ralph Giordano gesagt, die Republik sei „aus allen Wolken ihrer Ahnungslosigkeit gefallen“. Auch diese Ahnungslosigkeit müssen wir ändern. Denn sonst wäre es, wie der Titel dieser Debatte andeutet, tatsächlich eine unterschätzte Gefahr.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Geßmann Fraktion
Simone Geßmann
Beraterin für Recht, Verfassung, Medienpolitik