MdL Rainer Stickelberger: „Von dem dringend erforderlichen neuen Sicherheitsdenken ist die Atomaufsicht noch meilenweit entfernt“

Klage gegen Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden Scheuermann auch vor dem Verwaltungsgericht

Auch ein Jahr nach der Aufdeckung der schwer wiegenden Sicherheitsmängel im Atomkraftwerk Philippsburg II und der schlampigen Arbeitsweise der Atomaufsicht des Landes ist diese Behörde von dem dringend erforderlichen neuen Sicherheitsdenken noch meilenweit entfernt, kritisiert der Obmann der SPD-Fraktion im Atomuntersuchungsausschuss, Rainer Stickelberger. Wenige Tage vor der nächsten Sitzung dieses Gremiums wies der SPD-Politiker darauf hin, dass es allein im Juli 2002 drei meldepflichtige Ereignisse in den Atomkraftwerken gab, ohne dass das baden-württembergische Umweltministerium eingeschritten ist. Dabei sei offenkundig gewesen, dass Verstöße gegen Betriebsvorschriften vorlagen, so Stickelberger. Die Mängel seien zum Teil wieder nur durch Zufall entdeckt worden und ließen auf eine jahrelange falsche Montage schließen.

Stickelberger: „Welche Arbeitsauffassung hat eigentlich der teure Generalgutachter des Ministeriums, der TÜV Südwest mit einem jährlichen Auftragsvolumen von über 30 Mio. €, der sich eher um Routinearbeiten als um tatsächliche Kontrollen kümmert?“

Stickelberger erinnerte auch daran, dass Mitte August in Philippsburg zwei Schnellabschaltungen und eine Leckage im Primärkühlmittelbereich folgten. Gleichwohl würden die Kraftwerke des Landes als „sicher nach menschlichem Ermessen“ eingestuft, werde über eine verlängerte Betriebsdauer des AKW Obrigheim diskutiert und die CDU plädiere gar für den Neubau von Atomkraftwerken im Land. Die Forderung von SPD und Bündnisgrünen, endlich die notwendigen personellen und politischen Konsequenzen aus dem Atomskandal in Baden-Württemberg zu ziehen, stießen bei der Atombehörde im Land dagegen nach wie vor auf taube Ohren.

Stickelberger: „Sicherheit ist kein Wahlkampfthema. SPD und Bündnisgrüne werden deshalb im Untersuchungsausschuss die lückenlose Aufdeckung der Verstrickungen zwischen Ministerium, TÜV und EnBW unbeirrt weiterbetreiben, trotz der offensichtlichen Verzögerungstaktiken von CDU und FDP.“

In der kommenden Sitzung des Atomuntersuchungsausschusses werden mit Spannung erwartet die Zeugenaussagen der Vertreter der Bundesumweltbehörde und von Bundesumweltminister Trittin, die vor einem Jahr die Aufdeckung des Atomskandals in Baden-Württemberg ins Rollen brachten.

Klage gegen Scheuermann auch vor dem Verwaltungsgericht

Mit Enttäuschung nahmen die Fraktionen von SPD und Bündnisgrünen zur Kenntnis, dass der Staatsgerichtshof die mündliche Verhandlung im Organstreitverfahren von SPD und Grünen gegen den Vorsitzenden des Atomuntersuchungsausschusses erst auf den 21. Oktober 2002 terminiert hat. Damit sei es den Mehrheitsfraktionen im Ausschuss leider gelungen, ihr rechtswidrig verfolgtes Ziel, Bundesumweltminister Trittin vor der Bundestagswahl nicht mehr als Zeugen zu hören, durch Zeitablauf zu erreichen. Da im Übrigen der Anwalt des Ausschussvorsitzenden, Rechtsanwalt Klaus-Peter Dolde, in seinem Schriftsatz gegenüber dem Staatsgerichtshof die Zuständigkeit dieses Gerichtes bestreitet, will Landtagsvizepräsident Frieder Birzele als beauftragter Rechtsanwalt von SPD und Grünen nunmehr vorsorglich die Klage gegen den Ausschussvorsitzenden Scheufermann auch vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart einreichen.

Damit soll sichergestellt werden, dass die dem Streit zugrundeliegende Rechtsfrage, also die Rechte der Minderheit in einem Untersuchungsausschuss nach § 35 der Landesverfassung, auf jeden Fall geklärt wird, selbst dann, wenn sich der Staatsgerichtshof wider Erwarten als nicht zuständig erklären sollte.
Frieder Birzele weist dabei auch auf den merkwürdigen Umstand hin, dass gerade bei der Frage des zuständigen Gerichtes der vom Land bezahlte Rechtsanwalt Dolde, der für den Ausschussvorsitzenden tätig wird, hier eine diametral andere Auffassung vertritt als die gesamte Landtagsspitze. Die Landtagsverwaltung hatte in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit stets erklärt, für diesen Rechtsstreit sei in der Tat der Staatsgerichtshof zuständig.

Helmut Zorell

Pressesprecher