Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir befinden uns in unserem Land in einer historischen Ausnahmesituation. In einer Situation, die entschlossenes und umsichtiges politisches Handeln notwendig macht.

Die Corona-Pandemie zwingt uns, vieles an das wir uns wie selbstverständlich gewöhnt haben, in Frage zu stellen. Und auch Einschränkungen in unsere persönliche Freiheit zu akzeptieren.

Gerade deswegen ist hier und heute im Landtag von Baden-Württemberg der richtige Ort und die richtige Zeit, um über diese Situation zu debattieren und auch zu streiten. Denn dass in einer Demokratie diskutiert werden muss, ist für mich selbstverständlich.

Und deswegen gilt gerade bei den am Mittwoch von den Ministerpräsidenten und der Bundesregierung beschlossenen einschneidenden Maßnahmen, dass wir nicht weniger, sondern MEHR Parlament brauchen.

Deswegen hat SPD diese Sondersitzung initiiert.

Danke an alle Fraktionen, die unsere Initiative mitgetragen und diese Sondersitzung ermöglicht haben. Danke auch an das Landtagspräsidium. Sie haben damit nicht die SPD, sondern zuvorderst die Demokratie unterstützt. Sie stärken nicht eine Partei, sondern unseren Landtag.

Denn der Landtag von Baden-Württemberg beweist heute, dass man ihn nicht mit dem Argument der nötigen Eile abtun kann.

Der Landtag von Baden-Württemberg kann mindestens so rasch zusammentreten wie jene Runden in Berlin, in denen zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten nach bundesweiten, einheitlichen Lösungen gesucht werden. Schon deswegen sind diese Runden wichtig und sinnvoll.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese Runden in unserer Verfassung gar nicht auftauchen. Und schon gar nicht als Ersatz für die Parlamente in Bund und Ländern. Für Demokratie und Parlamentarismus gibt es keinen Ersatz in diesem Land!

Sitzung heute wichtig, denn Politik muss wieder einschneidende Maßnahmen ergreifen.

Maßnahmen die allen Bürgerinnen und Bürgern viel von ihrem Alltag nehmen, von ihren Möglichkeiten, ihr Leben und ihre Freizeit zu gestalten.

Und die Debatte hier und kann uns soll auch ein Zeichen in unsere Gesellschaft hinein sein. Ein Zeichen dafür, dass demokratische Prozesse auch in einer Krise funktionieren. Akzeptanz, die Einsicht in die Richtigkeit und Notwendigkeit der Regelungen, ist der entscheidende Schlüssel

Und es sind Maßnahmen die nach all den Einbußen dieses Jahres Hunderttausende auch in Baden-Württemberg in ihrer Existenz bedrohen, weil man ihnen ihre Erwerbsmöglichkeiten verbietet.

In einer Demokratie muss es möglich sein, über solche Maßnahmen zu diskutieren, sich darüber zu beraten, sich darüber auszutauschen. Auch dafür kann es keinen Ersatz geben. Das Coronavirus kann uns zu bestimmten Schritten zwingen, auch zu schmerzhaften Schritten. Aber niemand diktiert in diesem Land an der Demokratie vorbei. Auch kein Virus.

Demokratie lässt sich nicht durch Pandemie ersetzen.

Corona hat uns im Frühjahr kalt erwischt. Niemand auf der Welt kannte die Ausmaße, die Auswirkungen.

Wir alle haben erschrocken reagiert, schnell und durchgreifend.

Nicht immer haben wir richtig reagiert.

Aber, wir haben manches gelernt seit dem Frühjahr.

Im Frühjahr meinte manche in diesem Haus, man könne den Landtag über Monate in den Lockdown schicken. Jetzt wissen wir es besser, hoffentlich.

Im Frühjahr schloss man schnell die Schulen und Kitas und brachte Zigtausende Familien in große Nöte. Wer das kritisierte, war ein Nörgler von der Opposition. Jetzt wissen es alle besser, hoffentlich.

Im Frühjahr hieß es auch noch, gerade die SPD in der Bundesregierung werfe Geld aus dem Fenster, der Bund übernehme sich. Jetzt wissen wir es besser, angesichts der Konjunkturzahlen, beim Blick auf den Arbeitsmarkt, beim Blick auf die Nachbarländer.

Und wir wissen, dass Olaf Scholz mit seiner erneuten Ankündigung von Hilfspaketen einen enorm wichtigen Schritt geht.

Und weil wir jetzt keinen Wahlkampf machen: Ohne den Koalitionspartner CDU wäre das im Bund nicht möglich.

Und unabhängig davon, ob das in der Öffentlichkeit nun mehr der CDU oder der SPD gedankt werden wird: Wir wissen, wie unglaublich wichtig diese Hilfen sind.

Seit dem Frühjahr haben wir auch gelernt, dass der Kampf gegen die Pandemie so kompliziert ist, dass wir ihn nicht durch eine unnötige Vielzahl unterschiedlicher Regeln noch komplizierter machen dürfen. Wir haben auch in Baden-Württemberg gelernt, dass wir tatsächliche oder gefühlte Mängel im Umgang mit der föderalen Ordnung nicht unbedingt mitten in einer Pandemie ausdiskutieren sollten.

Es geht der Politik kaum anders als der Medizin: Wir haben viel gelernt über Corona seit dem Frühjahr. Aber wir sind noch längst nicht fertig und müssen noch viel mehr lernen.

Und deswegen sind wir gefragt. In diesem Parlament, im Landtag von Baden-Württemberg.

Wir müssen hier beraten, wie wir notwendige Schritte gegen die Pandemie sinnvoll und wirksam umsetzen.

Kein seriöses Mitglied dieses Hauses wird bestreiten, dass die Politik handeln muss, dass Schritte nötig sind, um die Pandemie deutlich und nachhaltig zu bremsen. Wer die Lage bestreitet, der hat den Boden faktenbasierter Entscheidungen verlassen, der betreibt nicht Politik, sondern Fantasy.

Wir wissen, dass wir das Infektionsgeschehen bremsen müssen. Aber WIE!!!! wir es bremsen, dürfen wir diskutieren. Wir MÜSSEN es diskutieren.

Wenn ich einen Berg hinunter radle und mein Fahrrad bremse, dann betätige ich die Bremsgriffe.

Und wenn das nicht gut genug funktioniert, muss ich meine Bremsen einstellen. Es ist keine Alternative, dreimal gegen einen Baum zu fahren!

Wir laufen Gefahr, genau das zu tun: Wir fahren gegen den Baum, wir stürzen, wir tragen Schäden davon, wir bluten. Wir setzen uns wieder aufs Rad, wir werden wieder schneller und schneller und wieder zu schnell und fahren wieder gegen einen Baum.

So kann das nicht gehen. Ein Lockdown ist eine Notbremse. Er war es im Frühjahr, er ist es jetzt. Aber wir wussten im Frühjahr, dass das Virus auch nach dem Lockdown noch da sein würde. Und wir wissen jetzt, dass es nach dem Lockdown noch da sein wird.

Aber umso notwendiger ist es doch, unsere Maßnahmen beständig und nachhaltig zu gestalten. Corona ist kein Unwetter, das über uns hinwegfegt und morgen vorbei ist. Seit dem Frühjahr hören wir, dass wir lernen müssen, über einen längeren Zeitraum unter den Bedingungen der Pandemie zu leben.

Wir müssen dringend begreifen, dass wir auf eine weltweite Pandemie nicht mit ordnungspolitischen Schnellschüssen reagieren können, die unsere Verfassung für einen Seuchenfall auf einem Aussiedlerhof vorsieht. Wir können dieses Land nicht einzäunen und nicht mit Polizisten umstellen und wir dürfen es auch nicht.

Deswegen müssen alle Maßnahmen, welche die Politik beschließt, nachvollziehbar und wohlbegründet sein.

Sonst treffen sie nicht auf die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Und sonst treffen sie auch nicht auf die Akzeptanz unseres Rechtsstaats. Dann haben sie keinen Bestand vor Gericht, und das ist verheerend. Verheerend für die Glaubwürdigkeit der Politik, verheerend vor allem aber für den Kampf gegen die Pandemie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch das müssen wir endlich einsehen.

Was bedeutet das?

Niemand, der in diesem Land Regierungsverantwortung trägt, hat es sich leicht gemacht mit diesem Virus. Aber das Problem ist, dass wir es uns noch viel schwerer machen müssen.

Und im Kern aller Bemühungen muss doch stehen, dem Infektionsgeschehen die Dynamik zu nehmen und Kontakte zu anderen Menschen, wo immer möglich, zu vermeiden. Das ist der Kern der Beschlüsse vom vergangenen Mittwoch und diesen halten wir für richtig.

Wir müssen noch viel genauer hinschauen, wenn wir Regeln für die Gastronomie beschließen: Ist es fair, das Speiserestaurant so zu behandeln wie die Szenekneipe? Ist es fair, den Landgasthof für das Infektionsgeschehen in der Großstadtbar zu bestrafen?

Und ich sage es Ihnen in aller Offenheit: Meine Fraktion hat mit einzelnen der zwischen den Ministerpräsidenten beschlossenen Regelungen ganz erhebliche Probleme. Probleme in der politischen Begründung, aber auch im Vertrauen auf die rechtliche Haltbarkeit.

Wir müssen es uns schwerer machen. Auch da, wo es darum geht, dass zwischen der Einschränkung und dem Lockdown noch eine weitere Stufe existiert: Die Stufe, auf der die Einschränkung kontrolliert und durchgesetzt wird.

Und an dieser Stelle kommen wir zur Frage der Akzeptanz der Maßnahmen.

In den Medien haben einige wenige Wirrköpfe in den vergangenen Monaten eine gehörige Aufmerksamkeit genossen. Und man hat viel darüber nachgedacht, woher die große Unzufriedenheit kommen könnte.

Ich fürchte, dass eine viel größere Unzufriedenheit entstehen könnte, und zwar bei viel mehr Menschen in diesem Land. Und vor allem aus Gründen, die sich nicht einfach abtun lassen.

Es geht mir um diejenigen Unternehmen und Einrichtungen, die sich in den letzten Wochen und Monaten streng an Auflagen hielten, sich mit Gästen stritten wegen des korrekten Ausfüllens von Meldebögen, die Schulden machten für Plexiglasscheiben und Vorzelte und Heizpilze und denen man nun den Laden schließt, weil schwarze Schafe in ihrer Branche sich einen Dreck um die Gesundheit ihrer Gäste kümmerten.

Ich fürchte die Unzufriedenheit von Kulturschaffenden und kulturellen Einrichtungen, deren Existenz auf der Kippe steht. Deren Besucher noch nie auch nur im Verdacht standen, nennenswert zum Infektionsgeschehen beizutragen. Und die nun alle geschlossen werden, weil man nicht zwischen einer Oper und einer Ü-30-Party unterscheiden will.

Ich fürchte, dass wir schon wieder an den Baum fahren mit diesem Land, dass wir wieder hinfallen und wieder bluten.

Wir sind bei den Schulen einige Schritte weitergekommen. Aber doch nicht wegen der Politik von Frau Eisenmann. Es ist zehntausenden engagierten Lehrerinnen und Lehrern und den Erzieherinnen und Erziehern an unseren Kitas zu verdanken, dass der Betrieb dort läuft. Und ja, es ist richtig dem Präsenzunterricht den Vorrang vor der Schließung von Bildungseinrichtungen zu geben. Aber alles was man zu Szenarien aus dem Kultusministerium hört ist, dass man dann halt im Winter bei geöffneten Fenstern unterrichten soll und gegen Erfrierungen im Gesicht eine Maske tragen soll.

Und wenn es um den Einsatz von Luftfiltern geht, ist Frau Eisenmann nicht einmal bereit, deren Wirksamkeit und Einsatz zu prüfen. Oder zumindest ab Klasse andere Unterrichtsforme, wie z.B. den Hybridunterricht in einem rollierenden System, wie es auch unisono viele Schulpraktiker und Lehrerverbände fordern.

Ich fürchte, mancher denkt immer noch, die Pandemie sei nächste Woche vorbei. Und wie oft höre ich von frustrierten Eltern und Lehrkräften, die Frage, was die Kultusministerin in den letzten 8 Monaten gemacht habe. Nun die Antwort ist einfach, sie arbeitet an ihrem Wahlkampf. Dafür wird sie aber von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern nicht bezahlt!

Und überall, wo wir seit dem Frühjahr nicht das allermeiste Lehrgeld gezahlt haben, gehen wieder die schnellen Lösungen an den Start: Auch in den Hochschulen fallen wir wieder auf den Lockdown zurück, im Sport genauso. Und auch hier müssen wir Fragen stellen: Bei Sportarten im Freien und bei denen kein Körperkontakt stattfindet werden verboten. Warum? Und was ist mit Kindern und Jugendlichen? In der Schule sitzen sie eng aufeinander, gemeinsames Training ist verboten. Wie wäre es, wenn man hier den Wettkampfbetrieb aussetzt, den Trainingsbetrieb aber weiterführt?

Und in bestimmten Kreisen kursieren schon wieder bizarre Stammtisch-Ideen aus dem Frühjahr: Das Virus ist ein Ausländer, also schließen wir die Grenzen. An einem dieser Stammtische scheint auch der Innenminister dieses Landes, Herr Strobl, regelmäßig zu Gast zu sein. Aus Profilierungssucht am Anfang dieser Woche eine solche Maßnahme wie Grenzschließungen ins Spiel zu bringen und damit vor allem die Menschen in der Badischen Grenzregion zu verunsichern ist völlig inakzeptabel.

Noch einmal: Wir müssen bremsen. Wir müssen etwas tun. Es kann keinen Normalzustand geben in diesen Zeiten. Das müssen alle begreifen in diesem Land, nicht nur die Politik, sondern wir alle. Und das bedeutet eben auch Verantwortung, und Rücksichtnahme statt dümmlichem Egoismus.

Das bedeutet, dass es wenig Sinn macht, sich mit Maske und Abstand in einem Restaurant zu treffen und sich danach auf dem Parkplatz ohne Maske mit Küsschen und Umarmung zu verabschieden. Das muss man den Leuten auch mal ganz klar sagen: Die Vorsicht gegenüber dem Virus ist keine Arbeitsschutzmaßnahme, die man nach Feierabend und in der Freizeit getrost vergessen kann.

Und wer meint, er müsse vor dem Lockdown kommende Woche jetzt noch zu Abschiedspartys laden und noch einmal groß auf die Piste gehen, hat leider überhaupt nichts verstanden.

Und es kann auch nicht sein, dass sich Anordnungen gegen die Pandemie nur in Appellen erschöpfen – und wenn die Wirkung ausbleibt, werden die Anordnungen und Appelle noch schärfer. Man wird manche Regeln eben auch durchsetzen müssen. Mit Kontrollen und ja, auch mit Sanktionen, wenn es nicht anders geht.

Klar ist auch, dass unser Freizeitvergnügen in diesen Zeiten der Not nicht die oberste Priorität haben kann. Erst Recht nicht, wenn dieses Freizeitvergnügen uns daran hindert, die Pandemie zu bremsen.

All das müssen sich alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land sagen lassen. Aber all die Menschen, die von Corona nicht nur in ihrer Gesundheit, sondern eben auch in ihrer Existenz bedroht sind, haben ein Recht darauf, dass die Politik ganz genau überlegt, welche Schritte sie wo unternimmt.

Dass sie so genau wie möglich nachweisen kann, dass jeder dieser Schritte berechtigt ist und tatsächlich zu einem Nachlassen des Infektionsgeschehens beiträgt.

Meine Fraktion und ich machen uns große Sorgen. Sorgen um diejenigen Betriebe, die durch die nun beschlossenen Maßnahmen in noch größere Not gebracht werden. Was ist denn die Perspektive für die Veranstaltungsbranche, für Künstlerinnen und Künstler oder für die Schausteller in unserem Land? Und was gibt uns, gibt Ihnen und vor allem den Betroffenen, die Sicherheit, dass die Maßnahmen Ende November wieder aufgehoben werden können?

Und deshalb bin ich Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der Bundesregierung sehr dankbar, den nun betroffenen Branchen einen Ersatz Ihrer Umsätze zuzusagen. Aber wir brauchen auch Antworten, die über den November hinausgehen. Und hier ist auch und gerade die Landesregierung gefordert. Welchen zusätzlichen Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen Unternehmen und die Beschäftigten sind neben dem Bund notwendig? Und wie gehen wir in die nächsten Monate? Sich nur auf den Zahlungen des Bundes auszuruhen, wird nicht ausreichen, Herr Ministerpräsident.

Und die Menschen haben ein Recht darauf, dass alle Schritte und Maßnahmen bestens begründet sind und einer medizinischen wie juristischen Überprüfung standhalten. Sie haben ein Recht darauf, dass wir die Pandemie so gut wie möglich bremsen, ohne dieses Land und ganze Branchen an die Wand zu fahren.

Daran müssen wir arbeiten, darüber müssen wir beraten.

Und uns muss klar sein, dass wir die in der Bevölkerung notwendige Akzeptanz der Maßnahmen nur dann erhalten und gewinnen können, wenn sie sinnvoll und nachvollziehbar sind. Wenn sie nicht widersprüchlich sind und möglichst einheitlich gelten. Und wenn Ihre Einhaltung auch kontrolliert und notfalls sanktioniert wird gegenüber denen, die sich unsolidarisch verhalten und damit die Eindämmung der gesundheitlichen Gefahren behindern.

Wir haben zu tun in diesem Land. Packen wir’s an. An der SPD-Fraktion wird es nicht fehlen.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik