Redemanuskript Jonas Weber
zum Antrag der Fraktion der Grünen: „Beteiligungsportal des Landes Baden-Württemberg“
am 15. Juli 2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Unbestritten ist der Weg, den die Grün-Rote Landesregierung geöffnet hat, richtig. Moderne Demokratie braucht Akzeptanz und muss immer wieder aufs Neue Vertrauen schaffen. Ein Schlüssel hierfür ist die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in Gesetzgebungsprozessen und darüber hinaus.
Selbsterklärtes Ziel ist, Baden-Württemberg zum „Musterland für Bürgerbeteiligung“ zu machen. Der Ausgangspunkt war das Schieneninfrastrukturprojekt S21, das in Baden-Württemberg heftig diskutiert wurde.
Es war richtig, dass Grün-Rot eine Volksabstimmung über S21 durchgeführt hat und 2013 mit dem Beteiligungsportal Menschen wieder näher an die Entscheidung und den politischen Prozess geführt hat.
Ministerpräsident Kretschmann sagte 2012: „Mit der heutigen Volksabstimmung haben wir einen großen Schritt in die Bürgergesellschaft gemacht, dem weitere folgen!“
Doch wo stehen wir heute – acht Jahre später? Neben der Möglichkeit zur Beteiligung ist doch entscheidend, was am Ende dabei rumkommt. Ein Beteiligungsprozess ist immer nur so gut, wie sein Ergebnis.
Während in der letzten Legislatur in neun von 25 Fällen tatsächliche Änderungen an den Entwürfen vorgenommen wurden – so sind es in der aktuellen Legislatur gerade einmal drei Änderungen. Bei insgesamt weniger Gesetzesentwürfen als in der vergangenen Periode (15).

Aber auch der Ministerpräsident hört sich heute ganz anders an. Zu Volksbegehren sagt er heute: „Meine Skepsis ist da generell gestiegen.“
Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass sich diese eingetrübte Sicht nicht in der Antwort des vorliegenden Antrags findet.
Zum einen hat die Grüne Fraktion ja nur nach Potenzialen und Möglichkeiten gefragt und zum anderen passt es ja auch nicht so ganz zur eigenen Erzählung.
Werfen wir einen Blick auf ein konkretes Projekt und die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern. Ich will ganz bewusst ein Beispiel aus meinen Wahlkreis hier thematisieren. Entlang der B462 werden gerade elektrische Oberleitungen gebaut, um später E-LKWs zu testen. Ein Lieblingsprojekt des grünen Verkehrsministers – in meinem Wahlkreis sehr umstritten. Auch dazu gab es einen Beteiligungsprozess. Es gab Hochglanzbroschüren sowie eine Digitale Konferenz und verschiedene Besprechungen. Die Broschüren, die eigentlich an alle Gemeinden an der Strecke – so die Aussage von Verkehrsminister Herrmann – verteilt worden seien, kamen in einigen Gemeinden nie an. Aber auch Hinweise aus den betroffenen Gemeinden wurden eher ungern gesehen. Bürgermeister Robert Wein (Bischweier) sagt dazu: „Ich vermisse einen offenen und ehrlichen Umgang mit unseren Bedenken.“
Im Gaggenauer Gemeinderat empört man sich über „die Arroganz, mit der das Verkehrsministerium die Bürgerinnen und Bürger sowie politische Instanzen im Murgtal behandelt“. Als kürzlich die Badischen Neusten Nachrichten ihre Leserinnen und Leser aufrief, um sich zu äußern, meldeten sich viele, aber nur einer befürwortet das Projekt.
Ganz unabhängig davon, wie man zu diesem oder einen anderen Projekt in Baden-Württemberg steht – so ein Beteiligungsprozess ist meilenweit von dem entfernt, was man einen guten Beteiligungsprozess nennt. Auch im besten Beteiligungsverfahren kann man es nicht allen recht machen. Läuft er jedoch wie hier beschrieben, so schafft es weder Akzeptanz noch Vertrauen.
Beides braucht es jedoch, wenn wir auch zukünftig Projekte gemeinsam mit der Bevölkerung realisieren wollen.
Vielmehr wird es immer schwieriger, wenn der Eindruck entsteht, man entscheide über die Köpfe der Menschen hinweg und nehme Beteiligung nicht ernst.
Nur dann, wenn die Bereitschaft aufeinander zuzugehen vorhanden ist, schaffen wir Akzeptanz und Vertrauen mit einem Beteiligungsprozess.
Das selbsterklärte Ziel zum „Musterland“ zu werden, ist damit in die Ferne gerückt.
Nach kurzer Zeit droht das zarte Pflänzchen zu welken.
Dies hängt auch damit zusammen, dass der Ministerpräsident und seine Regierung die Lust an einer Beteiligung, die auch Änderungen zulässt, verloren haben.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Geßmann Fraktion
Simone Geßmann
Beraterin für Recht, Verfassung, Medienpolitik