Wolfgang Drexler: „Die Probleme mit G8 sind so gravierend, dass notwendige Änderungen sofort angegangen werden müssen“

Ute Vogt: „Stofffülle verringern, 2. Fremdsprache erst in Klasse 6, Verdichtung der Lerninhalte in der Unterstufe rückgängig machen – und das Lernen lernen, statt Fakten pauken“

Rekordbesuch im Stuttgarter Landtag: Rund 650 Eltern und etliche Lehrerinnen und Lehrer aus ganz Baden-Württemberg kamen an diesem Samstag in den Landtag zur Anhörung der SPD zum achtjährigen Gymnasium (G8). In einer äußerst engagiert geführten Debatte verlangten die Eltern eine gründliche und schnelle Überarbeitung des Turbo-Gymnasiums. Auf Kritik von Vätern und Müttern, aber auch von Lehrerinnen und Lehrern, stieß vor allem die Überforderung der Kinder mit dem jetzigen G8, die Aushöhlung des Familienlebens, die Verschärfung der sozialen Auslese und die durch Schulstress erzwungene Einschränkung sozialer Kontakte und außerschulischer Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. „Das ist für die Kinder der Schock pur“, sagte eine Mutter aus Feuerbach.

Die Eltern hielten in der Diskussion mit ihrem Unmut nicht hinter dem Berg: „Mein Vorrat an Nachsicht gegenüber der Kultusverwaltung ist zur Neige gegangen, denn Baden-Württemberg ist bundesweit Spitzenreiter in der Belastung der Kinder“, schimpfte ein Vater aus Göppingen. Ein anderer Vater aus der Nähe von Stuttgart berichtete, eine komplette Grundschulklasse habe aus Angst vor dem G8 trotz Gymnasialempfehlung auf die Realschule gewechselt. „Der Leistungsdruck bei G8 ist so groß, dass wir uns wirklich Sorgen um unsere Kinder machen“, bestätigte die Elternvertreterin eines Gymnasiums aus der Nähe von Kornwestheim. „Seit G8 gibt es kein Wochenende ohne Schule mehr. Darunter leidet das Familienleben und die Bildungschancen unserer Kinder werden mutwillig zerstört“, stellte sie wütend fest.

Viele Eltern beklagten auch, dass wegen der überhasteten Einführung des G8 die Eltern als Nachhilfelehrer missbraucht würden. Da viele Eltern dazu nicht in der Lage seien oder schlicht keine Zeit dafür hätten, werde die soziale Auslese mit G8 weiter verschärft.

„Bei den Problemen mit dem G8 handelt es sich gerade nicht um Einzelfälle, wie uns das Kultusministerium glauben machen will“, fasste SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler die Wortmeldungen der Eltern zusammen. Dass sich viele Eltern im Land wegen der Auswüchse beim G8 große Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder machten, könne allein schon an dem überwältigenden Interesse für die Veranstaltung der SPD abgelesen werden. Mehr als 1.000 Bürgerinnen und Bürger hätten sich angemeldet, aus feuerpolizeilichen Gründen habe man aber bei 650 Gästen einen Anmeldestopp vornehmen müssen. Um die Referate und die Diskussion dieser Anhörung im Landtag zum G8 möglichst allen Interessierten zugänglich zu machen, werde die SPD einen Mitschnitt der Veranstaltung als DVD anbieten.

Nach Drexlers Worten wird vielen Kindern, die noch in der Grundschule mit Eifer ihren Wissensdurst stillen, die Freude am Lernen durch den enormen Druck in den Klassen 5 und 6 im G8 vergellt. Die Belastung zeitige in vielen Fällen bereits gesundheitsschädliche Folgen. Zunehmend seien Verhaltensauffälligkeiten und Schlafstörungen festzustellen. Drexler forderte die Landesregierung unter dem Beifall der Eltern auf, jetzt rasch zu handeln und notwendige Veränderungen sofort vorzunehmen.

Die SPD-Landesvorsitzende Ute Vogt, zugleich Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl, schlug eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Entlastung im G8 vor, insbesondere die Verringerung der Stofffülle. Ferner müsse die Verdichtung der Lerninhalte in der Unterstufe rückgängig gemacht werden. „Es kommt nicht auf das Pauken von Fakten an, sondern darauf, das Lernen und Denken zu lernen“, so Vogt. Vogt plädierte außerdem dafür, die 2. Fremdsprache erst in Klasse 6 einzuführen, die Vergleichsarbeiten nicht als Klassenarbeiten zu benoten und schließlich auch die Gymnasien zu Ganztagsschulen mit entsprechenden Ressourcen auszubauen.

Die Gastreferenten unterstrichen in ihren Beiträgen die vielfältigen Probleme mit dem G8. Monika Rau, Elternvertreterin einer 6. Klasse eines Gymnasiums in Stuttgart-Feuerbach, verwies auf die hohe Belastung durch Unterricht, Hausaufgaben sowie Vor- und Nachbereitung. „45 Wochenstunden sind keine Seltenheit. Darunter leiden soziale Kontakte, außerschulische Aktivitäten kommen viel zu kurz“, berichtete die Elternvertreterin. „Das Wochenende der Familie ist seit G8 nur noch an den schulischen Anforderungen der Kinder ausgerichtet“, schilderte sie die derzeitige Situation unter tosendem Beifall der Eltern.

Aus ärztlicher Sicht erläuterte die Allgemeinmedizinerin Dr. Christine Przybylla aus Ellwangen die Auswirkungen des G8 auf die Gesundheit der Kinder. Ihr beruflicher Alltag und eine Stichprobe an einer Schule zeige eindeutig eine Zunahme von psychosomatischen Beschwerden von Kindern, die die 5. und 6. Klasse des G8 besuchten. Mit G8 unter den derzeitigen Bedingungen werde „das Selbstvertrauen und das seelische Gleichgewicht der Kinder zerstört“, so die Ärztin.

Johannes Baumann, Vorsitzender der Direktorenvereinigung Süd-Württemberg, warf aus Sicht eines Schulleiters einen kritischen Blick auf das G8. Das Schulcurriculum sei zwar ein sehr gutes Instrument, doch den Schulen bleibe häufig nicht genügend Zeit für die Anwendung. Eine deutliche Mehrheit der Schulleiter spreche sich zudem dafür aus, die 2. Fremdsprache erst in Klasse 6 einzuführen. Nach den Worten Baumanns bedeute das G8 de facto Ganztagsunterricht. Viele Schulen seien dafür jedoch weder räumlich noch personell ausgestattet.

„Seit G8 ist das Leuchten aus den Augen meiner Kinder verschwunden. Es ist unsere Aufgabe als Eltern, dafür zu sorgen, dass dieses Leuchten wieder zurückkehrt.“ So begründete ein Vater sein Engagement für ein besseres G8 und appellierte an alle Eltern, im Interesse der Kinder für schnelle Verbesserungen zu kämpfen.

Helmut Zorell
Pressesprecher