Claus Schmiedel: „Wer Schulstandorte im ländlichen Raum wohnortnah erhalten will, muss alle kommunalen Bemühungen zur Stabilisierung ihrer Schulen unterstützen“

MdL Norbert Zeller: „Gefragt sind jetzt die Mittlere Reife als Regelabschluss, Ganztagsangebote an allen Schulen und längeres gemeinsames Lernen“

Die SPD-Landtagsfraktion sieht die Bildungspolitik in Baden-Württemberg an einem entscheidenden Wendepunkt. Erstmals seit Jahren könnten sich alle Bildungsbeteiligten auf den produktiven Wettbewerb um die besseren Bildungskonzepte konzentrieren, nachdem die Landesregierung selber mit ihrer Qualitäts- und Bildungsoffensive erhebliche Defizite des Bildungswesens im Land nicht länger bestreite. Die Politik des „Schönredens“ und „Beschwichtigens“ von Unterrichtsausfall, zu großen Klassen und sozialer Auslese sei damit gescheitert, so SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Doch die bisher bekannt gegebenen Grundzüge der Regierungsoffensive zeigten, dass CDU und FDP doch nicht den Mut aufbringen zu einer durchgreifenden Bildungsreform, die insbesondere wohnortnahen Schulstandorten im ländlichen Raum Entwicklungsmöglichkeiten bietet.

Wer Schulstandorte im ländlichen Raum wohnortnah erhalten will, müsse alle kommunalen Bemühungen zur Stabilisierung ihrer Schulen unterstützen. Die Regierung aber verpasse den Kommunen für ihre weitere Schulentwicklung eine Zwangsjacke, die das Sterben der Hauptschulstandorte zwar hinauszögern, aber nicht wirksam verhindern könne. Denn die Kommunen dürften nicht selbst über die richtigen Konzepte für ihre Schulen entscheiden, müssten sich vielmehr an die Vorgaben und Instrumente der Regierung für Kooperationen und Zusammenschlüsse halten.

Schmiedel: „Die Regierung will nun kleine Hauptschulen nicht mehr selber schließen. Sie lässt sie einfach austrocknen, indem sie den Kommunen zukunftsträchtige Schulprojekte mit längerem gemeinsamem Lernen und Gemeinschaftsschulen verweigert. So wird die Regierung die Hauptschulen gewiss nicht aus der Sackgasse herausführen, in der sie inzwischen auch Ministerpräsident Oettinger sieht.“

Die SPD begrüße zwar die Absenkung des Klassenteilers, so Schmiedel. Angesichts der vielen großen Klassen in allen Schularten sei es aber völlig unverständlich, dass sich die Regierung damit so viel Zeit lasse. Im kommenden Schuljahr werde sich deshalb an der Misere mit den überfüllten Klassen im Land gar nichts ändern.

Schmiedel kündigte an, dass seine Fraktion sehr genau darauf achten werde, dass die von der Regierung versprochenen zusätzlichen neuen Lehrerstellen auch tatsächlich geschaffen und besetzt werden. Grund zur Wachsamkeit bestehe allemal. Denn die Regierung habe auf ihrer gestrigen Pressekonferenz angekündigt, dass sie zwei Drittel der Lehrerstellen, die durch den Zusammenschluss von Hauptschulen als Synergieeffekt frei werden, den Schulen entziehen und für unterrichtsfremde Zwecke einsetzen wird.

Bildungspolitische Weichenstellung und Stärkung des ländlichen Raums
Für die SPD geht es in der jetzigen Situation um eine bildungspolitische Weichenstellung und zugleich auch um die Stärkung des ländlichen Raums. Denn ein gutes örtliches Bildungsangebot ist nach den Worten von Fraktionschef Schmiedel ein wichtiger Standortfaktor für die Kommunen und ein entscheidender Wettbewerbsvorteil bei der Ansiedlung junger Familien. Der SPD-Fraktionschef unterstrich die Feststellung eines CDU-Ministers „Stirbt die Schule, stirbt das Dorf“.

Massenschließungen von Hauptschulstandorten im ländlichen Raum, wie von Ministerpräsident Oettinger und Finanzminister Stächele ursprünglich angekündigt, und die Bildung von Hauptschulzentren betrachtet die SPD deshalb als Kampfansage an den ländlichen Raum. Denn bereits heute seien 727 der insgesamt 1.197 öffentlichen Hauptschulen nur noch einzügig und erfüllten nicht die von Oettinger noch vor wenigen Tagen verkündete Maßgabe, wonach Hauptschulen künftig nur noch zweizügig geführt werden sollen. Bereits heute hätten 283 Hauptschulen weniger als 85 Schüler und lägen so auch unter der vom Kultusministerium genannten Mindestgröße.

Um Schulen wohnortnah zu erhalten, bräuchten Schulen und Schulträger mehr Freiraum bei der Umsetzung innovativer pädagogischer Bildungskonzepte und bei der Auswahl ihres Personals. Nur mit einem breiten Angebot an Schulabschlüssen könnten Schulstandorte im ländlichen Raum erhalten und damit die Bildungschancen junger Menschen gesichert werden.

Die „Qualitätsoffensive“ zeigt nach Ansicht von Schmiedel, wie sehr die Landesregierung in der Bildungspolitik unter Druck geraten ist. Die Eltern hätten die ständige Flickschusterei satt und hätten dies zu Abertausenden auf Demonstrationen auch deutlich zum Ausdruck gebracht.

Bildungsgipfel statt chaotische Entscheidungen am grünen Tisch
Schmiedel forderte einen „Bildungsgipfel“ von Politik, Schulen, Eltern, Schulträgern und Wirtschaft für einen echten Neuanfang in der baden-württembergischen Bildungspolitik. Dort sollen die landespolitischen Rahmenbedingungen für die Bildungsreform festgelegt werden. Auf dieser Grundlage sollen dann die Beteiligten vor Ort mit „leidenschaftlichen Anstrengungen“ die neuen Handlungsspielräume für innovative Konzepte nutzen, um Kinder länger gemeinsam lernen zu lassen und sie besser individuell zu fördern.

Der geradezu chaotische Verlauf des öffentlich ausgetragenen Streits unter Regierungspolitikern um die Bildungsoffensive ist für Schmiedel der beste Beweis für die Notwendigkeit eines Bildungsgipfels. „Blanker Dilettantismus“ sei da bei den Regierenden zum Vorschein gekommen.

Schmiedel: „Oettinger korrigiert seine zentralen Aussagen zur Bildungsoffensive innerhalb weniger Stunden, Finanzminister Stächele doziert über die Bildungspolitik und deren Finanzierung – und fühlt sich anschließend missverstanden, der CDU-Fraktionschef fährt seinem Regierungschef kräftig in die Parade – und der Kultusminister schweigt, weil er nichts mehr zu sagen hat.“

Ein Bildungsgipfel, wie ihn auch der Städtetag fordere, sei in dieser verfahrenen Situation der einzig richtige Weg, um gemeinsam mit allen Beteiligten die Weichen in der Bildungspolitik neu zu stellen. Die Landesregierung sei offenkundig schon handwerklich nicht in der Lage, eine tragfähige Bildungsoffensive allein zu entwickeln, so Schmiedel.

Norbert Zeller: Echter Bildungsaufbruch statt Stückwerk
Der SPD-Schulexperte Norbert Zeller ging vor der Landespresse im Einzelnen darauf ein, welche Maßnahmen aus Sicht seiner Fraktion notwendig sind, um einen echten Bildungsaufbruch in Baden-Württemberg auf den Weg zu bringen und jungen Menschen bessere Bildungschancen zu ermöglichen.

Wichtige Elemente einer zukunftsweisenden Schulentwicklung sind demnach der Ausbau aller Schulen zu echten Ganztagsschulen und die 6-jährige Grundschule. Die verlängerte Grundschulzeit sei ein bedeutender Schritt zur Verbesserung der Lernbedingungen für alle Schülerinnen und Schüler. Außerdem könnten in einer 6-jährigen Grundschule die Kinder länger am Wohnort zur Schule gehen.

Die Schulträger sollten zudem die Möglichkeit erhalten, ihre Schulen zu Gemeinschaftsschulen mit einem neuen pädagogischen Konzept weiterzuentwickeln mit der Option, einen gymnasialen Zweig anzugliedern.

Die Hauptschulstandorte auf dem Land könnten nur überleben, wenn dort künftig überall mindestens der Realschulabschluss angeboten werde. Wie die Schulen vor Ort dies organisierten, sollen sie selbst entscheiden können.

Zeller: „Die Schulen müssen die Möglichkeit erhalten, bis zur 10. Klasse alle Schulabschlüsse anzubieten. Das macht die Schulen im ländlichen Raum wieder attraktiv und führt dazu, dass Schulstandorte wohnortnah erhalten bleiben.“ Die Stärke dieser Schulen sei ihre Nähe zu Schülern und Eltern und auch zu den Betrieben in der Umgebung. Für die Bereitschaft, Lehrstellen anzubieten, sei diese Nähe ein unschätzbarer Vorteil.

Rau’s Wende beim Klassenteiler
Eine bemerkenswerte Wende der Landesregierung sieht Zeller beim Thema Klassenteiler. Noch im Herbst des vergangenen Jahres habe Kultusminister Rau bei der Übergabe von mehr als 55.000 Eltern-Unterschriften für kleinere Klassen die Absenkung des Klassenteilers strikt abgelehnt. „Aus finanziellen Gründen“ sei dies nicht möglich, behauptete Rau seinerzeit. Außerdem sei dies pädagogisch auch gar nicht nötig, denn die Situation in Baden-Württemberg sei „besser als von den Eltern dargestellt“. Aufgrund des anhaltenden Drucks der Eltern und auch der SPD-Fraktion sehe sich die Landesregierung nun aber doch zum Handeln gezwungen, stellt Zeller fest.
„Kleinere Klassen sind wichtig, weil so besser auf jedes Kind individuell eingegangen werden kann.“ Klassengrößen von mehr als 25 Kindern erschwerten in aller Regel die individuelle Förderung. Nach einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen Meinungsumfrage wünschen sich über 83 Prozent der Befragten in Baden-Württemberg genau aus diesem Grund, dass nicht mehr als 25 Schüler in eine Klasse gehen.

Bildungsoffensive auch für die frühkindliche Bildung
Eine echte Bildungsoffensive muss nach den Worten Zellers auch die Weichen für die frühkindliche Bildung anders stellen. Dafür werde im Rahmen der Qualitätsoffensive der Regierung bisher aber eindeutig zu wenig getan. Die Landesregierung müsse den eigenständigen Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen endlich im ganzen Land sicherstellen.

Die Regierung kündige zwar umfassende Sprachstandsdiagnosen an, ein flächendeckendes Sprachförderkonzept soll es aber weiterhin nicht geben. Diese Sprachförderung müsse mit Beginn des Kindergartens ansetzen und jedes Kind individuell fördern. Auch die Rahmenbedingungen müssten verbessert werden, um die Ziele des Orientierungsplanes umsetzen zu können.

Norbert Zeller: „Aufgrund der jahrelangen Versäumnisse der Landesregierung ist die Bildungspolitik in Baden-Württemberg zur Großbaustelle geworden. Die SPD wird im Dialog mit Eltern, Schulen und Schulträgern über die notwendigen Veränderungen im Bildungswesen des Landes reden und die erforderlichen Reformschritte gegenüber der Landesregierung mit Nachdruck einfordern.“

Helmut Zorell
Pressesprecher