Ute Vogt: „Wir wollen eine Bildungsreform aus einem Guss mit der Aufwertung der frühkindlichen Bildung, der Abkehr vom selektiven 3-gliedrigen Schulsystem und der Einführung gebundener Ganztagsschulen in allen Schularten“

Prof. Peter Struck: „Das SPD-Bildungskonzept setzt den aktuellen Forschungsstand in konkrete und nachvollziehbare Reformen um“

Mit einer Veranstaltung im Landtag hat die SPD-Fraktion ihre Kampagne „Bildungsaufbruch in Baden-Württemberg – Bessere Bildung für alle!“ gestartet. Zum Auftakt stellte die Fraktion vor einem Fachpublikum im Plenarsaal ihr neu entwickeltes Bildungskonzept, den geplanten Kampagnenverlauf und die Materialien vor. „Wir wollen eine Bildungsreform aus einem Guss. Dazu gehören insbesondere die Aufwertung der frühkindlichen Bildung mit professioneller Sprachförderung von Beginn an, die Abkehr vom selektiven 3-gliedrigen Schulsystem und die Einführung gebundener Ganztagsschulen in allen Schularten“, sagte die SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Ute Vogt.

Mit dem Start der Kampagne im Landtag wurde zugleich die neu eingerichtete Kampagnen-Seite der Fraktion im Internet frei geschaltet. Alle Informationen zum „Bildungsaufbruch“ sind unter der Adresse www.spd.landtag-bw.de, Rubrik „Bildungsaufbruch“ abrufbar.

Die Fraktion habe ein Konzept erarbeitet, das von klaren Leitideen ausgehe und daraus weit reichende Reformziele für Baden-Württemberg ableite. Das SPD-Konzept umfasse alle Altersgruppen und beschreibe den Reformbedarf für fünf zentrale bildungspolitische Handlungsfelder: Elementarbildung, Schule, Außerschulische Bildung, Berufliche Bildung und Weiterbildung.

Die SPD wolle ihr Bildungskonzept in den kommenden Monaten ins ganze Land tragen, so Vogt. Sie bot allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern an, mit der SPD in einen engen Dialog einzutreten, um die notwendigen Reformschritte zu diskutieren und weiter zu entwickeln. Die Reformen sollten auf die jeweilige Situation vor Ort zugeschnitten sein und dauerhaft zu gleichen Bildungschancen und besserer Bildung für alle führen.

Das bildungspolitische Versagen der Landesregierung
Die CDU/FDP-Landesregierung hingegen verrenne sich immer mehr in eine konzeptions-lose Politik der „Reformbaustellen“. Diese „Politik der Modellprojekte“ ohne flächendeckende Umsetzung sei schon deshalb höchst ungerecht, weil es immer mehr einem „Lotteriespiel“ gleichkomme, wer von den angebotenen Modellen profitiere. „Über die Teilnahme an Bildungsangeboten entscheidet mittlerweile der Wohnort der Familie oder die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder kilometerweit über das Land zum nächst gelegenen Modellprojekt zu chauffieren“, kritisierte Vogt.

Mit einzelnen Modellprojekten versuche die Landesregierung, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Statt selber mutige Reformschritte einzuleiten, werde die Landesregierung tatsächlich aber auch in der Bildungspolitik von gesellschaftlichen und pädagogischen Veränderungen getrieben, so Vogt.

Die Folge dieser Politik sei eine in hohem Maße ungerechte Verteilung von Bildungschancen in Baden-Württemberg. „Unser Bildungssystem diskriminiert insbesondere Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien. Ein Kind aus einer Arbeiterfamilie hat in Baden-Württemberg eine 4,4-mal geringere Chance ein Gymnasium zu besuchen, als ein Kind aus einer Akademikerfamilie – bei gleicher Begabung.“ Dieser skandalöse Befund sei spätestens seit PISA bekannt, doch die Landesregierung ziehe noch immer nicht die notwendigen Konsequenzen.

Vogt: „Das bildungspolitische Versagen der Landesregierung führt dazu, dass viel zu viele Kinder und Jugendliche ihre Potenziale bei weitem nicht so entfalten können, wie das unter guten Rahmenbedingungen möglich wäre. Dies ist ein schlimmer bildungspolitischer Befund, zugleich aber auch eine schwere Hypothek für die Sicherung unseres Wohlstandes in der Zukunft.“

Prof. Struck: Mit dem SPD-Konzept eröffnen sich neue Perspektiven für die Förderung der jungen Menschen
Der renommierte Erziehungswissenschaftler Prof. Peter Struck von der Universität Hamburg unterzog das SPD-Bildungskonzept einer kritischen Bewertung im Spiegel der aktuellen pädagogischen Fachdiskussion. Das SPD-Konzept mit dem Ziel „Bessere Bildung für alle!“ setze den aktuellen erziehungswissenschaftlichen Forschungsstand in nachvollziehbare und realistische Reformschritte um. Es gehe von einem breiten Bildungsbegriff aus, urteilt Prof. Struck, der wegen eines Autounfalls sein Kommen kurzfristig absagen musste und seine Stellungnahme der SPD deshalb schriftlich zukommen ließ. „Damit eröffnen sich neue Perspektiven für die Förderung der jungen Menschen“, so Prof. Struck in seiner Stellungnahme.

Prof. Struck unterstrich, dass sich alle Bildungseinrichtungen auf neue Formen des Förderns und des Lernens einzustellen hätten. „Insbesondere im Schulbereich sind Reformen dringend notwendig: Wir brauchen eine längere gemeinsame Schulzeit aller Kinder und Jugendlichen, mehr Ganztagsschulen und damit verbunden eine neue Rhythmisierung von Lernprozessen.“

Der anstelle von Prof. Struck kurzfristig eingesprungene Reformpädagoge Otto Herz – ein Schüler von Hartmut von Hentig – lobte in seinem Referat im Landtag den umfassenden Ansatz des SPD-Bildungskonzeptes. Nach dem Willen der SPD solle Bildung so früh wie möglich einsetzen und ein Leben lang stattfinden. Dieser Ansatz bilde die aktuelle Diskussion um eine wirkungsvolle Kooperation der verschiedenen Lernorte von Bildung ab.

Auch Herz unterstrich, dass Kinder länger gemeinsam lernen sollten, wie dies die SPD in ihrem Konzept zu Recht fordere. Heterogene Lerngruppen seien eine Chance für die Entwicklung und Förderung aller Kinder und leisteten so auch ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit.

Dr. Frank Mentrup: Neue Qualität des Dialogs mit allen Interessierten
Nach den Worten ihres bildungspolitischen Sprechers, Dr. Frank Mentrup, strebt die SPD mit ihrem „Bildungsaufbruch“ eine neue Qualität des Dialogs mit den Betroffenen und allen an Bildungspolitik Interessierten an. Jeder und Jede spüre, dass die Unzufriedenheit mit der Bildungspolitik in Baden-Württemberg wächst. Das gesamte Bildungssystem stehe vor einem neuen Aufbruch. Die Landesregierung hingegen verharre allzu oft in Selbstgefälligkeit und setze sich mit ihrer Politik des „Modell-Hoppings“ über die Menschen hinweg, anstatt sie in die Entwicklungsprozesse von Anfang an einzubinden.

Die SPD setze dieser Politik einen anderen Ansatz entgegen. Im Rahmen ihrer Bildungskampagne „Bildungsaufbruch“ wolle sie alle Interessierten in einem „Innovationsnetzwerk“ zusammenbringen, damit Bildungspolitik aktiv „von unten“ mitgestaltet werden könne und sich an den Bedürfnissen vor Ort orientiere. „Wir wollen Reformschritte entwickeln, die nachhaltig sind, Reformschritte, die vor Ort passen, Reformschritte, die dauerhaft zu gleichen Bildungschancen und besserer Bildung für alle führen.“

Mit 15.000 Kampagnenflyern und 12.000 Exemplaren des Bildungskonzepts werde die SPD den Bildungsaufbruch in alle Ecken des Landes tragen, so Dr. Mentrup, die Menschen ansprechen und mitnehmen auf dem Weg zu „Besserer Bildung für alle!“.

Christoph Bayer: Um den Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft aufzubrechen, muss das individuelle Fördern und Fordern als Strukturprinzip in unserem Bildungssystem fest verankert werden
Der Initiator des SPD-Konzeptes zum Bildungsaufbruch, der Abgeordnete Christoph Bayer, erläuterte vor dem Fachpublikum im Landtag die Leitideen sozialdemokratischer Bildungspolitik in Baden-Württemberg. „Um den Zusammenhang von Bildungserfolg und sozialer Herkunft aufzubrechen, muss das individuelle Fördern und Fordern als Strukturprinzip in unserem Bildungssystem fest verankert werden. Auf diese Weise wird dessen selektiver Charakter überwunden“, unterstrich Bayer.

Am Beispiel der Schulen verdeutlichte er die Konsequenzen. „Sitzenbleiben und das klassische Notensystem verlieren weit gehend an Bedeutung. Das Sonderschulwesen könnte auf ein Mindestmaß reduziert werden.“ Die Ressourcen könnten dann in das Regelschulsystem umgelenkt und zur Qualitätsverbesserung eingesetzt werden.

Auch das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) als wenig effiziente nachschulische Qualifizierungsmaßnahme würde obsolet, da die Schülerinnen und Schüler nach dem Bildungskonzept der SPD ausbildungsreif seien, wenn sie die allgemein bildenden Schulen verlassen.

Helmut Zorell
Pressesprecher