22.Juli TOP 2

Aktuelle Debatte (beantragt von der Fraktion FDP)

„Musikland Baden-Württemberg in Gefahr – Singen und Blasmusik dürfen an unseren Schulen nicht verstummen“

Rede der Abgeordneten Sabine Wölfle (SPD)

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Bildung ist mehr als Schule“.

Ein vielzitierter Slogan der sogenannten Leipziger Thesen, welcher vor dem Hintergrund von Ganztagsschulen und unterschiedlicher Bildungslandschaften immer mehr Bedeutung hat.

Kultur in Schulen, d.h. Musik in Chören, Bläserklassen, Schulorchester, Big Bands, Musical- und Theater AG´s, Malgruppen und sind Teil der Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung, hier werden alle Kinder erreicht, egal welcher sozialen Herkunft sie entstammen.

Ich möchte stellvertretend und im Sinne der angemeldeten Aktuellen Debatte die Musik an Schulen aus diesem Angebot herausgreifen. Musik hilft bei der emotionalen Entwicklung und E.T.A. Hoffmann sagte treffend „Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an“.

Trotzdem sind diese wichtigen Aspekte dem Kultusministerium wohl nicht bekannt, man meint, darauf verzichten zu können – eine fatale Fehleinschätzung. Die aktuelle Corona Verordnung aus dem Kultusministerium zeigt dies mehr als eindeutig auf.

Das Verbot, anders kann man es ja nicht bezeichnen, der Musik AG´s trifft die Schulen hart. Im Glauben, freigesetzte Lehrerstunden der Musiklehrer könne man woanders einsetzen, geht komplett an der Realität vorbei. An vielen Schulen unterrichten manche Musiklehrer eben nur Musik, die können nicht ersatzweise Mathematik oder Chemie unterrichten.

Hier werden wichtige Strukturen wegbrechen, das ist nicht nur für die Schulen, sondern auch für Eltern und vor allem für die Kinder völlig inakzeptabel. Instrumente wurden angeschafft, Noten gekauft, Konzerte vorbereitet – hier steckt oft jahrelange Aufbauarbeit dahinter.

Viele Schulen sind stolz auf ihre Chöre, Bläserklassen oder Schulorchester. Ich habe so ein Gymnasium vor Ort. Als ich mit dem Schulleiter zum Thema telefoniert habe, war nur blankes Entsetzen am anderen Ende der Leitung. Auch die vielen Zuschriften anderer Schulen zeigen auf, das diese Maßnahme völlig unverständlich ist. Ein Schulleiter schreibt von „Blut in den Adern gefrieren“, ein anderer von einem „herben Verlust“.

Dieser Schulleiter berichtet von seinem 50 Jahre alten Kammerchor, von langer Tradition und viel Herzblut. Er sieht die Zukunft dieses Chores in Gefahr.

Eine Grundschule betreibt seit Jahren einen jahrgangsübergreifenden Chor, alle Kinder sind begeistert und vor allem kamen im Laufe der Zeit immer mehr Jungs dazu, darauf ist die Schulleitung besonders stolz. Das gemeinsame Singen, Proben – ja, das schweißt die Kinder zusammen. Es sind positive Erfahrungen, welche die Kinder machen.

Allerorten Fassungslosigkeit. „Jahrelange Aufbauarbeit in Chören, Orchestern, Bands und anderen Ensembles werden weitgehend zunichte gemacht“ so zitiert der Mannheimer Morgen den Geschäftsführer der Mannheimer Gymnasien, Gerhard Weber.

Und der Bundesverband Musikunterricht, kurz BMU, spricht von Bedrohung der Schulkultur. Eindrucksvoll zeigen verschiedene Verbände in großer Einheit, was sie von dieser Verordnung halten – nämlich nichts.

So z.B. der Schwäbische und Badische Chorverband und die evangelischen Kirchenchöre die sich gemeinsam klar gegen das Ministerium positionieren. De facto sind diese AG´s nicht verboten, aber in der Umsetzung werden sie unmöglich gemacht.

Die AG´s sind integraler Bestandteil der musikalischen Bildung an unseren Schulen und es ist völlig unstrittig, dass das Praktizieren von Musik mit Gesang oder Instrument eine wichtige Funktion hat. Die Unsinnigkeit des Konzepts für einen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen, das ab dem neuen Schuljahr gelten soll zeigt sich noch an anderer Stelle.

Es trifft auch andere AG´s. Schulsanitäter z.B. Gemeinsame Übungen werden mit diesem Konzept nicht mehr möglich sein.

Warum aber dürfen Musikschulen das, was der Schulmusik verboten ist? Maximal 20 Personen, mit Abstand, lüften und reinigen – wo wird es an den Musikschulen praktiziert.

Viele Schulen könnten ähnliche Konzepte erarbeiten, schon jetzt proben Chöre draußen im Freien, das dürfte noch bis in den Herbst hinein möglich sein. Auch die Nutzung von Aulen und Sporthallen stünde zur Verfügung. Doch statt den Schulen den Auftrag zu geben, eigene Konzepte zu entwickeln, wird es einfach per Verordnung unmöglich gemacht.

Dabei ist die Verbreitung der Viren durch Aerosole durch Singen und bei Blasinstrumenten in Fachkreisen höchst umstritten. Beim Singen hilft Abstand, das weiß man aus mehreren Untersuchungen.

Bei Blasinstrumenten ist das Ergebnis bisheriger Untersuchungen ebenfalls eindeutig. Lediglich bei der Querflöte sind Aerosole wirklich nachweisbar. Tests bei den Wiener Philharmonikern, den Bamberger Symphonikern und der Hochschule für Musik in Freiburg kommen ebenfalls auf das gleiche Ergebnis. In Freiburg wurde Einzelunterricht Gesang, Chorsingen, Singen im Gottesdienst, sowie Einzelunterricht Blasinstrumente und bei Ensembles untersucht.

Das Ergebnis besagt eindeutig, dass ein hohes Infektionsrisiko nur dann besteht, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten wird und keine ausreichende Lüftungsmöglichkeit vorhanden ist. Warum nimmt man solche wissenschaftlichen Untersuchungen nicht und stellt sie den Schulen als Basis eines eigenen Konzeptes zur Verfügung?

Könnte es daran liegen, dass es wieder einmal keinerlei Kommunikation zwischen den Schulen und Frau Eisenmann gab? Zumindest in meinen Gesprächen mit Schulleitungen wurde das immer wieder klargestellt, dass man sozusagen „kalt erwischt“ wurde, es gab kein Gespräch und keine lösungsorientierten Ansätze. Das ist Ihr Stil, Frau Ministerin!

Diese Verordnung schlägt nun also hohe Wellen. Es gibt zwei online Petitionen dagegen, die „Rettet die Schulmusik“ vom Bundesverband Musikunterricht LV BaWü steht jetzt schon bei 14 000 Unterstützern in BaWü, Quorum sind 21000 und die Petition „Rettet die AG´s – Rettet die Schulmusik“, auch hier bereit fast 9000 Unterstützer. Ich möchte mit einem Zitat unseren ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau schließen und an Frau Eisenmann appellieren hier einzulenken, denn dieses Zitat erklärt alles:

„Wenn wir Kindern und jungen Menschen die Chance nehmen, selber zu musizieren und sich musikalische zu bilden, dann berauben wir sie sehenden Auges um eine wesentliche Möglichkeit ihres Lebens. Mit Recht spricht man bereits von einer musikalischen Versteppung in Familien und Kindergärten mit Recht wird angeprangert, dass der schulische und außerschulische Musikunterricht dramatisch verringert wird“.

Das war 2003. Seitdem sind wir ein gutes Stück weiterkommen, Ihre Maßnahme Frau Ministerin, wirft und um Jahre zurück.

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Ansprechpartner

markus
Markus Sommer
Berater für Wissenschaft, Forschung und Kunst