MdL Peter Wintruff: „Viele Jugendliche sind verzweifelt, weil sie nirgendwo unterkommen“
Norbert Zeller MdL: „Schavan macht den Schulträgern Anträge für Ganztagsschulen madig“
Die Beruflichen Schulen und die Ganztagesschulen sind nach Ansicht der SPD-Landtagsfraktion in Schavans Schulpolitik das „fünfte Rad am Wagen“. Weil sich die Ministerin lieber um die Förderung der Eliten kümmere, würden wichtige bildungspolitische Aufgaben vernachlässigt mit der bitteren Konsequenz, dass sich die Situation gerade für benachteiligte Jugendliche in diesem Jahr dramatisch zuspitzt, sagten Peter Wintruff, Vorsitzender des Schulausschusses des Landtags, und Norbert Zeller, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Die SPD-Bildungsexperten halten Schavan vor, dass sich für die meisten Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg die Lernbedingungen im neuen Schuljahr weiter verschlechtern werden. Nachdem Schavan die Situation zum Schuljahresbeginn in den schönsten Farben male, werde es in den meisten Schulen am Montag zum Schulbeginn ein böses Erwachen geben.
Die SPD wirft der Ministerin vor, sie habe wichtige Entscheidungen für die Fortentwicklung des baden-württembergischen Bildungssystems verschlafen und versäumt, an den Schulen für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen. Zum neuen Schuljahr seien die Lehrkräfte aufgrund ständig steigender Anforderungen und wegen der Deputatserhöhung frustriert wie selten zuvor, die Unterrichtsversorgung habe sich vielerorts erneut verschlechtert und nach wie vor gebe es im Land zu viele Mammutklassen, in denen eine individuelle Förderung schlichtweg unmöglich sei.
Ausbau des Berufliches Schulwesens dringend notwendig
Besonders dramatisch ist nach Ansicht des Vorsitzenden des Schulausschusses, Peter Wintruff, die Situation im beruflichen Schulwesen. Weil immer noch jede Menge Lehrstellen fehlen, versuchten Jugendliche verzweifelt in einer beruflichen Schule und insbesondere in einem Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) unterzukommen. Schavan habe vor kurzem selber einräumen müssen, dass sich für das jetzt beginnende Schuljahr etwa 60.000 Jugendliche auf etwa 31.000 Plätze in Beruflichen Schulen beworben haben. Die auf Druck der SPD erfolgte Einrichtung von 110 zusätzlichen Klassen für etwa 3.000 Jugendliche in ganz Baden-Württemberg ist aus Sicht der SPD lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wintruff rechnet deshalb damit, dass Jugendliche trotz Absage von Seiten der Schulleitungen mangels Alternative am Montag in der Schule auftauchen und mit ihren Eltern zusammen Druck auf die Schulleitungen ausüben werden – in der Hoffnung, doch noch einen Platz zu ergattern.
Ausgerechnet den schwächsten Schulabgängern, die im gnadenlosen Konkurrenzkampf um die wenigen Ausbildungsplätze die geringsten Chancen haben, droht nach Ansicht der SPD in diesem Jahr die völlige Perspektivlosigkeit. Nach allen bisher bekannt gewordenen Meldungen haben in diesem Jahr viele Jugendliche überhaupt keine Chance, einen Platz im Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) zu erhalten. Der berufsschulpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Peter Wintruff, wirft Ministerin Schavan vor, in diesem Bereich das Ausmaß der Krise völlig unterschätzt zu haben. Da sich die Ministerin mit Vorliebe um die Sorgen und Nöte von Eliteschulen und –schülern kümmere, sei zu befürchten, dass sie diese Probleme „kalt lassen“, so Wintruff.
„Die Landesregierung ist in der Pflicht, jedem Jugendlichen unabhängig von ökonomischen und konjunkturellen Bedingungen eine Perspektive zu bieten. Stattdessen werden nun viele Jugendliche dank Schavans einseitiger Bildungspolitik auf der Straße landen.“
Nach Ansicht des SPD-Bildungsexperten und Berufsschullehrers Peter Wintruff rächt sich jetzt, dass die Landesregierung über Jahre hinweg das berufliche Schulwesen vernachlässigt hat. So habe die Landesregierung trotz der Klagen aus Industrie- und Handelskammern sowie aus dem Handwerk allenfalls halbherzige Maßnahmen gegen den eklatanten Unterrichtsausfall an den Berufsschulen ergriffen und die ohnehin stark belasteten Lehrkräfte mit einer weiteren Deputatserhöhung auch noch unnötig demotiviert.
Dass zwei Tage vor Schulbeginn selbst im Ministerium noch keine Stellungnahme über die Situation an den Beruflichen Schulen zum neuen Schuljahr zu erhalten ist, zeige, dass die Sorgen um das berufliche Schulwesen in Baden-Württemberg berechtigt sind und dass dringender Handlungsbedarf bestehe, so Wintruff. Die von der Ministerin vor einer Woche geäußerte Hoffnung, die Situation an den beruflichen Schulen möge sich im Laufe des Septembers noch – so wörtlich – „stabilisieren“, sei ein Eingeständnis politischer Fehleinschätzungen und Versäumnisse. Spätestens im Frühjahr hätte die Ministerin angesichts der sich abzeichnenden Krise auf dem Ausbildungsmarkt reagieren müssen und – wie von der SPD damals gefordert – das berufliche Schulwesen weiter ausbauen müssen.
Norbert Zeller: Nach wie vor Blockade bei Ganztagesschulen
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Norbert Zeller, warf Kultusministerin Schavan darüber vor, sie blockiere nach wie vor den Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Ganztagesschulen in Baden-Württemberg, obwohl die Finanzierung durch die Bundesregierung gesichert sei. Mit dem Festhalten an ihrer bisherigen Doktrin, Ganztagesschulen nur dann zusätzliches Lehrpersonal zur Verfügung zu stellen, wenn es sich um Schulen in so genannten Brennpunkten handelt, hintertreibe sie vorsätzlich den flächendeckenden Ausbau von Ganztagesschulen. Schulen und Schulträgern werde von vornherein die Motivation geraubt, Anträge auf Umstellung zur Ganztagesschule zu stellen“, so Zeller.
Zeller: „Anschließend geht Frau Schavan an die Öffentlichkeit und vergießt Krokodilstränen darüber, dass nicht mehr Anträge vorliegen. Ein zynisches Spiel auf dem Rücken von Eltern, Schülern und Schulen.“
Mit dem Investitionsprogramm der SPD-geführten Bundesregierung für mehr Ganztagesschulen könnten in den kommenden fünf Jahren allein in Baden-Württemberg über 1.000 Schulen mit Geldern des Bundes zu Ganztagesschulen werden, wenn im Land die Weichen dafür endlich richtig gestellt würden. Wenn die Ministerin in diesem Jahr – wie in der vergangenen Woche angekündigt – lediglich 45 weitere Ganztagesschulen genehmigen will, zeige dies nur, dass die Landesregierung an ihrer ideologisch motivierten Blockade festhalte, statt endlich die Werbetrommel für das Ganztagesschulprogramm zu rühren.
Fatale Folge könnte sein, dass die Landesregierung Gelder aus dem Investitionsprogramm des Bundes verspielt und damit die Modernisierung der Schulen in Baden-Württemberg aufgrund ideologischer Vorbehalte leichtfertig aufs Spiel setzt.
Auf völliges Unverständnis stößt in der SPD-Fraktion, dass ausgerechnet Anträge von Förderschulen im Kultusministerium sehr schleppend bearbeitet werden und mit wenig Aussicht auf Erfolg. Gerade mal zehn Prozent der Antragsteller könnten damit rechnen, versuchsweise eine Genehmigung durch die Ministerin zu bekommen.
„Gerade Kinder und Jugendliche an Förderschulen könnten von dem umfassenden Konzept einer Ganztagesschule entscheidend profitieren“, so der SPD-Bildungsexperte Zeller. Die Devise der Ministerin, fast ausschließlich Hauptschulen in sozialen Brennpunkten zu Ganztagesschulen zu machen, werde durch ihre Weigerung, auch Förderschulen zu Ganztagesschulen zu machen, noch auf die Spitze getrieben.
Zeller: „Wenn die Ministerin Hauptschulen in sozialen Brennpunkten als Ganztagesschulen genehmigt, muss sie auch Anträge von Förderschulen bewilligen und mit zusätzlichem Lehrpersonal ausstatten.“