MdL Nikolaos Sakellariou: „In Baden-Württembergs Gefäng-nissen gibt es viel zu wenig Bedienstete mit der Konsequenz, dass unter den Augen der Staatsgewalt die Gewalt in den Gefängnissen dramatisch zunimmt“

Schwere Vorwürfe gegen Justizminister Goll

Wegen der unhaltbaren Zustände in Baden-Württembergs Gefängnissen erhebt die SPD-Landtagsfraktion schwere Vorwürfe gegen Justizminister Goll. Der Strafvollzugsbeauftragte der Fraktion, Rechtsanwalt Nik Sakellariou, hält Goll vor, die massiven Defizite im Strafvollzug sehenden Auges hinzunehmen, statt durch eine vernünftige Bereitstellung von Personal und mit einer nachvollziehbaren Konzeption die immer schlimmer werdenden Zustände zu beheben. In der jetzt vorliegenden Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage der SPD-Fraktion musste die Landesregierung zugeben, dass ein großer Mangel an Vollzugspersonal besteht mit der Konsequenz, dass die Bediensteten massiv Überstunden machen müssen, immer häufiger krank werden und dass auch die Gewalt in den Vollzugsanstalten deutlich ansteigt.

MdL Sakellariou: „Weil Goll seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht wird, nimmt die Gewalt in den Gefängnissen des Landes unter den Augen der Staatsgewalt dramatisch zu.“

Nach den Angaben der Landesregierung wurden in den vergangenen zehn Jahren in 232 Fällen Bedienstete von Gefangenen angegriffen. Im selben Zeitraum gab es 690 Fälle von Übergriffen unter den Gefangenen selbst, mehr als die Hälfte davon allein in den vergangenen vier Jahren. „Diese Tendenz ist dramatisch“, sagt der Strafvollzugsbeauftragte der SPD-Fraktion, „weil diese Straftaten an Menschen begangen werden, die unter staatlicher Obhut stehen. Wer sich dieser gefährlichen Tendenz nicht mit vermehrtem Einsatz von Personal entgegenstemmt, der nimmt sehenden Auges in Kauf, dass die Zahl der Opfer unter den Augen der Staatsgewalt weiter wachsen wird.“

Dies gelte erst recht, weil sich aus der Antwort der Regierung gleich auch ergebe, dass sich die Struktur der Gefangenen in den vergangenen Jahren erheblich verändert hat. Nach den Worten von Justizminister Goll kann nämlich die „Kapazität im offenen Vollzug mangels geeigneter Gefangener nicht ausgeschöpft werden“. Das bedeute aber zugleich, so Sakellariou, dass der Druck im geschlossenen Vollzug stetig zugenommen hat und weiter zunimmt.

Das gelte auch im Jugendvollzug, auf den eigentlich das größte Augenmerk gerichtet werden müsse. Die Folge sei, dass der Behandlungsvollzug von Jugendlichen leide und vor allem die gesetzlich vorgeschriebene Trennung von Untersuchungs- und Strafgefangenen auch in ferner Zukunft nicht eingehalten werden könne. „Diese Umstände sind auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten höchst problematisch“, kritisiert Nik Sakellariou und fordert, „gerade bei Jugendlichen und Untersuchungsgefangenen, bei denen noch die Unschuldsvermutung greift, diese rechtswidrigen Zustände zu beseitigen“.

Die Hauptschuld für die dramatischen Mängel in Baden-Württembergs Strafvollzug sieht Sakellariou bei Justizminster Goll, der sich viel zu wenig um eine vorsorgende Personalpolitik gekümmert habe. Die Konsequenz: Im Ländervergleich hat Baden-Württemberg die „Rote Laterne“ mit dem geringsten Personalstand. Um nur den Länderdurchschnitt zu erreichen, müssten in Baden-Württemberg nach Angaben Sakellarious 617 neue Stellen geschaffen werden, tatsächlich aber habe Goll nur 40 zusätzliche Stellen geplant. „Ein Witz“, so Sakellariou „angesichts der Gefahren für die innere Sicherheit, die Sicherheit der Bediensteten und der Gefangenen“.

Die negativen Folgen dieser völlig verfehlten Personalpolitik sind nach den Worten des Strafvollzugsbeauftragten der SPD-Fraktion deutlich erkennbar. So sind z. B. die Mehrarbeitsstunden der Vollzugsbediensteten von 7.423 Überstunden im Allgemeinen Vollzugsdienst im Jahr 1999 auf 92.500 Überstunden im Jahr 2001 angestiegen, haben sich demnach mehr als verzehnfacht. Am 31. Dezember des Jahres 2001 betrug der Gesamtstand der Mehrarbeitsstunden 185.085 Stunden – das sind 77 Überstunden je Personalstelle im Allgemeinen Vollzugsdienst.

„Kein Wunder“, so Sakellariou, „dass auch der Krankenstand seit Jahren kontinuierlich steigt“. Im Strafvollzug sind die Bediensteten derzeit durchschnittlich 17,5 Tage im Jahr krank.

Sakellariou: „Würde sich Justizminister Goll an Recht und Gesetz halten, dann würde er seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Bediensteten endlich nachkommen. Stattdessen aber nimmt er Überbelegungen und ihre verheerenden Konsequenzen einfach hin und redet sie schön. Goll muss jetzt rasch die dringend benötigten Geldmittel und das erforderliche Personal bereitstellen, wenn er sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, dass er Gefahren für Leib und Leben der Bediensteten und der Gefangenen billigend in Kauf nimmt.“

gez. Helmut Zorell

Fraktionssprecher