Frau Präsidentin,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit Mittwochabend habe ich mich wie die meisten Menschen Baden-Württemberg erst einmal gewundert: Selbst das kurze Pressestatement nach der MPK fiel aus, es gab auch keine Pressemitteilung, auch nicht über Nacht und nicht am nächsten Morgen, ich war im Land unterwegs und Leute haben mich gefragt, was da los sei, ob das Regieren jetzt komplett eingestellt sei. Ich konnte dann nur mutmaßen, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis das Staatsministerium auch Frau Eisenmann mit einem berittenen Boten unterrichtet hat, mit den E-Mails scheint es ja so oder so nicht zu klappen.
Damit ist dann aber im doppelten Wortsinn Schluss mit lustig, denn allein dieses Affärchen gibt einen verheerenden Eindruck ab. Es interessiert die Leute im Land nicht, wer von ihnen wann welches Positionspapier kannte. Und wenn sie das so viel engagierter und intensiver diskutieren als die Frage, wie wir am besten aus dieser Krise kommen, dann ist das katastrophal! Seit Monaten treffen wir uns wieder und wieder in diesem Haus, um über die Coronapolitik zu reden, seit Monaten fordern wir wieder und wieder eine Strategie, einen Wenn-Dann-Plan, eine verlässliche Taktik, die Infektionsgeschehen und Maßnahmen in eine logische Verbindung setzt. Wieder und wieder und wieder haben wir das gefordert. Seit dem Mittwochabend liegt jetzt genau so eine Strategie auf dem Tisch, ein Wenn-Dann-Plan, eine verlässliche Taktik.
Genau, das, was laut dem Ministerpräsidenten ein absolutes Ding der Unmöglichkeit war. Zum Glück gilt diese Strategie auch für Baden-Württemberg, und hoffentlich kommt sie nicht um Monate zu spät, um all das geminderte Vertrauen im Land gutzumachen. All den Frust mit einer Landesregierung, die sich so unglaublich schwer tut, rechtzeitig richtig zu reagieren. Was Covid-19 so gefährlich macht ist auch die lange Inkubationszeit von bis zu zwei Wochen. Wenn es aber darum geht, dass diese Landesregierung die notwendigen Schritte geht, da liegt die Inkubationszeit bei mehreren Monaten. Und auch das ist äußerst riskant. Jawohl, die Strategie, die seit Mittwoch auf dem Tisch liegt, war lange überfällig, sie ist aber definitiv ein Schritt in die richtige Richtung. Gar keine Frage, lieber spät als nie.
Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, einmal mehr zu sagen: Es muss schneller gehen und es muss WEITER gehen. Die Regierungsfraktionen können es sich nicht leisten, sich jetzt wieder zwei Wochen lang selbst auf die Schulter zu klopfen, so wie es vorhin schon wieder losging. Und wir haben auch keine Zeit für einen albernen Flohzirkus um ihren E-Mail-Verkehr! Wir haben da draußen eine Menge Probleme. Auch viele Wochen nach dem Start der Impfungen sind noch nicht einmal die Hälfte aller Menschen über 80 in diesem Land geimpft. Die Organisation hakt immer noch, und es sieht so aus, als werde das mit dem Testen weitergehen. Seit Ende des vorigen Jahres hat Minister Lucha, und damit diese Landesregierung den Mangel an Impfstoff extrem schwach verwaltet. Ich sehe es kommen, dass Sie auch einen Überfluss an Impfstoff schwach verwalten werden. Denn man kann es kommen sehen, dass wir in Kürze mehr als genug Impfstoff haben werden. Viel mehr, als wir in den jetzigen Impfzentren verimpfen können. Es war auch absehbar, dass auch der Impfstoff von Astra-Zeneca für alle Altersklassen zugelassen wird. Und wir sollten längst eine dezentrale Impfstruktur stehen haben, mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, mit den Kommunen, damit unser Land nicht schon wieder von den Fakten überfahren wird: Huch, jetzt kommt so viel Impfstoff, nur weil wir ihn bestellt haben!
Und ich sage es Ihnen gleich: Ich kann es nicht mehr hören, dass das angeblich nicht geht und gar nicht möglich ist. Wie lange und wie oft haben Sie das schon behauptet! Beim Wechselunterricht! Bei Tests für Lehrer! Bei Öffnungsstrategien!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte heute aber vor allem über unsere Schülerinnen und Schüler sprechen. Seit bald einem Jahr haben wir Zustände an unseren Schulen, wie wir sie nie gekannt haben, und die Erinnerung an Unterricht in Kriegs- und Nachkriegszeiten ist da nicht hilfreich. Und es ist absehbar, dass sich daran länger nichts ändern wird, auch nicht mit langsamen Öffnungen ab Mitte des Monats, die hoffentlich nicht nur auf dem Papier von ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen und genügend Tests auch für Schülerinnen und Schüler begleitet werden. Normale Schule ist das nicht, normale Schule kann es bis zum Erfolg der Impfkampagne wohl nicht geben. Und das wird noch dauern. Wir haben eine Generation von Schülerinnen und Schülern, denen das Virus bald ein ganzes Jahr normale Schule gestohlen hat. Am Anfang war diese Landesregierung der Meinung, das sei gar kein Problem und Homeschooling ein Klacks, nach einer besonders langen Inkubationszeit setzte dann die Erkenntnis ein. Leider nicht beim Virus.
Normal war die Schule nie wieder, und wer meint, das mache doch nicht so viel aus, der hat gar nichts von Schule begriffen. Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir nach einem Jahr, nach einem ganzen Jahr ohne normale Schule vor richtig großen Problemen stehen. Und wenn man richtig große Probleme hat, dann kommt man mit Kleinklein nicht weiter. Da geht es nicht um etwas Nachhilfe, da geht es auch nicht um zwei Wochen weniger Ferien. Wir haben hier Bildungskarrieren mit richtig dicken Rissen. Da hilft nicht einmal feucht durchwischen, da muss man Stein auf Stein setzen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion legt Ihnen heute ein Konzept vor, wie wir in dieser Krise Stein auf Stein setzen, um all diese Bildungskarrieren zu sichern, um Chancen zu erhalten und zu retten. Und denen, die es nicht verstehen, sage ich noch einmal: Das ist kein Almosen für die Schülerinnen und Schüler, sondern ein MUSS für dieses Land, denn wir BRAUCHEN jeden klugen Kopf! Was wir einen „Schutzschirm für Schülerinnen und Schüler“ nennen ist eine Reihe von besonderen Schritten, die wir in diesen besonderen Zeiten gehen müssen.
Zunächst sollten wir wissen, wie groß die Risse sind, von denen ich gesprochen habe. Dazu müssen wir den Lernstand der Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen erheben, überall im Land und mindestens repräsentativ. Und weil es eben ABSEHBAR ist, dass diese Risse zutage treten werden, sollten wir jetzt schon einen Schritt weiter planen und den Schulen mehr Flexibilität erlauben. Mehr Lehrkräfte, mehr Stunden für mehr individuelle Förderung. Im ganzen Jahr, nicht in ein paar Tagen, die man den Ferien abgequetscht hat. Dafür brauch es ein Lernunterstützungsprogramm in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro. Und es braucht für jede Schule im Land professionelle IT-Fachkräfte zur Betreuung der digitalen Ausstattung.
Die nötige Mehrleistung fällt nicht vom Himmel, und die Lehrerinnen du Lehrer arbeiten oft am Anschlag. Deswegen wollen wir Hilfe organisieren: Pädagogische Assistentinnen und Assistenten, Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, Fachleute für Schulpsychologie. Und das nicht in grün-schwarzen Dosen, sondern in notwendigen Größenordnungen. Wir peilen ZEHNTAUSEND solcher Kräfte an.
Unser Plan sieht vor, den Klassenteiler an den weiterführenden Schulen im kommenden Schuljahr auf 28 zu senken, damit all die verstärkte Betreuung überhaupt denkbar ist. Und wir wollen, dass jede Schülerin und jeder Schüler in den kommenden zwei Jahren die Möglichkeit hat, eine Klassenstufe freiwillig zu wiederholen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe heute schon mehrfach darüber gesprochen, was alles absehbar ist, wenn man die Augen offenhält. Und es ist leider auch absehbar, dass die, die lieber Zögern als Handeln, von Wahlkampfforderungen reden werden. Sie werden das tun, weil sie nichts verstanden haben. Nichts davon, was die Corona-Krise mit diesem Land macht, mit Hunderttausenden von Existenzen, von Familien. Mit Millionen von Lebenschancen. Wir können das nicht einfach aussitzen. Und wir können auch nicht einfach erwarten, dass nach der Pandemie alles wieder so läuft wie vorher. Wenn Corona nicht mehr unser größtes Problem sein wird, werden uns andere Probleme wieder einholen. Der gewaltige Wandel in der Autoindustrie, die Digitalisierung, die Wohnungsnot und natürlich auch der Schutz unseres Klimas und der Umwelt.
Viele diese Themen betreffen Baden-Württemberg mehr als die meisten anderen Länder, es ist aber absehbar, dass Baden-Württemberg eben keine Sonderhilfen bekommen wird, nicht vom Bund und nicht von der EU. Da wird unser Land SELBST handeln müssen, da werden wir nicht warten können, was die MPK empfiehlt oder uns die Bundesregierung vormacht! Wenn wir so gut wie möglich aus dieser Krise kommen wollen, dann müssen wir auch hier vorausdenken, und wir müssen jetzt dringend an den Lösungen von morgen arbeiten. Und zwar schnell, und schneller als alle anderen, denn unser Land kann nicht weiter das Land sein, das immer nur abwartet und hinterherhinkt. Baden-Württemberg hat mehr verdient! Und die Leute in diesem Land haben viel mehr verdient!
Sie haben ein Konzept verdient, wie wir gute Arbeitsplätze erhalten. Wie das geht hat der Bund gezeigt, und es ist gut, dass es dort sozialdemokratische Minister gibt. Das ist teuer, das kostet Kraft, aber nur so hilft es auch. Und wenn wir gute Arbeitsplätze nicht nur während, sondern eben auch nach der Krise erhalten wollen, dann muss auch das Land anpacken, und zwar richtig. Dann müssen wir n Dimensionen handeln, die bei grün-schwarz undenkbar sind weil Schwarz nicht will und Grün nicht weiß, wie!
Dann brauchen wir massive Anstrengungen bei Bildung und Weiterbildung, dann können wir uns kleinkarierte Debatten über Kita-Gebühren nicht mehr leisten. Dann brauchen wir lebenslanges Lernen, dann brauchen wir außer der Arbeitslosenversicherung auch eine Arbeitsversicherung.
Dann müssen wir erkennen, wo es der Markt alleine nicht richten wird und es auch die großen Konzerne allein nicht richten können. Dann muss der Staat helfen, bei Forschung und Transformation, beim digitalen Ausbau. Dann muss die öffentliche Hand Wohnungen bauen, wie es einst ganz selbstverständlich war bei einer Wohnungsnot wie heute! Der Bund hat bislang Sorge getragen, dass in dieser Pandemie möglichst wenig vertrocknet und möglichst nichts abstirbt. Aber nach dieser Pandemie wollen wir wieder Wachstum, wir wollen Blüte, und das wird nicht von alleine kommen. Dieses Land ist viele, viele Jahre fast von alleine gelaufen. Jetzt aber muss auch die Politik mal anpacken, denn sonst bleiben wir nicht an der Stelle, wo wir hingehören, und das ist vorne!
Baden-Württemberg kann mehr als andere Länder, und deswegen muss auch seine Landesregierung mehr können. Deswegen brauchen wir ein besonderes Bündnis für Arbeit und Innovation, deswegen brauchen wir eine Landesinnovationsagentur zur Unterstützung von kleineren und mittleren Unternehmen. Und deswegen brauchen wir ein richtiges Klimaschutzgesetz. Ohne Wenn und Aber und ohne bürokratische Bremsklötze, deswegen brauchen wir nicht nur ehrgeizige Ziele, sondern auch eine mutige Umsetzung.
Und deswegen brauchen wir im Land auch eine echte Verkehrswende, bei der wieder der Staat am Steuer steht. Deswegen brauchen wir einen attraktiveren und günstigeren Öffentlichen Verkehr, deswegen brauchen wir das 365 Euro-Jahresticket für den ÖPNV.
Wir haben eine Krise. Eine richtig, RICHTIG große Krise. Und mit Zögern und Zaudern, mit einer ruhigen, eingeschlafenen, gelähmten Hand IST ES NICHT MEHR GETAN.
Nicht heute, nicht am 14, März und vor allem auch nicht danach. Es geht hier nicht um Wahlkampf. DAS VIRUS GEHT NICHT WÄHLEN. Es geht darum, wie wir einer der größten Herausforderung in der Geschichte Baden-Württembergs begegnen. Unser Land muss zwei bis drei Gänge hochschalten und auf den optimalen Weg gelenkt werden. Und dazu braucht es eine Landesregierung, die wieder schalten und lenken kann.
Vielen Dank.
Es gilt das gesprochene Wort