Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Seit den Vorfällen vom Aschermittwoch haben wir schon einiges gehört. Da war Entsetzen dabei und Fassungslosigkeit, wir haben auch manche Gelöbnisse gehört, so etwas wie in Biberach müsse ein Einzelfall bleiben. Was wir wissen ist, dass das, was vor zwei Wochen in Biberach passiert ist, mit zivilisiertem Streit, der in einer Demokratie möglich sein muss, nichts mehr zu tun hat. Und auch nicht mit der Wahrnehmung von Demonstrations- und Meinungsfreiheit.

Und leider wissen wir auch, dass Biberach leider kein Einzelfall war, nicht einmal hier im Land. In Schorndorf hatten wir am selben Tag ähnlich erschreckende Vorfälle, als eine Repräsentantin einer demokratischen Partei, in diesem Fall Ricarda Lang von den Grünen, aufs übelste beleidigt wurde und von erheblichen Polizeikräften geschützt werden musste. Vom Ministerpräsidenten haben wird die Forderung gehört, alle demokratischen Parteien müssten jetzt klar Position beziehen.

Uns als SPD kann er damit nicht meinen, denn wir haben schon am Aschermittwoch klar Position bezogen. Und ich sage es an dieser Stelle so deutlich: Weder offen noch hinter vorgehaltener Hand sind hier Relativierungen oder gar klammheimliche Freude darüber, was dort passiert ist, akzeptabel.

Noch einmal in aller Klarheit: Das Demonstrationsrecht ist ein extrem hohes Gut in der Demokratie. Demonstrationen sind erlaubt, und es hängt nicht davon ab, ob sie genehm sind oder nicht. Man kann und darf seine Meinung sagen, auch sehr deutlich und laut und auch von Angesicht zu Angesicht. Dass Politikerinnen und Politiker mit Kundgebungen konfrontiert werden, gehört zur Funktionalität unserer Demokratie.

Aber unsere Demokratie ist gefährdet, wenn aus Kundgebung Krawall wird und aus Demonstration Repression. Wenn Argumente durch Pflastersteine ersetzt werden. Es KANN NICHT SEIN, dass das Grundrecht des EINEN das Grundrecht des ANDEREN verhindert. Es wäre undenkbar, dass Grüne eine Gegendemonstration verhindern. Es kann aber auch nicht sein, dass eine Gegendemonstration eine Veranstaltung der Grünen verhindert. Aber genau das ist in Biberach geschehen.

Und der Schaden ist enorm. Nicht nur für die Grünen, sondern für die Demokratie. Wir alle werben um politisches Engagement, auch bei der Kommunalwahl in diesem Jahr. Aber dann sehen die Leute, wie Politikerinnen und Politiker von einem gewaltbereiten aus einer Stadt vertrieben werden. Und wie die Polizei das nicht verhindern kann. Der Schaden ist immens.

Diese Ereignisse werfen daher Fragen auf, Fragen über den Umgang, den wir unter Demokratinnen und Demokraten pflegen. Und auch hier sollte sich niemand nicht einmal hinter verschlossenen Türen ins Fäustchen lachen. Wer heute zulässt, dass die Kultur des politischen Streits in Scherben geschlagen wird, der wird sich auch selbst an diesen Scherben schneiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

was in Biberach passiert ist, ist kein Problem der Grünen. Es ist ein Problem der Demokratie. Darauf hat der Ministerpräsident ZU RECHT hingewiesen, zu Recht hat er alle demokratischen Parteien aufgefordert, sich hier klar zu positionieren. Wir bei der SPD haben das gehört, und wir haben das getan, weil es hier eben um viel mehr geht als unser Tagesgeschäft politischer Debatten.

Umso mehr dürfen wir aber AUCH erwarten, dass AUCH der Innenminister dieses Landes das gehört hat. Und dass er die Aufarbeitung dieser Vorfälle eben NICHT für eine Gemeinheit der Opposition hält. Dass er diese Aufarbeitung NICHT nach dem üblichen, aber unseligen Schema unter den Tisch kehren will.

Im Innenausschuss klang es ja manchmal schon so, als sei ja alles völlig unter Kontrolle gewesen und die Grünen eben etwas übervorsichtig. So, als seien Barrikaden, brennende Strohhäufen, eingeworfene Autoscheiben ganz normal in der Innenstadt von Biberach.

Herr Innenminister: Nein, damit ist es NICHT getan. Fragen können sie erst abhaken, wenn sie beantwortet sind.

Und offene Fragen gibt es genug:

  • Wie war es möglich, dass die schon im Vorfeld erkennbare Mobilisierung radikaler Kräfte nicht erkannt oder nicht richtig eingeschätzt wurde? Dass das Landesamt für Verfassungsschutz nur ein „Grundrauschen“ erkannt haben will? Dass das Gewaltpotential „nicht absehbar“ gewesen sein soll?
  • Warum hatte die Polizeiführung die Präsenz deutlich erhöht, aber keine ausreichende Reserve? In jedem Risikospiel im Fußball ist das üblich – woran hakte es in Biberach?
  • Warum hat es nach ersten Eskalationen lange vor Morgengrauen noch Stunden gedauert, ehe zusätzliche Kräfte vor Ort waren? Waren die Polizistinnen und Polizisten vor Ort unnötig lange auf sich allein gestellt?
  • Warum wurden keine Polizeigitter aufgestellt bzw. Barrieren am Veranstaltungsort errichtet, um den sicheren Zugang für den Ministerpräsidenten und den Bundesminister zu gewährleisten, wenn schon in der Nacht Traktoren in der Stadt waren?

Und es ist eben beileibe kein unwichtiges Detail, wie die Kommunikation mit dem Personenschutz des Ministerpräsidenten und des Bundesministers Özdemir ablief. Warum ist der Ministerpräsident gar nicht erst nach Biberach reingefahren, sondern hat außerhalb auf weitere Informationen gewartet?

Herr Innenminister, es reicht da nicht, wenn sie wiederholen, alles sei doch bestens abgelaufen. In Biberach sah das ganz anders aus. Und wenn alles so gut ablief, warum verkünden Sie dann eine ganze Reihe von neuen Maßnahmen?

  • Eine neue Informationszentrale beim LKA mit einem landesweiten Lagebild
  • Veranstaltungskonzepte, auch für Versammlungs- und Verkehrsbehörden und
  • Eine erhöhte Polizeipräsenz bei politischen Veranstaltungen und weiteren Protesten aus der Landwirtschaft?

Herr Innenminister,

wir glauben das ganze Land will wissen, wie sie dafür sorgen, dass sich Vorfälle wie in Biberach und Schorndorf nicht wiederholen. Dass gewaltbereite und sich über das Recht stellende Demonstranten keine politischen Veranstaltungen verhindern, keine Politikerinnen und Politiker bedrohen oder durch Straßen hetzen können.

Es geht da nicht um weiße Westen, sondern um die Unversehrtheit unserer Demokratie. Und dass sie die zu schützen haben, ist keine Forderung der Opposition.

Das ist IHRE VERANTWORTUNG, das ist schlicht und einfach IHR AMT.

Vielen Dank