Herr Ministerpräsident, ich kann einige Punkte Ihrer Ausführungen voll und ganz unterschreiben. Ganz zu Beginn haben Sie auf die Grundsätze der Bildungspolitik in Baden-Württemberg hingewiesen, auf die Landesverfassung, auf den Anspruch, optimale und gerechte Bildungschancen für alle zu schaffen. Und Sie haben ausgeführt, dass Ganztagesschulen mit hoher pädagogischer Qualität ein wichtiger Baustein in dieser Bildungspolitik sind. Da haben Sie absolut recht.

Und ganz am Ende Ihrer Ausführungen haben Sie betont, dass man diese Angebote entschlossen ausbauen und verbessern muss, weil unsere Kinder das verdient haben. Auch da haben Sie Recht. Als SPD sind wir also mit dem Anfang und dem Ende Ihrer Erklärung absolut zufrieden. Nur: da bleibt noch der Teil dazwischen.

Im Jahr 2014 hat Baden-Württemberg den Ganztag für Grundschule und die Grundstufen der SBBZ verabschiedet und die Ganztagesschule im Primarbereich gesetzlich verankert. Als letztes aller Bundesländer, die uns hier teilweise schon um viele Jahre voraus waren. Damals haben die Grünen und die SPD als Landesregierung Bildungsgeschichte geschrieben. Wir haben das gemacht, weil wir eine bessere Bildung wollten, optimale Chancen für alle.

Und zur Wahrheit gehört eben, dass die CDU über Jahrzehnte verhindert hatte, dass in Baden-Württemberg die Ganztagsschule als Schulart ins Schulgesetz aufgenommen wurde. Stattdessen hatte man sich mit einem Schulversuch begnügt, der auf sogenannte Brennpunktschulen beschränkt war. Und die Kommunen wurden gezwungen, den Eltern, die dringend darauf angewiesen waren und sind, Betreuungsangebote zu machen.

Wir wollten mehr Zeit für vertieftes Lernen, eine pädagogische Einheit aus Unterricht, Förderung und Aktivpausen, Betreuung bei den Hausaufgaben und neue Freizeitaktivitäten durch die Einbeziehung außerschulischer Partner. Wir wollten einen besseren Zugang zu Bildung für ALLE Schulkinder, MEHR Chancengerechtigkeit und damit BESSERE Bildungserfolge.

Und wir wollten das, weil wir es uns in unserem Land nicht leisten können, auf kluge Köpfe zu verzichten. Denn von denen leben unsere Firmen, unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und das in Zukunft noch viel mehr als jetzt schon.

VON OPTIMALER BILDUNG LEBT UNSER LAND.

Wir haben Schulen unterstützt, und mehr und mehr Grundschulen konnten den Ganztag einführen. Auch das hätte schneller gehen können, aber es ging voran. Und wenn wir ehrlich sind: Wenn Sie sagen, Sie hätten sich beim Ganztag in den vorigen zehnJahren richtig reingehängt, dann reden Sie wohl vor allem von den Jahren, in denen Sie mit der SPD regiert haben.

Denn dann haben die Grünen den Partner gewechselt, und seither muss man alle Versprechen und Ziele, alle Beteuerungen und alle Koalitionsverträge dran messen, was es vom geduldigen Papier in die Realität schafft. Und da habe ich für Sie einige Zahlen: Im Schuljahr 2017/18 kamen im Land 52 Grundschulen neu zum Ganztagesbetrieb. Ein Schuljahr später waren es noch 31 neue Schulen, im Jahr darauf waren es noch 14 und seither hängen wir bei 13 Schulen fest. Das klingt nicht nur schlecht, das ist es auch.

Denn wir sind kaum bei 30 Prozent Ganztagsanteil in diesem Land, und trotzdem wurde das Programm in der grün-schwarzen Legislatur geradezu abgewürgt. Der letzte Ganztagesgipfel fand übrigens 2017 statt, der letzte Fachtag zum Thema im Jahr 2018. Seither hatte die Landesregierung offenbar kein Interesse mehr an dem Thema.

Ich will jetzt auch gar nicht über die frühere Kultusministerin herziehen, die diesem Haus nicht mehr angehört. Aber weil der Ganztag so eminent wichtig ist, weil er zu einer modernen Bildung gehört und unglaublich wichtig für die Lebensleistung so vieler Kinder ist – deswegen muss ich sagen: Die vergangenen fünf Jahre Grün-Schwarz waren verlorene Jahre für den Ganztagsausbau in Baden-Württemberg.

Und das sehe alle Experten so. Schauen Sie sich doch die Bertelsmann-Studien an. Oder den Bildungsmonitor im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Das sind doch nun wirklich keine SPD-Brigaden. Aber in allen Studien wurde Baden-Württemberg für den schlechten Ausbau der Ganztagsschulen heftig kritisiert und schlecht bewertet. Zitat: „Verbesserungsbedarf besteht bei der Förderinfrastruktur“. Und jetzt stellen Sie sich hier her und behaupten, Ganztagsschulen seien ein wichtiger Baustein für gute Bildung. Ernsthaft? Warum handeln sie dann nicht demgemäß?

Und jetzt kommen wir noch zu einem weiteren Thema, nämlich der Frage nach der Qualität ihres Angebots in Baden-Württemberg: Warum hat die frühere Kultusministerin Eisenmann beim Ganztag denn so lange gebremst? Weil ein Gutteil des Ganztags, für den Sie sich loben, doch nicht einmal den Qualitätsansprüchen des Bundes genügt hätte. Wir erinnern uns doch alle noch an die Auseinandersetzung mit dem Bund und den anderen 15 Bundesländern, als es um zusätzliche Fördermittel des Bundes für den Ganztag ging. Neben den Ministerinnen Giffey und Karlicek musste sich sogar Kanzleramtsminister Braun einschalten, weil Baden-Württemberg nicht einmal bereit und in der Lage war, die im Bundesprogramm festgelegten Mindestqualitätsanforderungen zu erfüllen.

Und auch nicht den Ansprüchen, die wir in grün-roten Zeiten aufgestellt haben. Da gab es keine echte Schulaufsicht, das war keine Ganztagsbildung, sondern eine Nachmittagsbetreuung, die man an die Kommunen abgedrückt hat. Und leider hat man bei Ihren Ausführungen heute erneut den Eindruck, dass Sie immer noch nicht kapiert haben, dass es eben einen fundamentalen Unterschied zwischen einer Ganztagsschule, die von Lehrern pädagogisch gestaltet wird, und einer bloßen Betreuung gibt.

Und ja, durch diesen Streit mit dem Bund im vergangenen Jahr, ging wertvolle Zeit beim Ausbau des Ganztags verloren. Und die Verhandlungen über die Finanzierung des Ganztags, die bis in den Vermittlungsausschuss führten, haben ebenfalls Zeit gekostet. Aber, zumindest das gestehe ich Ihnen zu, am Ende kam mehr Geld für die Länder heraus, das der Bund nun für die Umsetzung der Ganztagsgarantie zuschießt.

Wenn wir uns die Sache aber mal unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich geregelten Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern betrachten, mutet ihre Argumentation doch etwas skurril an. So fordern Sie doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit als glühender Föderalist ein, dass Bildung Ländersache sei und der Bund dort doch tunlichst seine Finger heraushalten soll. Aber gerade wenn Bildung doch Ländersache ist, dann ist doch der Ausbau des Ganztags ganz sicher eine originäre Aufgabe des Landes.

Eine Aufgabe, die sie ausweislich aller Experten bisher nur sehr mangelhaft erfüllt haben. Und wenn der Bund Ihnen helfen will, dann fangen Sie an zu zetern und reden vom süßen Gift. Merken Sie denn nicht, wie schmal der Grat ist, auf dem ihre Argumentation wandelt? Und Herr Ministerpräsident, wenn es um Ihre Rolle im Bundesrat geht, klang es ja schon fast nach Märchenstunde: Winfried Kretschmann, der Anführer der geknechteten Länder, dem eine dankbare Masse unfähiger Kolleginnen und Kollegen applaudiert, weil er allein aufsteht.

Wir wissen, dass Ihre Blockaden auch in dieser Sache immer wieder Kopfschütteln im kompletten Bundesrat ausgelöst haben. Wie man hört, haben Sie sich ja mit Ihrem beständigen „Nein“ einen einschlägigen Spitznamen erarbeitet. „Warten wir mal ab, was der Dr. No aus Stuttgart sagt“, heißt es da. Herr Ministerpräsident, Sie haben ja kürzlich auf Ihre Sammlung an James-Bond-Filmen verwiesen. Ziehen Sie sich doch nochmal „Dr. No“ rein: Der Mann war KEINER von den Guten!

Herr Ministerpräsident, es geht um Bildung, es geht um unsere Kinder. Und deswegen mache ich jetzt Schluss mit ihrer Rolle in dieser Angelegenheit. Lieber eine späte Lösung als gar keine. Aber es muss dann auch in der Landesregierung mit einigen Dingen Schluss sein. Feiern sie sich wegen mir ein paar Tage als Zorro des Föderalismus, aber dann gehen Sie bitte die Ganztagsschulen an.

Machen Sie Schluss mit reiner Betreuung, bei der man „Ganztag“ auf die Türe pinselt. Machen Sie Schluss mit rein ideologischen Vorbehalten ihrer Koalitionspartner. Und wachen Sie endlich aus ihrem bildungspolitischen Dornröschenschlaf auf und machen Sie Bildung zu einem der zentralen Handlungsfelder in der Landespolitik und vor allem im nächsten Landeshaushalt.

Mit Ihrer heutigen Erklärung ist vielleicht der Streit um ein Gesetz abgehakt, aber die Aufgaben für den Ganztag fangen damit erst an. Der muss endlich so werden, wie wir es 2014 versprochen haben.

DAS haben unsere Kinder verdient.

Es gilt das gesprochene Wort.