MdL Thomas Knapp: „Energieeffizienz bei Gebäuden steigern, erneuerbare Energien ausbauen und konsequent Strom sparen: Das sind die vordringlichen Gebote des Klimaschutzes“

MdL Gunter Kaufmann: „Der Autoverkehr ist ein Hauptverursacher der klimaschädlichen Gase. Mit technischen Innovationen, aber auch mit einem Tempolimit, müssen wir gegensteuern“

Mit einem ehrgeizigen Maßnahmenbündel in den Bereichen Wärme, Strom und Verkehr will die SPD-Landtagsfraktion bis zum Jahr 2020 die umweltschädlichen CO2-Emissionen im Land halbieren und so dem Klimaschutz einen nachhaltigen Schub verleihen. „Der bedrohliche Klimawandel verlangt, dass wir die Treibhausgase noch schneller und entschlossener verringern. Die Halbierung des Kohlendioxid-Ausstoßes bis 2020 ist angesichts der rasanten technischen Entwicklung bei den erneuerbaren Energien und der großen Potenziale bei der Energieeinsparung ein realistisches Ziel, das bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomkraft erreichbar ist“, sagte Thomas Knapp, energiepolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, bei der Präsentation eines 12-Punkte-Programms vor der Landespresse, das auch als Antrag im Landtag eingebracht wurde.

Die SPD-Landtagsfraktion will mit einer Klimaschutz-Offensive die CO2-Emissionen bis 2020 auf 39 Mio. Tonnen jährlich absenken. Baden-Württemberg sei 1990, im Beschlussjahr des Kyoto-Protokolls, bei 77,4 Mio. Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr gestartet. Heute, also mehr als fünfzehn Jahre später, sei man nach langer Stagnation bei immer noch gigantischen 75,8 Mio. Tonnen jährlich angelangt. Weitere gut 36 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr müssten zusätzlich eingespart werden, wenn man eine Halbierung der Kyoto-Ausgangsmenge erreichen wolle.

„Die nächsten 15 Jahre entscheiden, ob die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels noch verhindert werden können. Geredet wurde lange genug, jetzt muss auf allen Ebenen mutig gehandelt werden, denn es ist bereits fünf nach zwölf“, sagte Knapp.

Erstes Handlungsfeld: Wärmeerzeugung

Maßnahmen 1 und 2: Gebäudesanierung mit erneuerbaren Energien und Halbierung fossiler Energie in landeseigenen Gebäuden
Nach den Worten Knapps gibt es in Baden-Württemberg derzeit 4,8 Mio. Wohnungen mit zusammen 431 Mio. Quadratmetern. Diese verbrauchten im Schnitt 14 Liter Heizöl pro Quadratmeter. Mit der Energieeinsparverordnung und dem Bundesprogramm zur energetischen Gebäudesanierung sei eine Entwicklung in Gang gekommen, die enorme Energieeinsparungen ermögliche. Das Land müsse jedoch zusätzlich zu den Anstrengungen des Bundes diesen Trend zur energetischen Gebäudesanierung stärker unterstützen. „Vor allem die ältesten Gebäude müssen endlich mit erneuerbaren Energien modernisiert und wärmegedämmt werden“, verlangte Knapp.

Als weiteren Baustein ihrer Klimaschutz-Offensive setzt die SPD auf die Solarthermie, also die Warmwasserbereitstellung aus Sonnenenergie. Diese sei zwar längst wirtschaftlich, werde aber zu wenig genutzt. Erst in den letzten beiden Jahren habe hier ein starker Aufschwung stattgefunden.

Durch bessere Rahmenbedingungen, zu denen auch eine Änderung der Bauvorschriften gehöre, könne man der Sonnenenergie für die Heißwasserbereitung viel Rückenwind verschaffen. „Bis 2020 soll auf jedem zweiten Wohnhaus eine solarthermische Anlage installiert sein“, sagte Knapp. Diese Maßnahme würde dann 864 Mio. Liter Heizöl sparen und damit 2,7 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden.

Die Inanspruchnahme von Landesmitteln zur Wohnraumförderung und Gebäudesanierung müsse an die Nutzung erneuerbarer Energien geknüpft werden. Zusätzlich solle das Land alle eigenen Liegenschaften bis 2020 durch Wärmedämmung und den Einbau moderner Heizungsanlagen auf einen Stand von 5 Litern Ölverbrauch pro Quadratmeter bringen, was den Standards für heutige Neubauten entspreche.

Für die Sanierung von 30 Prozent der Wohnfläche und der Landesgebäude bis 2020 sowie für die natürliche Gebäude-Fluktuation durch Abriss und Neubau veranschlagt Knapp eine Ersparnis von 5,4 Mio. Tonnen CO2. Die Nutzung von Solaranlagen, Holzheizungen und Erdsondenheizungen sei hierbei noch gar nicht einberechnet.

Maßnahme 3: Energiepotenzial der Biomasse nutzen
Nach Ansicht Knapps wird die Biomassenutzung und die Biogaserzeugung künftig eine noch größere Rolle als Ersatzpotenzial für Kohle- und Atomstrom spielen. Die technischen Fortschritte auf diesem Gebiet müssten intensiver in praktische Anwendungen umgesetzt werden.

Mit der Errichtung von 1.200 Biogasanlagen von jeweils 1 MW elektrischer Leistung bis 2020 (was etwa 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Anspruch nehmen würde) ließen sich jährlich 9,6 Mrd. kWh Strom erzeugen, was ein ganzes Atomkraftwerk komplett ersetzen könnte. Gleichzeitig aber ließen sich etwa 8 Mrd. kWh Wärme nutzen, die eine CO2-Einsparung von 2 Mio. Tonnen erbrächte.

Die Nutzung der festen Biomasse (Holz, Stroh, Grünabfälle) wird laut einer Prognose des Bundesumweltministeriums in die Höhe schnellen. Die Stromproduktion wird sich bis 2020 verdreifachen, die Wärmeproduktion wird auf das Zweieinhalbfache steigen. Knapp hat diesen Trend auf Baden-Württemberg herunter gerechnet: Er bedeutet eine Erhöhung der Stromproduktion von 5,4 Mrd. kWh und eine Steigerung der Wärmeproduktion von 10 Mrd. kWh. Während sich mit dem Strom Kernenergie substituieren lasse, würde die Wärmeerzeugung bei Verdrängung von Heizöl 2,5 Mio. Tonnen CO2 einsparen.

Maßnahme 4: Oberflächennahe Geothermie gezielt fördern
Knapp ist davon überzeugt, dass auch die Geothermie für die Hausbeheizung rasch an Bedeutung gewinnen wird. Er hält es für realistisch, bis 2020 etwa 50.000 Gebäude mit einer wirtschaftlich bereits attraktiven Erdsondenheizung auszustatten, vorzugsweise im Zuge von Neubauten. Mit einer solchen Maßnahme lassen sich 150 Mio. Liter Heizöl ersetzen, was einer Einsparung von 0,4 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr gleich kommt.

Die tiefe Geothermie stecke dagegen noch in der Forschungsphase. Erste erfolgreiche Pilotprojekte gäben jedoch Grund zu der Hoffnung, bis 2020 bereits die ersten kommerziellen Tiefengeothermie-Kraftwerke von vielleicht 200 MW installierter Leistung im Land aufgebaut zu haben. Die Wärmeproduktion durch 20 Geothermie-Kraftwerke zu je 10 MW könnte nach Knapps Berechnungen ebenfalls 0,4 Mio. Tonnen CO2 vermeiden.

Zweites Handlungsfeld: Stromerzeugung und Stromsparen

Maßnahme 5: Windkraft aus ihrem Schattendasein herausholen
Die Windenergie hat bundesweit bereits heute einen nicht gering zu schätzenden Anteil an der Stromproduktion. Sie erbringt über 7 Prozent der Gesamtstromproduktion. „In Baden-Württemberg fristet Windkraft jedoch ein Schattendasein, weil die Landesregierung ihren Ausbau durch ein restriktives Planungsrecht blockiert“, stellte Knapp fest.

Allein die Errichtung von 2.000 Windkraftanlagen bis 2020 erbrächte eine installierte Leistung von ca. 4.000 MW und würde gegenüber fossilen Energien 5,7 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Damit käme Baden-Württemberg bis 2020 auf eine Gesamtzahl von 2.300 Windkraftanlagen, die bereits heute in dem vergleichbaren Flächenland Nordrhein-Westfalen stehen.

Maßnahme 6: Solardächer auf landeseigenen Gebäuden
Die SPD will alle Dachflächen von landeseigenen Gebäuden grundsätzlich an Investoren zur Nutzung mittels Photovoltaikanlagen vermieten. Die Chancen für einen weiteren Ausbau der Photovoltaik beurteilte Knapp sehr positiv: Allein die Fortschreibung der Neuinstallation der beiden letzten Jahre werde bis 2020 eine jährliche Stromproduktion von über 1.500 GWh (Gigawattstunden) ermöglichen.

Maßnahme 7: Energieverbrauch intelligent steuern
Mit einer intelligenten Steuerung des Energieverbrauchs will die SPD weitere 1,5 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Zu dieser Maßnahme gehört nach den Worten Knapps eine verbrauchsgesteuerte Modifizierung der Strompreise. Verbraucher sollen verstärkt mittels Zusatzgeräten über die Preisschwankungen im Tagesverlauf informiert werden und so energieintensive Haushaltsaktivitäten, wie etwa die Nutzung von Waschmaschinen, Trocknern und Spülautomaten, aus den teuren Spitzenlastzeiten in niedrigpreisigere Zonen verlagern können. Gleichzeitig könnten die Stromanbieter die Verbrauchsspitzen absenken und unter dem Strich infolge einer besseren Verteilung im Tagesverlauf Kapazitäten einsparen.

Eine Absenkung der Spitzenlast verspricht sich die SPD-Landtagsfraktion auch durch so genannte virtuelle Kraftwerke. Ein virtuelles Kraftwerk ist eine Zusammenschaltung von kleinen, dezentralen Kraftwerken zu einem Verbund, die gemeinsam von einer zentralen Warte gesteuert werden.

Maßnahme 8: Energieverschwendung in Haushalten und Büros eindämmen
Durch effizientere Haushaltsgeräte lassen sich nach Schätzungen der SPD 10 Prozent des Haushaltstromverbrauches und damit etwa 1,5 Mio. Tonnen CO2 einsparen. Darüber hinaus müssten durch strengere Verbrauchsgrenzwerte die Stromfresser Glühbirne und Stand-By-Schaltung zurückgedrängt werden.

Auf der Basis von Berechnungen des Umweltbundesamtes und des Bundesumweltministeriums kommt Kaufmann zum Ergebnis, dass in Baden-Württemberg durch den Ersatz von Glühbirnen durch Energiesparleuchten und das Abschalten des Stand-By-Betriebs an Haushalts- und Bürogeräten bzw. dessen Ersatz durch Netzschalter rund 2,5 Mio. Tonnen CO2 weniger ausgestoßen würden.

Drittes Handlungsfeld: Verkehr
Der Autoverkehr ist nach den Worten von Gunter Kaufmann, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, einer der Hauptverursacher für die klimaschädlichen Gase. In Baden-Württemberg sind es heute 21,8 Mio. Tonnen CO2-Ausstoß und damit knapp 30 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen.

Die jüngst EU-weit festgelegten Emissionsobergrenzen für PKW, die ebenfalls von der EU beschlossene Anhebung des Anteils von Biosprit am gesamten Treibstoff auf 10 Prozent und die Entwicklung sparsamerer Motoren wird nach Einschätzung Kaufmanns den durch die ökologische Steuerreform eingeleiteten positiven Trend verstärken.

Insgesamt hält es Kaufmann für realistisch, mit steuerlichen, technischen und verkehrlichen Maßnahmen eine Senkung der CO2-Emissionen im Straßenverkehr in der Größenordnung von etwa 6,3 Mio. Tonnen anzupeilen.

Maßnahme 9: Nicht das Halten von Autos, sondern den Spritverbrauch besteuern
Die Landesregierung soll nach dem Willen der SPD im Bundesrat eine Initiative mit dem Ziel ergreifen, die Kraftfahrzeugsteuer an den Bund abzugeben, damit diese in die Mineralölsteuer eingegliedert werden kann. Der Verlust der den Ländern zustehenden Kraftfahrzeugsteuer soll dann durch andere Steueranteile ausgeglichen werden.

Gunter Kaufmann: „Es ist höchste Zeit, dass wir nicht das Halten eines Autos besteuern, sondern das Vielfahren mit entsprechend hohem Treibstoffverbrauch.“

Maßnahme 10: Bundesweites Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen
Die SPD-Landtagsfraktion spricht sich ferner für die Einführung eines allgemeinen Tempolimits von 130 km/h auf Bundesautobahnen aus. „Ein Tempolimit bewirkt nicht nur eine höhere Verkehrssicherheit und einen geringeren Benzinverbrauch, sondern leistet auch einen Beitrag zum Klimaschutz“, sagte Kaufmann. Eine solche „Fuß-vom-Gas-Strategie“ würde eine CO2-Einsparung von immerhin 130.000 Tonnen jährlich erzielen.

Kaufmann zeigte sich davon überzeugt, dass ein Tempolimit in der Autotechnik einen Anreiz bilden könnte, Innovationspotenziale auf die Senkung des Durchschnittsverbrauchs der Fahrzeuge zu lenken, und mögliche Spriteinsparungen nicht durch die Entwicklung von auf hohe Geschwindigkeit ausgerichteten PKW zu kompensieren.

Maßnahme 11: Steuerliche Privilegien von Sprit fressenden Dienstwagen kappen
Nach den Plänen der SPD-Landtagsfraktion sollen die besonders viel Sprit fressenden Dienstwagen – nicht selten dicke Limousinen der Oberklasse – nicht länger mit Steuervorteilen subventioniert werden. „Wir wollen eine Klimabremse für alle Firmenfahrzeuge“, sagte Kaufmann. Die Kosten für den Betrieb von Firmenwagen sollen demnach nur noch bis zu einer klimapolitisch vertretbaren, verbrauchsorientierten Höhe von der Steuer absetzbar sein.

Maßnahme 12: Fliegen verteuern, umweltfreundliche Maschinen begünstigen
Ein großes Problem für den Klimaschutz stellt das ungebremste Wachstum im Flugverkehr dar. Kaufmann machte darauf aufmerksam, dass der Schadstoffausstoß durch den Flugverkehr nach Angaben der EU-Kommission seit 1990 um 87 Prozent zugenommen hat. Die auch in Zukunft absehbaren Steigerungen im Flugverkehr könnten zwar nicht einfach aufgehalten oder zurückgeschraubt werden, aber mit Blick auf den CO2-Ausstoß gelte es, die steuerliche Bevorzugung des Fliegens zu beenden und „Dreckschleuder“ nicht auch noch mit günstigen Landegebühren zu belohnen.

Kaufmann bekräftigte die Forderung der SPD, eine Kerosinsteuer in Deutschland einzuführen. Es sei ökologischer und ökonomischer Unfug, dass dem Fliegen bislang erhebliche steuerliche Vorteile eingeräumt würden, die wesentlich umweltfreundlichere Bahn jedoch Mineralöl-, Strom-, Öko- und Mehrwertsteuer bezahlen müsse und so unter einem klaren Wettbewerbsnachteil leide.

Der SPD-Umweltexperte plädierte ferner dafür, die Landegebühren auf den landeseigenen Flughäfen in Zukunft an den Kohlendioxid-Ausstoß zu binden und auf diese Weise sparsame, umweltfreundlichere Flugzeuge zu begünstigen.

Viertes Handlungsfeld: Atomausstieg
Die SPD-Landtagsfraktion hält es für fatal, den beschlossenen Atomausstieg gegen den Klimaschutz in Stellung zu bringen. Kaufmann wandte sich deshalb erneut entschieden gegen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken: „Die Behauptung, dass Atomenergie eine große Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel spielen könne, wird durch Wiederholung auch nicht richtiger. Deren Anteil an der Endenergie weltweit ist dafür mit etwa 2 Prozent viel zu gering.“ Es mache außerdem keinen Sinn, die extremen Gefahren „Klimawandel“ und „Radioaktivität“ gegeneinander auszuspielen. „Der Teufel kann nicht mit Beelzebub ausgetrieben werden“, unterstrich Kaufmann.

Die drei Atommeiler, die bis 2020 in Baden-Württemberg vom Netz gehen werden, erzeugten zusammen 25,1 Mrd. kWh jährlich. Doch allein durch die Stromerzeugung aus Biogas, Biomasse und Photovoltaik seien 16,5 Mrd. kWh bis 2020 ersetzbar. Hinzu komme das Potenzial aus der Geothermie, mit der schon heute auch Strom erzeugt wird. Daneben wird nach Ansicht Kaufmanns mit Hilfe der zunehmenden Kraft-Wärme-Kopplung in dezentralen Blockheizkraftwerken, durch die Minimierung der Leitungsverluste im Zuge der Dezentralisierung und infolge weiterer Einsparungen in der Industrie ein nennenswerter Ersatz von Atomstrom möglich sein.

Auch der Zubau eines oder zweier Gas- und Dampfkraftwerke auf Erdgasbasis könne Atomstrom ersetzen. Die zusätzlichen Emissionen dieser Kraftwerke würden durch die Effizienzsteigerungen der heute schon bestehenden Strom- und Wärmekraftwerke auf Erdgasbasis und den Wechsel von Heizölheizungen zu Erdgasheizungen bezüglich der Klimagase kompensiert.

Gunter Kaufmann: „Das Klimaschutz-Programm der SPD ist mit dem Atomausstieg machbar. Bis 2020 schaffen wir die Halbierung des CO2-Ausstoßes. Gleichzeitig werden 25 Mrd. kWh Atomstrom durch Energieeinsparung, Strom aus Biomasse, Biogas, Photovoltaik und moderne GuD-Kraftwerke ersetzt, ohne die Klimaschutzziele zu gefährden.“

Martin Mendler

Stellv. Pressesprecher