MdL Gerd Teßmer: „Wir wollen nicht die Kopie der Ballungsräume auf dem Land, sondern die spezifisch ländlichen Dorf- und Arbeitsstrukturen fördern“

Sozialdemokratische Antworten auf Herausforderungen an den ländlichen Raum

In intensiven Beratungen hat die SPD-Landtagsfraktion die Situation des ländlichen Raumes analysiert und sozialdemokratische Antworten auf die Herausforderungen an den ländlichen Raum formuliert. Ziel ist es, Handlungsperspektiven zu entwickeln, um diesen Raum als Bildungs-, Lebens- und Wirtschaftsstandort fit für die Zukunft zu machen. Das von der Fraktion beschlossene „Arbeitsprogramm für den ländlichen Raum“ soll nun im Dialog mit Bürgern, Kirchen, der Wirtschaft und Verbänden „auf Herz und Nieren“ geprüft und in parlamentarische Initiativen umgesetzt werden, so Gerd Teßmer, Vorsitzender des Arbeitskreises ländlicher Raum der Fraktion.

„Der ländliche Raum, der mehr als drei Viertel unserer Landesfläche ausmacht, ist mit seinen typischen Eigenarten und Landschaften ein unverzichtbares Gegengewicht zu unseren Städten und Ballungsräumen.“

Im ländlichen Raum Baden-Württembergs leben etwa 60% der Bevölkerung. Die schwächer besiedelten Landstriche sind aus Sicht der SPD mehr und mehr durch eine Ausdünnung der Infrastruktur bedroht. Die Wege zu Banken, Geschäften und Ämtern werden länger, zumal nach der von der Regierung geplanten Verwaltungsreform. Gleichzeitig sind die Ansprüche an den ländlichen Raum als Erholungsraum, Wirtschaftsraum und Naturraum gewachsen.

Die CDU/FDP-Regierung habe den ländlichen Raum weitgehend im Stich gelassen, kritisiert Teßmer. Weder finde eine gezielte und maßgeschneiderte Wirtschaftsförderung statt, noch würden die Bildungsmöglichkeiten im ländlichen Raum verbessert. Neue wegweisende Ansätze der Verknüpfung von Tourismus und Naturschutz oder des Ökolandbaues mit der Direktvermarktung würden bestenfalls ignoriert statt gefördert.

„Ziel einer guten Politik für den ländlichen Raum ist nicht die Kopie der Ballungsräume in verkleinertem Maßstab“, so die SPD, „sondern die Berücksichtigung der prägenden Eigenart von Dorf-, Landschafts- und Arbeitsstrukturen. Dabei ist die Erhaltung des sozialen Dorflebens, der wohnortnahen Grundversorgung, der Vereinskultur und der typischen Wohnstrukturen genauso zu berücksichtigen wie der Erhalt der durch bäuerliches Wirtschaften geprägten Kulturlandschaft.“

Als besondere Schwerpunkte zur Stärkung des ländlichen Raums sieht Teßmer den Ausbau der neuen Medien, die Bildungspolitik und die Verknüpfung von Landwirtschaft, Umwelt und Energieproduktion. Dem Problem der wohnortnahen Grundversorgung („Tante-Emma-Läden“) will die SPD in einer Expertenanhörung nachgehen und daraus eigene Vorschläge entwickeln.

Neue Medien als Chance für den ländlichen Raum
Die Kommunikationstechnologien eröffnen nach den Worten von Gerd Teßmer neue Chancen bei der Schaffung und Gestaltung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum, da sie flexibel über größere Distanzen arbeitnehmerorientiert eingesetzt werden können. Die technische Infrastruktur über Kabel, Mobilfunk und UMTS im ländlichen Raum müsse deshalb beschleunigt ausgebaut werden. Damit positive Beispiele von Vorreitergemeinden rasch Schule machten, müsse das Land zusätzliche Anreize geben. Beim Angebot IT-gestützter Arbeitsplätze solle insbesondere der Öffentliche Dienst beispielgebend vorangehen.

Teßmer: „Mit solchen Angeboten wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert und gleichzeitig zusätzliches Arbeitspotenzial im ländlichen Raum erschlossen, gerade auch unter gut ausgebildeten Frauen.“

Zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes ländlicher Raum gehört nach Teßmers Worten auch die Beschleunigung der Mobilfunkverbesserung, ein Ausbau des ADSL-Netzes und die zügige Einrichtung eines leistungsfähigen Breitbandkabel- und UMTS-Funknetzes.

Erste Anfänge positiver Entwicklungen seien in den „Mediendörfern“ bereits zu besichtigen. Hier eröffneten sich gewerbliche und gesellschaftliche Chancen durch die intensive Nutzung des Internets und anderer neuer Medien. Auch die Kommunikation zwischen Gemeinde und Bürgern sowie zwischen den Generationen könne damit erheblich verbessert werden.

Die SPD schlägt vor, insbesondere die Möglichkeiten des internetgestützten Angebotes von Verwaltungsleistungen (e-government) konsequent weiter zu entwickeln und zu verstärken, um den Bürgerinnen und Bürgern im ländlichen Raum einen umfassenden Service anzubieten.

Zentrale Aufgabe der Landespolitik: Bessere Bildungsangebote im ländlichen Raum
Aus den offiziellen Statistiken des Kultusministeriums geht hervor, dass die Übergangsquoten von der Grund- auf die Realschule und das Gymnasium im dünn besiedelten ländlichen Raum immer noch deutlich geringer sind als in den Ballungsgebieten. Zudem sind die Schüler (und Eltern) durch lange Anfahrtswege und entsprechend hohe Beförderungskosten belastet.

Der Mangel an Bildungsangeboten mit höheren Abschlüssen und das Fehlen eines breit gefächerten Angebots unterschiedlicher Ausbildungen führen zu Abwanderungsprozessen in die Ballungsräume. Die SPD fordert deshalb den verstärkten Aufbau von Regionalen Schulen, bei denen Haupt- und Realschule unter einem Dach sind. Auch Gymnasien müssten in erreichbarer Nähe liegen. Großen Wert legt die SPD darauf, dass gerade auch im ländlichen Raum ein ausreichendes Angebot von Ganztagesschulen geschaffen wird, zumal der Bund dafür nun dem Land zusätzliche finanzielle Mittel anbietet.

Bei abnehmenden Schülerzahlen in den kommenden Jahren sind in kleineren Gemeinden (Grund-) Schulstandorte in ihrer Existenz gefährdet. Durch die Einführung einer sechsjährigen Grundschule und jahrgangsübergreifendem Unterricht wird nach Ansicht von Gerd Teßmer gewährleistet, dass Kinder wohnortnah unterrichtet werden und von längeren gemeinsamen Lernzeiten profitieren.

Die Fachhochschulen und Berufsakademien im ländlichen Raum benötigen aus Sicht der SPD einen konjunkturunabhängigen Fächer-Mix, um für die Zukunft fit zu sein.
Die Virtuelle Hochschule, das heißt www-basiertes E-Learning, ergänzt um Präsenzphasen an wenigen Lernstützpunkten, biete ganz neue Möglichkeiten, mit denen die nach wie vor schlechteren Bildungsangebote des ländlichen Raums zumindest teilweise kompensiert werden könnten.

Einkommen sichern durch neue Wege
Ländlicher Raum sei zwar mehr als nur Landwirtschaft, aber die Agrar- und Forstwirtschaft mit ihren vor- und nachgelagerten Bereichen sei noch immer ein unverzichtbares wirtschaftliches Standbein und zugleich das prägende Element der Landschaftsgestaltung.

Vor dem Hintergrund eines immer stärker sich öffnenden Weltmarktes, der Konzentrationsprozesse im Einzelhandel sowie der anstehenden Osterweiterung der EU gerate die durch kleine Betriebe gekennzeichnete Landwirtschaft in Baden-Württemberg jedoch immer mehr unter Druck. Die beschlossene Agrarreform der EU eröffne den Landwirten zwar eine stärkere Ausrichtung ihrer Produktion am Markt, gleichzeitig werde auch das Einkommen der erzeugenden Betriebe durch Direktbeihilfen gesichert und stabilisiert.

Dennoch, so Teßmer, sei der Strukturwandel der letzten Jahrzehnte mit einem kontinuierlichen Rückgang der Zahl der Landwirtschaftsbetriebe nicht aufzuhalten.

In den landschaftlich hochwertigen Räumen und in den Hochlagen der Mittelgebirge müssten deshalb alle Chancen genutzt werden, über ökologisch ausgerichteten integrierten Landbau, Vertragsnaturschutz und die Produktion von Rohstoffen zur Energieerzeugung verstärkt zusätzliche Einkommensquellen zu erschließen.

Die Landesagrarpolitik müsse darauf ausgerichtet werden, gerade den Landwirtschaftsbetrieben zu helfen, die unter ungünstigen Rahmenbedingungen arbeiten. Geeignete politische Mittel seien die Förderung der regionalen Vermarktung, der ökologischen Wirtschaftsweise, der landschaftspflegerischen Aufgaben und des sanften Tourismus. Auch die Bildung von Erzeugergemeinschaften müsse gezielt unterstützt werden.

Als wegweisende Beispiele für Zucht und Vermarktung verwies der SPD-Agrarexperte auf das Hällische Schwein und das Hinterwälder Rind. Interessen des Tierschutzes, der Rassenerhaltung, der Landwirtschaft und des Landschaftserhaltes würden hier mustergültig zusammengeführt.

Ermutigende und für die Grundversorgung im ländlichen Raum bedeutsame Erzeugergemeinschaften mit gemeinsamer Direktvermarktung in einem Laden, wie einer Metzgerei oder einer Bäckerei, müssen über die Anschubförderung der EU hinaus auch vom Land durch Beratung und Förderung besser unterstützt werden, fordert die SPD.

Notwendig sei auch eine deutliche Erhöhung der Produktion von Strom und Wärme aus Wind, Biogas, Kleinwasserkraft, Sonnenenergie und vor allem Biomasse, da eine dezentrale Energieversorgung gerade im ländlichen Raum von allergrößtem Nutzen sei. Dabei sollten die Landwirte verstärkt Biomasse zur Energiegewinnung produzieren.

Teßmer: „Das Land ist gefordert, eine Energieoffensive ländlicher Raum zu starten, damit die daraus resultierenden Einnahmen auch diesem Raum zufließen. Diese Offensive muss vor allem die Wind- und Solarenergie sowie die Biomasseerzeugung und –nutzung umfassen.“ Das Land müsse aber auch selber mit gutem Beispiel vorangehen, indem es z.B. den eigenen Fahrzeugpark mit Ethanol oder Biodiesel betankt.

Die landwirtschaftliche Aus- und Weiterbildung an Universitäten und Fachhochschulen soll nach dem Willen der SPD-Landtagsfraktion in einem nach modernsten Erkenntnissen arbeitenden „Grünen Zentrum“ zusammengeführt werden. Dabei müssten moderne Anbaumethoden, der ökologische Landbau, neue Techniken (Anwendung der Biotechnologie und Satellitennavigation) und eine marktwirtschaftliche Ausrichtung vermittelt werden.

Helmut Zorell
Pressesprecher