MdL Martin Rivoir: „Mit niedrigeren Darlehenszinsen, zusätzlichen Stipendien und großzügigen Befreiungstatbeständen muss die Re-gierung für Sozialverträglichkeit sorgen, solange sie Studienge-bühren nicht wieder abschafft“

Die SPD hat einen Plan vorgelegt, mit dem die Studiengebühren an den baden-württembergischen Hochschulen sozialer ausgestaltet werden sollen. Derzeit könne von Sozialverträglichkeit keine Rede sein, obwohl die Landesregierung genau mit diesem Versprechen für die Akzeptanz von Studiengebühren geworben hatte. „Mit niedrigeren Darlehenszinsen, zusätzlichen Stipendien und großzügigen Befreiungstatbeständen muss die Regierung für Sozialverträglichkeit sorgen, solange sie Studiengebühren nicht wieder abschafft“, verlangte Martin Rivoir, Vorsitzender der Fraktionsarbeitskreises Wissenschaft, Forschung und Kunst, bei der Vorstellung eines Fünf-Punkte-Plans der SPD.

Rivoir zog am Ende des ersten studiengebührenpflichtigen Hochschulsemesters in Baden-Württemberg eine ernüchternde Bilanz der sogenannten „Campus-Maut“. So verständlich die Genugtuung der Hochschulleitungen über den 90 Millionen Euro-Segen sei, die ersten Erfahrungen aus der Praxis mit Studiengebühren verhießen nichts Gutes. „Wegen der hohen Zinsen werden die Studiengebührendarlehen nur von 2,5 Prozent der Studierenden in Anspruch genommen. Und es fehlen immer noch die von der Landesregierung vorgegaukelten zusätzlichen Stipendien“, bemängelte Rivoir. Unter dem Strich würden die Studierenden und ihre Familien jahrelang mit Tausenden von Euro belastet.

Die SPD-Landtagsfraktion rechne trotz dieser Realität nicht damit, dass die CDU/FDP-Regierung Einsicht zeigt und die Studiengebühren wieder abschafft. Vor diesem Hintergrund müsse zumindest alles getan werden, um den Studiengebühren die schlimmsten Stachel zu ziehen. Rivoir stellte dazu einen 5-Punkte-Plan zur sozialeren Ausgestaltung der Studiengebühren vor.

1. Absenkung der Darlehenszinsen
Mit einem zweistufigen Vorgehen will die SPD die Senkung der Zinsen für die Studiengebührendarlehen erreichen:

a) Verhandlungen der Landesregierung mit der L-Bank über eine Senkung des 7,05%-Zinssatzes für die Studiengebührendarlehen auf das Niveau der Zinssätze anderer L-Bank-Darlehen, die politisch gewünschte Zielsetzungen unterstützen (Förderung des Wohneigentums mit ca. 4,5%, Umweltschutz- und Energiesparförderung ab 3,75% etc.)

Falls die Landesregierung diese Lösung ablehne oder auf dem Verhandlungswege dafür keinen Erfolg zu erzielen glaube, käme folgende Alternative zum Zuge:

b) Schrittweise Absenkung des Zinssatzes der Studiengebührendarlehen mit einer Zuschussfinanzierung durch die Hochschulen aus den unerwartet hohen Netto-Studien¬gebühreneinnahmen.

Der nominelle Zinssatz der landeseigenen L-Bank für das Darlehen zur Finanzierung der Studiengebühren liege gegenwärtig bei 7,05 %. Diese Zinshöhe mit einer entsprechend massiven Rückzahlungsverpflichtung und andere erschwerende Bedingungen wie z. B. der Abschlusszwang für die gesamte Studiendauer (und nicht semesterweise) führen nach Ansicht Rivoirs zu einer mit 2,5 Prozent aller Studiengebührenpflichtigen verschwindend geringen Inanspruchnahme der Darlehen. L-Bank und Landesregierung kalkulierten ursprünglich mit einer 40%igen „Darlehensnehmerquote“.

Rivoir: „Bislang haben die Studiengebührendarlehen als wesentliches Ausgestaltungselement einer größeren Sozialverträglichkeit der Studiengebühren versagt.“

Die L-Bank sei durch den Studienfonds, in den die Hochschulen einzahlen, von allen Rückzahlungsrisiken freigestellt. Das Ausfallrisiko als Bestandteil des Zinssatzes falle also aus. Insofern dränge sich die Frage nach der tatsächlichen Berechtigung der Zinshöhe auf, zumal es in anderen Geschäftsfeldern der L-Bank bei politisch gewollten Förderprogrammen deutlich niedrigere Zinssätze gebe.

„Die sozialverträglichere Gestaltung der Studiengebühren ist ein mit Wohnraum- oder Energiesparförderung ebenbürtiges politisches Anliegen und rechtfertigt gleiche Behandlung“, betonte Rivoir. Es sei eine Frage des politischen Willens und entsprechend nachdrücklicher Verhandlungen, um bei der L-Bank niedrigere Zinssätze zu erreichen.

Die Hochschulen hätten aber selbst auch finanzielle Spielräume, um mit einem Zuschuss die Darlehenszinsen abzusenken. Im Sommersemester 2007 hätten die Hochschulen insgesamt 90 Millionen Euro an Studiengebühren eingenommen. Die verschwindend geringe Darlehensnehmerquote von 2,5 Prozent minimiere auch das Risiko von ausbleibenden Rückzahlungen und damit die Abführung der Hochschulen an den Studienfonds, der seinerseits die L-Bank von allen Rückzahlungsrisiken freistelle. Lediglich 1,5 Millionen Euro mussten die Hochschulen aus dem 90 Millionen Euro starken Gesamtaufkommen im Sommersemester 2007 an diesen Fonds überweisen.

Insofern verbleibe als „Netto“ erheblich mehr in den Kassen der Hochschulen, als sie nach der Darlehensnehmer-Modellrechnung mit 40 Prozent erhoffen konnten. „Es ist für die Hochschulen ohne weiteres verkraftbar, aus diesen realen Mehreinnahmen den Zinssatz für die Studiengebührendarlehen zu subventionieren, falls die L-Bank bei ihrem hohen Zinssatz bleibt“, sagte Rivoir. Die Absenkung des Zinssatzes sollte schrittweise erfolgen mit der Möglichkeit einer semesterweisen Korrektur, weil ein niedriger Zinssatz die Darlehensnehmerquote erhöhen werde und damit auch das Rückzahlungsrisiko mit steigenden Abführungen an den Studienfonds.

2. Zielvereinbarungen zwischen Landesregierung und Hochschulen über die Gewinnung zusätzlicher Stipendien
Die SPD-Landtagsfraktion fordert den Abschluss von Vereinbarungen zwischen Landesregierung und Hochschulen mit dem Ziel, innerhalb von fünf Jahren für zehn Prozent der Studierenden Studiengebühren-Stipendien bereitzustellen. Immer wieder habe die Landesregierung die angebliche Sozialverträglichkeit der Studiengebühren auch damit begründet, dass das Stipendienwesen an den Hochschulen ausgebaut werde.

Rivoir: „Der Befund ist desillusionierend: über das bereits vorhandene Stipendienangebot der Stiftungen hinaus sind keine hochschuleigenen Stipendienprogramme entstanden.“

Mit dem Solidarpakt II hätten sich die Hochschulen einverstanden erklärt mit den sogenannten Zielvereinbarungen, die „insbesondere Ziele und Schwerpunkte der Entwicklung der Hochschulen und Berücksichtigung der übergreifenden Interessen des Landes zum Gegenstand haben“. In solchen Zielvereinbarungen sollten die Hochschulen nach den Plänen der SPD verpflichtet werden, innerhalb eines bestimmten Zeitraums Stipendiensysteme für einen festzulegenden Anteil ihrer Studiengebührenzahler zu entwickeln.

3. Erweiterung der Befreiungstatbestände
Die SPD-Landtagsfraktion schlägt weiter vor, die gesetzliche Möglichkeit der Befreiung von den Studiengebühren wegen Pflege- und Erziehungspflichten für Kinder von bisher acht Jahren auf vierzehn Jahre auszuweiten.

Das Studiengebührengesetz sieht in Paragraph 6 vor, dass Studierende mit Pflege- und Erziehungspflichten für Kinder bis zur Vollendung des achten Lebensjahres von der Studiengebührenpflicht befreit werden sollen. Diese Altersbegrenzung ist aus Sicht der SPD nach den ersten Erfahrungen nicht angemessen. Die aus Pflege- und Erziehungspflichten resultierenden Belastungen endeten nicht mit dem achten Lebensjahr und würden in diesem Alter auch nicht geringer.

Rivoir: „Die Acht-Jahre-Altersbegrenzung wurde willkürlich derart restriktiv gewählt, um die daraus entstehenden Studiengebühren-Ausfälle gering zu halten. Die Mindereinnahmen aus einer Erweiterung auf 14 Jahre sind verkraftbar, wiegen jedenfalls geringer als die Belastung studierender Eltern, die sich ohnehin finanziell auf der Kante bewegen.“

Der familienpolitische Aspekt rücke bei der Beurteilung der Studiengebühren ohnehin immer stärker in den Blick. Der Bevölkerung werde bewusst, dass Kinder den Eltern von nun an auch noch zwanzig Jahre nach der Geburt mit Tausenden von Euro auf der Tasche liegen können. „Die Windelphase mit Elterngeld unterstützen, aber gleichzeitig mit den Studiengebühren die Kinder zum Armutsrisiko in späteren Lebensjahren machen – da ist dann schnell Schluss mit geplanter Elternschaft“, so Rivoir.

4. Termingerechte semesterweise Bezahlung der Studiengebühren
Die SPD-Landtagsfraktion verlangt eine termingenaue Abbuchung der Studiengebühren jeweils zu Semesterbeginn, um die unzumutbare Praxis eines Zwangskredits der Studierenden und ihrer Eltern zu Gunsten der Hochschulen zu beenden.

Rivoir machte darauf aufmerksam, dass Studierende, die sich in diesem Jahr für das Wintersemester zum Weiterstudium rückgemeldet haben, bereits Ende Juni 500 Euro Studiengebühren bezahlen mussten. Das Semester, auf das sich die Gebühr bezieht, beginne aber an den meisten Universitäten erst am 15. Oktober. „Es ist nicht in Ordnung, dass die Hochschulen für dreieinhalb Monate Kredit bei ihren Studierenden nehmen, und zwar zinslos“, tadelte Rivoir. Würden die Studierenden bzw. ihre Eltern die Studiengebührensumme in diesen dreieinhalb Monaten zu den gegenwärtig möglichen 4% Zinsen anlegen – ausgehend von den 90 Mio. Euro Studiengebührenaufkommen im Sommersemester 2007 – könnten sie einen Zinsertrag von ca. 1.050.000 Euro erzielen.

Der unzumutbare Zusatzprofit der Hochschulen zu Lasten der Studierenden und der Eltern könne vermieden werden, indem die Rückmeldung bzw. die Neu-Immatrikulation mit einer Abbuchungsermächtigung verbunden wird, mit der die Konten termingerecht zu Semesterbeginn mit den Studiengebühren belastet werden.

5. Einrichtung von Beratungsstellen zur Studiengebührenbefreiung
Zusätzlich forderte Rivoir die Schaffung von Beratungsstellen an allen Hochschulen, die über die Möglichkeiten zur Befreiung von Studiengebühren informieren und bei Anträgen behilflich sind. Die gesetzlichen Tatbestände zur Befreiung von der Studiengebührenpflicht seien nicht eindeutig genug (‚die ein Kind pflegen und erziehen’) oder diffus und hochschulspezifisch geregelt, wenn es um Befreiungskriterien gehe wie ‚weit überdurchschnittliche Begabung’‚ herausragende Leistungen’ etc. (§ 6 Abs. 1 Landeshochschulgebührengesetz). Bei Ausländern könne auf die Gebühren verzichtet werden, wenn ein ‚besonderes Interesse an der Bildungszusammenarbeit mit dem Herkunftsland’ besteht.

Rivoir: „Diese Beispiele zeigen, dass die Befreiung von der Studiengebührenpflicht Information voraussetzt und die Vertrautheit mit den entsprechenden Antragsmodalitäten.“

Die Hochschulen hätten eine Fürsorgepflicht für ihre Studierenden, auch wenn diese hier ihrem Interesse an möglichst hohen Studiengebühreneinnahmen widerspreche. Da es sich um gesetzlich vorgesehene Regelungen handele, stehe die Fürsorgepflicht der Hochschulen vor ihren Inkasso-Interessen.

Rivoir: „Auch wenn die SPD Studiengebühren nach wie vor ablehnt: mit diesen fünf Vorschlägen wollen wir erreichen, dass die Landesregierung ihr Versprechen der sozialen Verträglichkeit der Studiengebühren ernst nimmt und entsprechende Schritte ergreift“.

Martin Mendler
Stellv. Pressesprecher