Ute Vogt: „Im Wahlkampf haben CDU und FDP viele schöne Versprechungen gemacht. Die Koalitionsverhandlungen sind jetzt die Nagelprobe für Glaubwürdigkeit“
Mit dem Kinderland Baden-Württemberg Ernst machen
Die SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Ute Vogt hat an die Verhandlungsführer von CDU und FDP die Erwartung gerichtet, beim Abschluss einer neuen Koalitionsvereinbarung die Fülle der im Wahlkampf gemachten Ankündigungen und Versprechungen vor allem in der Bildungs- und Familienpolitik nun konsequent einzulösen.
„Bei der Herstellung von mehr Bildungsgerechtigkeit und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat die Union Forderungen aufgestellt und Ziele vorgegeben, die in krassem Gegensatz zur eigenen Regierungspolitik der letzten Jahre stehen. Deshalb kommt jetzt die Nagelprobe für Glaubwürdigkeit“, sagte Vogt am Dienstag in Stuttgart vor der Landespresse.
Baden-Württemberg wird nach Vogts Worten bei Bildung und Betreuung nur weitere Fortschritte machen, wenn der rhetorische Kurswechsel, den Ministerpräsident Oettinger gerade auf diesem Gebiet eingeschlagen habe, sich konkret, verbindlich und finanziell abgesichert im Koalitionsvertrag der künftigen Regierung und dann in ihrem politischen Handeln niederschlage. Die SPD sieht die künftige Regierung insbesondere bei der Sprachförderung im Kindergarten, bei der Stärkung der frühkindlichen Bildung und beim flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen in der Pflicht.
Sprachförderung ab dem ersten Kindergartenjahr
Die Beherrschung der deutschen Sprache bezeichnete Vogt als entscheidenden Schlüssel für die soziale und kulturelle Entwicklung unserer Kinder, insbesondere für die erfolgreiche Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Vogt forderte CDU und FDP auf, in ihrem neuen Koalitionsvertrag ein klares Signal für eine Stärkung des Bildungsauftrags des Kindergartens zu setzen. Dies bedeute, mit der Sprachförderung im Kindergarten bereits ab dem ersten Jahr zu beginnen und sie unverzüglich flächendeckend im Land einzuführen. „Die neue Landesregierung muss für die Sprachförderung im Kinder-garten richtige Haushaltsmittel in die Hand nehmen und darf sich nicht auf ein paar zeitlich befristete Projekte der Landesstiftung beschränken“, appellierte Vogt.
Ausbau der Betreuungsangebote für Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren
Wenn die CDU es mit dem Markenzeichen „Kinderland Baden-Württemberg“ wirklich ernst meine, dann müsse die neue Landesregierung sich deutlich mehr als in der letzten Legislaturperiode ins Zeug legen, um die auch im Bundesländervergleich eklatanten Mängel bei der Kleinkindbetreuung zu beseitigen. Vogt schlug vor, den bisher vom Land gezahlten Betriebskostenzuschuss für Krippen von 10 auf 30 Prozent anzuheben und durch ein Sonderprogramm die Zahl der Krippenplätze in den nächsten Jahren um mindestens 3.000 zu steigern. Das Angebot könnte damit um 50 Prozent erhöht werden.
Ute Vogt: „Mit einem spürbar verbesserten Betreuungsangebot für Kleinkinder leisten wir einen Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eröffnen mehr Kindern als bisher die Chance zu einer gezielten frühkindlichen Förderung und Bildung.“
Der von Ministerpräsident Oettinger immer wieder angekündigte und auch im CDU-Wahlprogramm verankerte Plan, ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr einzuführen, müsse von der neuen Landesregierung rasch in die Tat umgesetzt werden. „Seit Jahr und Tag geht Oettinger mit diesem Vorschlag hausieren, jetzt muss er springen und sagen, wie er ihn verwirklichen will“, so Vogt. Sie kündigte für dieses bildungspolitisch sinnvolle Vorhaben die grundsätzliche Unterstützung der SPD an, allerdings unter der klaren Bedingung, dass die Eltern von Beiträgen freigestellt bleiben.
Ganztagsschulen weiter ausbauen und mit pädagogischem Personal ausstatten
Eine zentrale Aufgabe in der Bildungspolitik auch in der kommenden Legislaturperiode sieht die SPD im weiteren Ausbau der Ganztagsschulen in allen Schularten. Nach den Worten Vogts gelte es die Plätze in öffentlichen Ganztagsschulen so auszubauen, dass jeder Schüler ein wohnortnahes Angebot mit ausreichendem pädagogischem Personal wahrnehmen könne. Aus Sicht der SPD ist es erfreulich, dass auch die CDU und insbesondere Kultusminister Rau Ganztagsschulen mittlerweile als Weg ansehen, um zu verbesserten Förder- und Integrationskonzepten zu kommen.
„Wenn man bedenkt, dass viele in der Union Ganztagsschulen vor kurzem noch als Teufelszeug abtaten, das die intakte bürgerliche Familie zerrüttet, dann ist der inzwischen eingetretene Erkenntnisgewinn, den vor allem die gewaltige Resonanz der Kommunen auf das milliardenschwere Investitionsprogramm der Regierung Schröder ausgelöst hat, schon eine positive Entwicklung“, sagte Vogt.
Die SPD sei bereit, gemeinsam mit der neuen Regierung beim weiteren Ausbau der Ganztagsschulen an einem Strang zu ziehen. Allerdings müssten die pädagogischen Konzepte stimmen und den Schulen auch die erforderlichen Lehrerwochenstunden zugewiesen werden. Ehrenamtliche Jugendbegleiter seien als Ergänzung durchaus geeignet, könnten aber die pädagogischen Profis keinesfalls ersetzen. Vogt erneuerte die Forderung der SPD, Ganztagsschulen auch im baden-württembergischen Schulgesetz zu verankern und auf diese Weise das Stadium bloßer Modellversuche zu überwinden.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende warnte Ministerpräsident Oettinger davor, bei den Lehrerstellen Wortbruch zu begehen. „Mit großer Geste wurde angekündigt, alle rechnerisch frei werdenden Stellen in den kommenden Jahren wieder zu besetzen und für die Verbesserung der Unterrichtsversorgung und für den Ausbau der Ganztagsschulen zu verwenden. Bei dieser Zusage muss es bleiben“, unterstrich Vogt.
Hilfen für Schulabgänger und benachteiligte Jugendliche
Einen Schwerpunkt muss die neue Landesregierung aus Sicht der SPD bei der Förderung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen setzen. „Die Misere bei den Lehrstellen darf nicht länger schön geredet werden. Den jungen Leuten, die nach der Schule auf der Straße stehen, hilft auch nicht ein taktisches Mätzchen des Wirtschaftsministers kurz vor der Landtagswahl, sondern nur entschlossenes Handeln mit einem Sonderprogramm, das nicht kleckert, sondern klotzt“, verlangte Vogt. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt sei auch in diesem Jahr dramatisch. Etwa 30.000 Jugendliche suchten derzeit vergeblich einen Ausbildungsplatz. Vogt appellierte an die Wirtschaft, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Aber auch das Land dürfe seine Hände nicht länger in den Schoß legen. „Unser Vorschlag steht: Wir legen aus Mehreinnahmen des Landes aus der Abschaffung der Eigenheimzulage ein auf fünf Jahre befristetes Sonderprogramm zur Förderung zusätzlicher Lehrstellen auf“, sagte Vogt.
Wer jungen Leuten keine Perspektive für ein Leben in sozialer Sicherheit und Wohlstand gebe, erzeuge gesellschaftlichen Sprengstoff, der den Staat teuer zu stehen komme. Vogt erwartet deshalb von der neuen Landesregierung, dass sie ihre Anstrengungen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit verstärkt und frühere, im Zuge von Sparrunden fast auf Null herunter gefahrene Programme wieder aufnimmt.
„Heute dämmert es auch vernünftigen Leuten in der CDU, dass es ein großer Fehler war, die Schulsozialarbeit nicht mehr mit Landesmitteln zu unterstützen“, sagte Vogt. Schulsozialarbeit sei vor allem an Hauptschulen ein unverzichtbarer Baustein für die Gewaltprävention und für die Einübung von Toleranz und gegenseitigem Respekt im Umgang mit Konflikten. Kultusminister Rau hatte jüngst in einem Zeitungsinterview die wichtige Rolle der Jugendsozialarbeit hervorgehoben und sich für einen Wiedereinstieg des Landes in die Bezuschussung der Schulsozialarbeit stark gemacht. „Die SPD begrüßt diese späte Einsicht und hofft, dass auch die künftige Landesregierung sich bei der Unterstützung der Schulsozialarbeit eines Besseren besinnt“, so Vogt.
Die SPD-Fraktionschefin verlangte von der künftigen Landesregierung ferner ein Maßnahmenpaket, mit dem die Arbeits- und Lernbedingungen an den Hauptschulen für alle Beteiligten spürbar verbessert werden können. Auch eine höhere Besoldung der Lehrerinnen und Lehrer an Hauptschulen müsse dabei ohne Vorbehalte auf den Prüfstand.