Im #stochblog schreibt unser Fraktionschef über Dinge, die in derzeit umtreiben – heute geht´s ums die Umfrageergebnisse:

Vieles ist einfacher geworden in diesen Tagen. Zum Beispiel die Antwort auf eine Frage, die mir nicht nur Journalist*Innen immer wieder stellen. Wie finde ich die aktuellen Umfragewerte für die SPD? Ganz einfach: Gut. Sehr gut, sogar.

Natürlich ist mir klar, dass es sich nur um Umfragen handelt. Und wenn ich (was schon vorkommt, zugegeben) manchmal tagträume, wie es wohl wäre, wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre, dann geht das auch wieder vorbei. Und doch macht diese Zustimmung etwas mit mir. Und noch wichtiger: Sie macht etwas mit uns allen, in der Partei, in der Fraktion, im Bund wie im Ortsverein.

Falls das hier jemand liest, der nicht in der SPD ist, sollte ich das erklären: Über zwei Jahrzehnte lang geht es für die SPD in den Bundestagswahlen mehr oder weniger bergab. Fast mein gesamtes politisches Leben in dieser Partei wurde von dieser Talfahrt begleitet. Mal ging es rapider bergab, mal langsamer, doch der Trend schien unumkehrbar zu sein. Für die SPD Politik zu machen, hieß, gegen den Strom zu schwimmen.

In die Sozialdemokratie geht man nicht, weil man Karriere machen will, sondern aus Überzeugung, und tatsächlich aus Idealen heraus. Anders habe ich das nie erlebt in dieser Partei. Und deswegen hat die SPD ihre Ideale auch nie über Bord geworfen. Bei Zielen wie Solidarität und sozialer Gerechtigkeit geht es nicht darum, ob sie gerade hip oder trendig sind. Sie sind wahr und richtig und das bleiben sie, so lange Menschen zusammenleben.

Die SPD hat sich weder eine neue Farbe gesucht noch sich neue Namen gegeben, und neue Grundsätze kamen schon gar nicht infrage. Doch niemand soll behaupten, er habe nicht irgendwann Zweifel bekommen. Sind unsere Ziele wirklich nicht mehr wichtig? Geht es heute wirklich nur noch um Ansprüche statt ums Anpacken? Wollen die Leute nicht mehr die Welt, sondern nur noch ihr eigenes Gewissen verbessern?

Ich will gar nicht wissen, wie oft mir in den vergangenen 20 Jahren die Frage gestellt wurde, ob die Sozialdemokratie nicht ein Auslaufmodell sei, eine politische Dampflokomotive: Bewegte mal die Nation, steht heute im Museum. Und ja, wenn man das wieder und wieder hört und liest, nagt das schon an den Überzeugungen. Immer wieder konnten sich viele in der Partei gar nicht vorstellen, dass gute Politik und wichtige Ziele so schlecht ankommen. Lag das an den falschen Köpfen? Gerne hat man sich demontiert, und die SPD wurde dadurch auch nicht stärker.

Und genau an diesem Punkt sind die aktuellen Umfragen so ungeheuer wichtig, denn sie beweisen selbst als Momentaufnahme eine Reihe wichtiger Erkenntnisse über den Tag hinaus. So ist der Niedergang der SPD kein Naturgesetz, das stete Bergab bei Umfragen und Wahlen ist eben doch nicht unumkehrbar. Warum? Weil klassische Kernthemen der SPD eben niemals museumsreif sein werden. Wir erleben ein Versagen des unregulierten Marktes, beim Wohnen wie beim schnellen Internet, bei der Gesundheitsversorgung und inzwischen sogar bei ganz normalen Waren. Wir sehen, dass der Kampf um gute Arbeit nie zu Ende sein wird, denn während auf dem normalen Arbeitsmarkt fast alle Ziele erreicht schienen, hat sich eine Schattenwirtschaft mit prekären Arbeitsverhältnissen gebildet, auf denen nicht nur Paketboten und Co. wie Lohnsklaven schuften müssen. Wir haben erlebt, dass eine Krise wie die Corona-Pandemie nur gemeinsam und nur solidarisch gelöst werden kann. Und immer mehr Menschen begreifen, dass die Welt sich viel zu schnell wandelt, um sich im konservativen Sessel auszuruhen und immer nur zurückzublicken.

Darum haben die Leute in diesem Land Parteien zu Wahlsiegern gemacht, die für Fortschritt stehen. Du wir haben schließlich erlebt, wie positiv es sich auswirkt, wenn eine Partei nach langen Jahren oft destruktiver Beschäftigung mit sich selbst geschlossen und im Einvernehmen auftritt.

Darum liegt die SPD zurzeit so gut in den Umfragen.

Dahinter steckt ein tiefes Bedürfnis. Viele haben begriffen, dass wir nicht stehen bleiben dürfen. Nicht beim Klimaschutz, nicht bei der Transformation der Wirtschaft, nicht bei all den anderen Zukunftsaufgaben. Sie haben aber auch begriffen, dass es nur eine Partei gibt, die diesen Fortschritt geordnet, gemeinsam und gemeinschaftlich gestalten kann. Die eine Zukunft nicht nur für schwarze (oder grüne) Eliten schafft, sondern für alle.

Dieses Bedürfnis bedeutet eine riesige Aufgabe, gerade für die SPD. Aber genau deswegen ist es so hilfreich, aktuell so viel neuen Zuspruch zu erhalten, zum ersten Mal nach so vielen Jahren eine Trendwende erleben zu dürfen. Viele von uns erleben, dass man nicht mehr belächelt, sondern angestrahlt wird, wenn man für die SPD steht. Dass selbst bei den politischen Gegnern die großen Geister gratulieren und die kleinen Geister grün werden vor Missgunst. Und ja, das ist wichtig, und zwar nicht nur fürs Ego, sondern für unser ganzes Land.

Denn in unserem Land ist nicht weniger, sondern mehr Sozialdemokratie gefragt. Gefragt ist eine SPD, die ihre Überzeugungen nicht mehr anzweifelt, sondern sie selbstbewusst und mutig auf die Fragestellungen von heute und morgen anwendet. Und die sich zum Regieren Partner sucht, mit denen man vielleicht darüber diskutieren wird, in welche Richtung es genau gehen soll. Aber nicht darüber, ob man lieber stehen bleibt.

Es gibt viel zu tun, egal ob im Bund oder hier in Baden-Württemberg. Und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden noch manchen steilen Berg hinauf strampeln müssen in den kommenden Jahren.

Aber tut es nicht gut, wenn man dabei endlich mal Rückenwind spürt?

Euer Fraktionsvorsitzender
Andreas Stoch