Anrede,

ist Europa am 25. März in Feierlaune? Die ersten Eindrücke sprechen dagegen: Großbritannien tritt aus der EU aus. Ungarn unterläuft die Gewaltenteilung. Polen brüskiert beleidigt den Europäischen Rat. Und zu allem Überfluss: Die Norweger, welche sich vom Club der 28 ferngehalten haben, erklimmen im weltweiten Glücks-Ranking die Nummer 1.

Die zweiten Eindrücke verändern aber das Bild: Die westlichen Balkanländer sehen Europa als ihre Hoffnung. Tusk wird mit 27 von 28 Stimmen, also auch Ungarn und Tschechen, erneut gewählt. Rumänen gehen auf die Straße. Trump, Putin & Co schweißen Europa zusammen. Und als starkes Statement: Holland bremst Wilders & Co ab.

Wir reiben uns die Augen: Europa erlebt ein Comeback! 60 Jahre nach den Römischen Verträgen: Der Kontinent der Schlachtfelder, der Kontinent der Nationalismen, der Kontinent der sozialen Gegensätze besinnt sich. Er wird erwachsen.

Der Idealismus von Rom ist nicht der Pragmatismus von Brüssel. Beides könnte  aber statt bisher gegensätzlich künftig symbiotisch sein. Wer ein pragmatisch gelingendes  Europa will, braucht künftig mehr Idealismus!

Und unser Baden-Württemberg? Historisch seit den Staufern und Zähringern europäisch ausgerichtet. Blutig und tragisch am Hartmannsweiler Kopf die Chauvinismen durchlebend. Aufgeklärt mit Europäern wie Carlo Schmid oder Ralf Dahrendorf für Europa eintretend. Die einfache Lehre für unser Land ist: Baden-Württemberg darf nicht mittrotten, Baden-Württemberg muss für Europa voran gehen.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
die heutige Aktuelle Debatte ist wohl gewählt. Die SPD-Landtagsfraktion markiert dabei ihre europapolitische Position in der und für die Landespolitik:

Erstens und gleich sehr direkt: Eine Rückabwicklung von Europa gibt es mit uns nicht, auch nicht unter dem Deckmantel ‚weniger aber effizienter‘. Wer bloß den Binnenmarkt von Waren und Kapital will und die Arbeitnehmer und Verbraucher außen vor lässt, wer keine gemeinsame europäische Außenpolitik will, wer in Europa nicht industriepolitisch Strukturnachteile angehen und Strukturvorteile anstreben will, der liegt falsch.

Deshalb ist klar: Bei Arbeitnehmern gilt der Sozialstandard des Arbeitslandes Und bei Verbrauchern gibt es keine zwei Qualitäts-Standards. Europa bleibt industriell und exportiert seine Produkte und sein Wissen. An die schon wieder kecken Teppichausleger des Turbokapitalismus sagen wir: Schlau ist nicht klug. Baden-Württembergs Interesse ist ‚mehr Europa‘ und ‚soziales Europa‘.

Zweitens und nicht minder bedeutsam: Europa schützt seine Außengrenzen und lässt die Südländer dabei nicht im Regen stehen. Wir haben jahrelang mit ‚Dublin‘ die Augen verschlossen. Regierungen in Zentral- und Osteuropa würden es gerne weiter tun. Aber: nichts ist umsonst.

Wer von den Visegrad-Staaten nicht hilft, dem wird nicht geholfen. Es gibt heute halb so viel Frontex-Beamte wie es griechische Inseln gibt. Das zu ändern, ist gemeinsame europäische Verantwortung. Und übrigens: Die dauernde Demütigung der vorgeblich unfähigen Griechen muss endlich ein Ende haben. Flucht ist ein Geschäft. Wir unterstützen die Maßnahmen gegen Schleuserbanden. Deren ‚Geschäftsmodell‘ muss zerstört werden. Einschließlich der Boote. Aber auch der Hintermänner.

Drittens und damit zusammenhängend: Ohne Entwicklungs-Zusammenarbeit bleiben wir defensiv und reaktiv. Der angekündigte europäische Marshall-Plan für Afrika ist überfällig. Nördlich und südlich der Sahara. Für Baden-Württemberg ist die Burundi-Hilfe zu kurz gesprungen. Wir erwarten eine Außenwirtschafts-Strategie unseres Landes, welche mehr als Export-Förderung ist und bunte Bilder produziert. Das, was wir mit Amerika und Asien schon stolz verkünden, nämlich, dass Auslandsinvestitionen Inlandswachstum und Beschäftigung nützen, muss auch für Afrika gelten. Erinnern wir uns an die Worte von Willy Brandt: „Europa wird seiner Verantwortung nur gerecht, wenn es den Partnern in der Dritten Welt Zukunftsträchtiges zu bieten hat!“

Viertens: Innereuropäische Bürokratie. Die Begriffe ‚Europa‘ und ‚Bürokratie‘ sind ja kaum mehr zu trennen. Aber Sache ist ja wohl: Wollen wir einen europäischen Gurkenkrümmungs-Standard oder 28 davon? Wir müssen aus der Anekdote endlich in die soziale und ökonomische Wirklichkeit! Die Kommission hat meines Erachtens übrigens auch gelernt: Es gibt mehr Kommunikation und mehr Kompromiss. Wir spüren das doch bei unseren Besuchen in Straßburg und Brüssel.

Eine Bemerkung zur Kommunikation: Dass Englisch als knapp und final daher kommende Lingua Franca der EU und des internationalen Geschäftslebens nicht nur für Verständigung, sondern auch für Distanz  und Dominanz sorgt, ist im New Economy-Hype und der Lehman-Depression sowohl verstärkt als auch irgendwie untergegangen. Gerade nach dem Brexit gilt: Französisch, Deutsch und die anderen europäischen Sprachen, sind keine Folklore, sondern wichtige Sprachen der zivilen und demokratischen Gesellschaften Europas.

Fünftens: Das Mantra der‘ Subsidiarität‘. Kein wirklicher Begriff übrigens der Römischen Verträge. Eher ein Begriff der eher defensiv zusammengesetzten Gemeinsamkeiten des ‚Ja, aber ‚. Für die SPD gilt, dass die originären Aufgaben der baden-württembergischen Landesverfassung nicht zur Disposition stehen. Weder zum Bund – der künftig mehr Geld für die steigenden Landesaufgaben bereitstellen muss noch zu Europa. Wir erleben aber die letzten Jahre etwas ganz anderes: Nämlich die ständigen ‚Ja aber-Sager‘, welche den Mitbürgern soufflierten, eigentlich wollen wir gar nicht. Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Der vernetzte Energiemarkt ist nun mal die Zukunft. Der für alle existenzsichernde Arbeitsmarkt erst recht. Subsidiarität und Solidarität sind ein fest zusammen geschweißtes Begriffspaar.

Der Bürgermeisterin von Lampedusa nützt Subsidiarität im Angesicht der Gestrandeten wenig. Dem Bürgermeister von Sheffield hätte mehr Solidarität vor dem Brexit-Votum  wirklich geholfen. Ich kann an die Adresse der grün-schwarze Landesregierung nur sagen: Das halbherzige Europa ist keine Antwort!

Sechstens und letztens: Die verbindende Idee Europas ist die Freiheit. Der Kitt Europas ist die soziale Gerechtigkeit. Das eine geht nicht ohne das andere. Wir haben nicht den Eindruck, dass dieses Begriffspaar die innere Motivation von grün-schwarz für Europa trifft. Deshalb werden wir in der kommenden Zeit die Auseinandersetzung intensivieren.

Grün-Schwarz buchstabiert sich konservativ in Europa. Natürlich ist Grün mit Gesellschaften und Menschen mitfühlend. Natürlich ist Schwarz mit Staaten transnational. Aber das Komplementäre passt nicht nur nicht zusammen, sondern der ‚Sound‘ ist auch nicht wirklich europäisch stimmig.

Das ist aber  auch nicht ausschlaggebend: Von Pulse of Europe bis Erasmus, vom portugiesischen Mitbürger am Stammtisch im ‚Adler‘ bis zur lettischen Volleyballerin im Sportverein wird Europa Normalität. Unsere Aufgabe, dass es keine wütende, sondern eine unaufgeregte, aber auch keine gelangweilte, sondern eine begeisternde Normalität wird!

Werte Kolleginnen und Kollegen,
aus dem Gesagten heraus: Beherzigen Sie unsere Analysen und Ratschläge. Europa ist mehr als eine Legislaturperiode. Legen Sie im Haushalt 2018/19 eine Schippe drauf. Das muss ein ‚Europa-Haushalt‘ werden. Reorganisieren Sie Europa mit mehr Stellenwert in der Regierung. Führen Sie im Konzert Landtag/Regierung endlich eine Europa-Debatte, die unserem Land zur Ehre gereicht.

+++Es gilt das gesprochene Wort+++

Ansprechpartner