Redemanuskript Andreas Stoch
Regierungsinformation: Zwischenstand zum „Strategiedialog Automobilwirtschaft“ und zu den Aktivitäten der Landesregierung zum Thema Transformation der Mobilität

am 21. März 2018

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin,

sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

seit mehr als 130 Jahren ist die Herstellung und Entwicklung des Automobils prägend für die Wirtschaft unseres Bundeslandes. Baden-Württemberg ist das Automobilland, ja die Geburtsstätte des Automobils.

Hier hat Carl Benz seinen Zweitaktmotor erfunden, Robert Bosch die Zündkerze entwickelt und sich Gottlieb Daimler das erste Motorrad mit Benzinmotor patentieren lassen. Sie alle legten gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Grundlage für eine Revolution der Mobilität „Made in Baden-Württemberg“. Ihre Erfindungen sicherten und sichern nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung unseres Bundeslandes, sie sind bis heute auch Identifikationssymbole für die Menschen in unserem Land.

Die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs sind stolz auf diese Industrie. Es ist daher nicht zu viel verlangt, wenn auch die Grünen auf die Leistung von hunderttausenden von Menschen stolz sein könnten.

Unterschätzen Sie das nicht: Das Automobil ist für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger immer noch das Symbol für Mobilität, Individualität und Freiheit.

Die großen Automobilhersteller und die vielen kleinen und mittelständischen Automobilzulieferer im Land sind das Rückgrat für den Wohlstand unseres Bundeslandes. Mit mehr als 235.000 Beschäftigten im Jahr 2016 ist die Automobilindustrie einer der größten Arbeitgeber im Südwesten.

Diese enorme volkswirtschaftliche Bedeutung der Automobilwirtschaft für unser Land birgt aber auch erhebliche Risiken. Und auf diese Risiken, die vielen Fragen der Menschen, vor allem der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, brauchen wir ganz konkrete Antworten. Und dann reicht es eben nicht, darüber zu philosophieren, wie man sich die Mobilität in 20 oder 30 Jahren vorstellt, Herr Ministerpräsident. Dann muss konkret definiert werden, wie dieser Transformationsprozess gestaltet werden muss, ohne dass zehntausende Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren.

Strategiedialog

Sie haben im Mai vergangenen Jahres den „Strategiedialog Automobilwirtschaft BW“ ins Leben gerufen. Eine grundsätzlich richtige Entscheidung, mit den von diesem Wandel unmittelbar betroffenen Lösungen für die anstehenden Probleme zu suchen.

Ich habe allerdings bereits im letzten Jahr darauf hingewiesen, dass dieser Strategiedialog nicht zur Alibiveranstaltung der Landesregierung missraten darf, dass hier wirklich ergebnisoffen nach Antworten gesucht wird. Die Alternative wäre ein Dialog, der nur die Theaterkulisse darstellt für ein Drehbuch, dessen Inhalt der grüne Verkehrsminister bereits festgelegt hat, nämlich die möglichst schnelle Verbannung des Verbrennungsmotors von unseren Straßen, koste es was es wolle!

Wenn wir uns Ihren Strategiedialog betrachten, dann sehen wir viele Arbeitsgruppen, viele Akteure und viele Pilotprojekte. Und einige davon haben Sie uns heute ja, zumindest in groben Umrissen, vorgestellt. Aber dies stellt noch lange keine Strategie dar, den Transformationsprozess erfolgreich umzusetzen.

Stattdessen warten die Menschen in Baden-Württemberg vergebens darauf, dass Ihre Landesregierung Ihnen den Weg in das neue Mobilitätszeitalter aufzeigt. Was machen die Arbeitnehmer, die heute bei Daimler oder Bosch für die Herstellung von Diesel-Fahrzeugen verantwortlich sind? Diese Menschen haben Sorge um ihren Arbeitsplatz und sie treibt die Frage um, wie sie in fünf oder sechs Jahren ihre Familien ernähren können.

Herr Ministerpräsident, wenn man die Sorgen und Nöte dieser Menschen ernst nimmt, ist dies kein „Blick in den Rückspiegel“ [Zitat aus seiner Regierungsinformation]. Lassen Sie sich das gesagt sein.

Eine erfolgreiche Transformation der Automobilindustrie kann nicht ohne diejenigen erfolgen, die die Transformation umsetzen werden. Das sind eben nicht nur die Konzernchefs und Vorstandvorsitzenden, sondern vor allem die Beschäftigten in der Automobilwirtschaft.

Dass Ihnen die Rolle der Beschäftigten, der Betriebsräte und Gewerkschaften, bei diesem Transformationsprozess nicht bewusst ist, haben Sie ja bereits zu Beginn des Strategiedialogs bewiesen. Erst auf Druck von außen wurden zu dem Strategiegipfel auch die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Daimler und Bosch hinzugezogen.

Keine Frage: Wir befinden uns in einem tiefgreifenden Transformationsprozess. Das zu benennen ist richtig. Bei einer so gewaltigen Veränderung ist es aber sträflich, Unsicherheit bei den Verbrauchern und den Beschäftigten zu erzeugen. Aber was machen Sie?

Die Grünen fordern bis 2030 das Ende des Verbrennungsmotors. Herr Hofreiter ist der Auffassung, dass ein solches Datum „nicht nur klima- und gesundheitspolitisch sinnvoll, sondern auch industriepolitisch enorm wichtig sei“ (Tagesspiegel, 4. Juli 2017). Der Herr Ministerpräsident hält das jedoch für einen „Schwachsinnstermin“ (Bundesparteitag Juni 2017) und glaubt weiterhin an den sauberen Diesel (Südwestpresse, 5. Mai 2017), während sein grüner Verkehrsminister sich gar nicht zurückhalten kann, im vorauseilendem Gehorsam Fahrverbote für Dieselfahrzeuge umzusetzen.

Wie muss sich diese grüne Kakophonie für Menschen anfühlen, die erst vor wenigen Jahren einen Diesel erworben haben und im guten Glauben davon ausgegangen sind, dass sie mit ihrer Kaufentscheidung das Richtige tun?

Der Vorschlag der Landesregierung lautet: Man solle seinen Diesel doch eben nach Ostdeutschland oder gar nach Nordbaden oder Südwürttemberg verkaufen. Das ist nicht nur dreist und zynisch, es zerstört auch das letzte bisschen Vertrauen.

Diese Landesregierung ignoriert die Lebenswirklichkeit vieler Bürgerinnen und Bürger in diesem Bundesland. Die meisten Menschen haben eben nicht so viel Geld auf der hohen Kante, um sich ein neues Auto kaufen zu können. Das ist ein Fakt, auch wenn er nicht zur Lebenswirklichkeit der Grünen passt.

Nachrüstung

Wir als SPD-Fraktion sind der Auffassung, dass die Betroffenen unterstützt und ihre Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen. Es ist nun seit mehreren Monaten erwiesen, dass eine Nachrüstung der Euro-5-Dieselfahrzeuge technisch möglich ist. Vor der Verhängung von Fahrverboten müssen daher Software- und Hardwarenachrüstungen stehen. So können Fahrverbote möglicherweise verhindert werden.

Es könnte zudem eine Lösung sein, für alte Diesel eine Abwrackprämie einzuführen, um damit den Besitzern den Kauf eines neuen Fahrzeugs zu ermöglichen. Ob Abwrackprämie oder Nachrüstung, auf jeden Fall muss die Automobilindustrie bezüglich der entstehenden Kosten in die Pflicht genommen werden.

In Anbetracht der Gewinnmeldungen der großen Autohersteller und der Steigerung der Vorstandsbezüge etwa bei Volkswagen um 50 Millionen Euro sollte dies geschultert werden können.

Durch ihr unreflektiertes Reden und Handeln sorgt diese Landesregierung aber nicht nur für Unmut bei den betroffenen Dieselfahrern, sie gefährdet auch den notwendigen Verkauf von sauberen und modernen Dieselfahrzeugen. Um die Transformation der Automobilindustrie hin zum Elektroauto gestalten zu können, ist die Industrie aber auf den weiteren Absatz von Dieselfahrzeugen angewiesen. Nur so können die notwendigen Investitionen in die Elektromobilität und andere Antriebskonzepte überhaupt finanziert werden.

Auch sollte diese Landesregierung dem Umstand etwas Beachtung schenken, dass die Umsätze der Automobilindustrie vor allem im Auslandsgeschäft erzielt werden. Dies ist deshalb nicht zu unterschätzen, da – wie die Landesregierung uns in der Beantwortung unseres Antrags (16/2181) mitgeteilt hat – im Jahr 2030 weltweit noch etwa 80 % der Fahrzeuge einen Verbrennungsmotor nutzen werden.

Als Landesregierung mit international agierenden Unternehmen müssen sie bisweilen auch mal das große Ganze in den Blick nehmen.

Fortsetzung des Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes

Wenn Sie, wie eben angekündigt, Baden-Württemberg zum Mobilitätsland machen wollen, dann frage ich mich schon, warum sie nicht endlich ein vernünftiges Konzept für Busse und Bahnen und somit eine Alternative zum Auto aufbauen.

Wir fordern seit zwei Jahren, Kapazitäten im öffentlichen Personennahverkehr auszubauen. Aber: Trotz eines grünen Ministerpräsidenten, eines grünen Verkehrsministers, eines grünen Oberbürgermeisters und eines grünen Regierungspräsidenten erkenne ich nicht, wo es etwa in der Region Stuttgart in einem größeren Umfang eine Verlagerung vom Individualverkehr auf den öffentlichen Personennahverkehr gegeben hätte.

Wo ist die Offensive der Landesregierung zum Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs?

Was ist mit der Fortsetzung des Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes nach 2019?

Ich möchte in diesem Zusammenhang aus der Einladung des VDV-Vorsitzenden Wolfgang Arnold zum Parlamentarischen Abend des VDV zitieren:

„Aus den jüngsten Koalitionsverhandlungen im Bund gibt es weitere sehr positive Signale. Auf Landesebene stehen wichtige Entscheidungen noch aus. Insbesondere die Zukunft des für die ÖPNV-Finanzierung sehr wichtigen LGVFG ist derzeit noch unklar. Die Entscheidung über eine Fortführung und künftige Finanzausstattung des LGVFG ist überfällig, da die aktuelle Regelung Ende 2019 ausläuft.“

Das ist ein Schlag ins Gesicht dieser Landesregierung. Unsere Forderung bleibt daher bestehen: Das ÖPNV-Angebot in Baden-Württemberg muss flächendeckend verbessert und weiter ausgebaut werden.

Technologieoffenheit

Der Blick der Landesregierung richtet sich stark verengt nur in die ferne Zukunft, auf Ride-Sharing oder flächendeckende Elektroladesäulen. Das ist alles richtig, bietet aber ebenso wie die von den Grünen herbeigesehnten Fahrverbote überhaupt keine Lösung für die Gegenwart und die jetzt betroffenen Menschen.

Die Lösung, Herr Ministerpräsident, liegt nicht in eine entweder – oder, sondern in einem „und“! Wir dürfen nicht so tun, als sei die eine Mobilität die gute und die andere die schlechte. Wir brauchen einen Mix an Mobilitätskonzepten, eine Vernetzung der Verkehrsträger und Technologieoffenheit bei den Antriebskonzepten!

Viele Millionen Menschen besitzen und fahren Benzin- und Dieselfahrzeuge. Diese Menschen können aber nicht von heute auf morgen auf Elektrofahrzeuge umsteigen, selbst wenn sie alle genug Geld dafür hätten.

Die derzeit markttauglichen E-Autos mit Lithium-Ionen-Batterie sind gut geeignet für Kurzstrecken oder den Stadtverkehr. Sie sind nicht oder kaum geeignet für Langstrecken, für den Urlaub in Italien, den Verwandtenbesuch in Norddeutschland.

Derzeit ist die Lithium-Ionen-Batterie der einzige marktreife und markteingeführte Energiespeicher für E-Mobilität. Dementsprechend werden weltweit große Fabriken mit entsprechenden Herstellungskapazitäten gebaut. Lithium-Ionen-Batterien sind jedoch sehr teuer und zugleich ein ökologischer Irrsinn.

Zu ihrer Erzeugung wird nicht nur Lithium (teuer, knapp, sozial problematische Gewinnung) benötigt, sondern auch sehr viel Energie, die heute vornehmlich aus fossil erzeugtem Strom stammt.

Wir müssen für eine erfolgreiche Transformation daher den Blick weiten und darauf achten, dass wir nicht in neue Sackgassen geraten. Die Mobilität der Zukunft muss emissionsarm und klimaneutral sein. Aber das werden wir nur mit einer Vielfalt an Technik erreichen.

Den Dieselmotor in einer Art von Hysterie komplett zu verdammen, ist schlicht falsch, solange wir stattdessen nur Benziner mit höherem CO2-Ausstoß fahren würden. Zudem sind die Emissionen der neuesten Dieselgeneration besser als die von Benzinfahrzeugen. Genau diesen Aspekt lassen Sie außer Acht.

Auch können synthetische Kraftstoffe, die mit Strom aus Wind- und Solarenergie erzeugt werden, klassische Verbrennungsmotoren antreiben, also die Motoren, die wir in Deutschland am besten bauen können. Die Konzentration auf Batterie-betriebene Fahrzeuge gefährdet zudem den technologischen Vorsprung, den die baden-württembergischen Autobauer bei Benzin- und Dieselmotoren haben. Zumal auch bei der Elektromobilität noch nicht klar ist, ob sie Batterie betrieben oder mit der Brennstoffzelle operieren wird.

Gerade deshalb muss die Forschung, Entwicklung und über Pilotprojekte auch die Markteinführung anderer alternativer Antriebe gefördert werden und natürlich genauso die Energiespeichertechnologie insgesamt. Genau dafür will die neue Bundesregierung verstärkt Fördermittel bereitstellen. Auch das sei an dieser Stelle einmal erwähnt.

Für Fortschritte in Richtung Elektromobilität und alternative Antriebe muss der Staat durch Anreize, Förderung und Ordnungspolitik sorgen. Das Primat der Politik ist in dieser Transformationsphase erforderlicher denn je.

Ich fasse daher zusammen: Wenn wir die Mobilitätswende schaffen und Klima- und Luftreinhalteziele erreichen wollen, dann brauchen wir kurz- und mittelfristig:

Die technische Nachrüstung von mehreren Millionen Dieselfahrzeugen.

Benzinfahrzeuge mit geringeren Feinstaubausstößen. Das wird im Moment nur gern ignoriert, weil es jetzt gerade die Stickoxidwerte sind, die die Grenzwerte reißen.

Elektrofahrzeuge überall dort, wo sie auch gut einsetzbar sind.

Instrumente, mit denen wir die Autohersteller dazu bringen, nicht weiterhin Autos mit immer mehr Gewicht und PS zu produzieren.

All das wird in Ihrer Regierungsinformation nicht einmal erwähnt. Das ist zu wenig – für unser Land, dessen Menschen und ihre Zukunft.

Herzlichen Dank

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Leipnitz Fraktion
Thomas Leipnitz
Berater für Verkehrspolitik