Redemanuskript Andreas Stoch
Antrag „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“

am 7. März 2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

zu Beginn meiner Rede möchte ich die Frage aufwerfen:

Wie muss es sich anfühlen, wenn Sie von ihrem Land, das Sie lieben, dessen Kultur Sie schätzen, in dem Sie sich zu Hause fühlen, nicht akzeptiert werden, nicht angenommen werden, ja ausgestoßen werden? Wie muss es sich anfühlen, wenn Sie wissen, dass Ihre Eltern und Großeltern aus diesem Land, das Ihre Heimat ist, vertrieben wurden, ja sogar ermordet wurden?

Mit jedem antisemitischen Übergriff werden unsere jüdischen Mitbürger nicht nur ein weiteres Mal gedemütigt, sondern auch ein Stück weit ihrer Heimat beraubt. Denn genau das ist der Kern des Antisemitismus: die Ausgrenzung, die Stigmatisierung anders zu sein, die Einstufung als nicht dazugehörig.

So stellt auch die subtilste Form des alltäglichen Antisemitismus gerade die Gegenüberstellung von Deutschen und Juden dar. Es ist Ausdruck einer sich über die Jahrhunderte in den Köpfen manifestierten Trennung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mitbürgern.

Grundlage für jede Form des Antisemitismus ist daher zunächst der Umstand, dass Juden nicht als Deutsche wahrgenommen und akzeptiert werden. Vielmehr wird ihnen häufig etwas Fremdes, ja etwas Exotisches angeheftet.

So hat auch die Frau Landtagspräsidentin letzte Woche richtigerweise daran erinnert: „Wenn wir der Opfer des Nationalsozialismus gedenken, müssen wir uns bewusst machen: Es begann mit einem ‚Wir gegen die‘.“ Deshalb ist es von zentraler Bedeutung die starken jüdischen Wurzeln unseres Gemeinwesens herauszustellen und somit das „Wir“ in den Fokus zu rücken.

Wir Sozialdemokraten haben uns immer zu unseren jüdischen Wurzeln bekannt. Wir sind stolz auf unsere jüdischen Genossen: auf unseren Gründer Ferdinand Lassalle, unseren Parteivorsitzenden Paul Singer, auf Karl Kautsky und Eduard Bernstein, auf Egon Bahr und viele andere.

Eins steht daher für uns Sozialdemokraten seit dem Tag unserer Gründung bis heute fest: Mit den jüdischen Gemeinden verbindet die Sozialdemokratie der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus.

Wir sind dankbar, dass es trotz der Schoah, dem Massenmord an 6 Millionen Juden, wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt. Umso widerwärtiger ist es, dass jüdische Mitbürger die Erfahrung der Ausgrenzung, der Willkür und des Hasses wieder machen müssen. Die alltäglichen Provokationen, Pöbeleien und Drohungen, die unsere jüdischen Mitbürger ertragen müssen, sind eine Schande für unser Land.

Wir dürfen es nicht weiter zulassen, dass es normal ist, dass jüdische Schulen oder Synagogen bewacht, Chanukka-Feiern abgesagt werden müssen oder dass jüdische Mitbürger sich nicht trauen eine Kippa zu tragen. Es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass in Klassenzimmern, auf Sportplätzen das Wort „Jude“ wieder ein Schimpfwort ist.

Um Einblick in die alltäglichen Formen des Antisemitismus zu geben, möchte ich Ihnen eine Meldung der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) vom 08. April 2017 vorlesen:

„Im Baden-Württembergischen Herrenberg ist eine Frau beim Umsteigen auf dem Bahnsteig antisemitisch beschimpft, bedroht und bespuckt worden. Sie trug eine Kette mit Davidstern, als sie an einem Samstagmorgen mit der Ammertalbahn nach Herrenberg fuhr. Im Zug bemerkte sie einen Mann, der sie verächtlich musterte. Die Frau bekam ein mulmiges Gefühl und blieb während der kurzen Fahrt an der Wagontür stehen. In Herrenberg verließ sie den Zug und ging zügig zu den Treppen zur Bahnhofsunterführung. Der Mann stieg ebenfalls aus, folgte ihr und beleidigte sie [unvermittelt als „Judenhure“]. Er wünschte ihr den „Tod in der Gaskammer“ und bespuckte sie. Die Frau schaute sich auf dem Bahnsteig um und als sie niemanden außer dem Mann sah, lief sie schnell die Treppe hinunter und brachte sich in einem abfahrtbereiten Bus in Sicherheit. Der Mann blieb auf dem Bahnsteig stehen.“

Im Jahr 2017 gab es in Baden-Württemberg 98 solcher antisemitischen Straftaten, 91 aus dem rechts-motivierten Bereich (Innenministerium BaWü 2018). In ganz Deutschland sind zwischen 2001 und 2015 pro Jahr durchschnittlich 1.522 antisemitische Straftaten verübt worden (Antisemitismus in Deutschland, Bundesministerium des Inneren, 2017). Das sind vier antisemitische Straftaten in Deutschland pro Tag.

Wie sich diese Angst vor diesen willkürlichen antisemitischen Übergriffen für die Betroffenen anfühlen muss, wird von einem Rabbiner sehr treffend beschrieben:  Er vergleicht den Antisemitismus als „schlafenden Hund, den man nicht wecken soll, der aber immer da ist und keiner Logik folgt, wenn er beißt“ (zitiert nach Antisemitismus in Deutschland, Bundesministerium des Inneren, 2017).

Ja, Antisemitismus gab es schon immer in unserem Land. Viel schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass es über die Jahrhunderte keine öffentliche Solidarisierung mit unseren jüdischen Mitbürgern gab. Vielmehr wurden unsere jüdischen Mitbürger mit ihrem Schicksal allein gelassen. Damit muss Schluss sein.

Ich möchte hier an die Worte des ehemaligen Bundeskanzlers, Gerhard Schröder erinnern, der nach dem Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge im Jahr 2000 forderte: „Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen, wegschauen ist nicht mehr erlaubt.“ Dieser Aufruf hat leider nichts an seiner Aktualität eingebüßt.

Wie können wir uns also mit unseren jüdischen Mitbürgern solidarisch zeigen?

Ein „Wir“ und ein „Die“ darf es nicht geben. Es muss uns allen klar sein, dass ein Angriff auf unsere jüdischen Mitbürger einen Angriff auf uns alle darstellt. Das bedeutet auch, die Erlebnisse und Sorgen unserer jüdischen Mitbürger ernst zu nehmen, anzuhören und zu reagieren.

Es müssen die Sicherheit unserer jüdischen Mitbürger gewährleistet, polizeiliche Aufklärung verstärkt und antisemitische Straftaten umfassend erfasst werden.

Das jüdische Leben in Deutschland muss geschützt und die Antisemitismusprävention und -bekämpfung verbessert werden.

Wir müssen daher auch die Beratung und Begleitung der von Antisemitismus betroffenen Menschen ausbauen.

Gerade deshalb ist es wichtig, dass der Antrag zur Bekämpfung des Antisemitismus bzw. die darin enthaltenen Maßnahmen heute beschlossen werden. Wir fordern die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten, der die ressortübergreifenden Maßnahmen der Landesregierung koordinieren soll. Zur Verbesserung der Aufklärungsarbeit ist es zudem sinnvoll, dass auch die Wirkungsweise und der Wirkungsgrad von Aufklärungskampagnen evaluiert werden. Nur so können die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, um Antisemitismus in den Köpfen vor allem junger Menschen zu bekämpfen.

Ja, es ist richtig, Antisemitismus ist nicht mehr bloß ein Phänomen des Rechtsextremismus. Viele jüdische Mitbürger haben Angst davor, dass der Antisemitismus in Deutschland durch die Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und dem Nahen und Mittleren Osten zunehmen wird. Es kann nicht sein, dass, wie im Jahr 2014, auf einer Anti-Israel-Demo im Ruhrgebiet Parolen wie „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ skandiert werden oder wie in Berlin israelische Flaggen verbrannt werden.

Solche Ereignisse müssen uns wachrütteln. Wir sprechen uns dafür aus, Moscheegemeinden und muslimische Träger für die Arbeit gegen Antisemitismus zu gewinnen und Projekte, die den Dialog mit den jüdischen Partnern zum Ziel haben, zu fördern.

Diese für Deutschland neue Form des Antisemitismus bedeutet jedoch nicht – und dies sage ich in aller Deutlichkeit –, dass wir den Kampf gegen den rechtsmotivierten Antisemitismus vernachlässigen werden. Und das sage ich vor allem in Richtung der AfD.

Dass antisemitische Ressentiments, die seit Jahrhunderten nicht nur in unserem Land, sondern in ganz Europa vorzufinden sind, wieder hoffähig wurden, haben wir auch Ihrer Partei zu verdanken.

Wenn Herr Fiechtner bezüglich des Umstands, dass Herr Gedeon wieder mit der AfD-Fraktion zusammenarbeiten darf, von einem „Ausweis völliger Verwahrlosung der AfD-Fraktion“ (TAZ 2017) spricht, dann zeigt das doch, wie weit es mit dieser Fraktion gekommen ist.

Wenn Herr Höcke von einem „Denkmal der Schande“ spricht, Herr Gauland Menschen „in Anatolien entsorgen“ will (konkret: die Staatsministerin für Integration im Kanzleramt, Aydan Özoguz) oder Herr Gedeon eine Ende der Stolperstein-Aktionen fordert, weil für ihn das Erinnern an die Verfolgten, Entrechteten und Ermordeten eine „Erinnerungsdiktatur“ darstellt und in seinen Schriften gegen Juden hetzt, dann sind das genau die Tabubrüche, die Rechtfertigung und Grundlage für die Vielzahl an Attacken auf unsere jüdischen Mitbürger sind.

Wir dürfen in Anbetracht solcher Tabubrüche jedoch nicht sprachlos werden, sondern jede Form des Antisemitismus entschlossen und mir aller Härte bekämpfen.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich daher den irisch-britischen Staatsphilosophen Edmund Burke zitieren und mit seinen Worten an uns alle appellieren: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.“

Als Sozialdemokrat gebe ich unseren jüdischen Mitbürgern das Versprechen: Sie stehen nicht alleine. Nie wieder. Nicht in diesem Land.

Es gilt das gesprochene Wort.

Quellen:

Gedeon: Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten

„Als sich im 20. Jahrhundert das politische Machtzentrum von Europa in die USA verlagerte, wurde der Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form sogar zu einem entscheidenden Wirk- und Machtfaktor westlicher Politik. (…) Der vormals innere geistige Feind des Abendlandes stellt jetzt im Westen einen dominierenden Machtfaktor dar, und der vormals äußere Feind des Abendlandes, der Islam, hat via Massenzuwanderung die trennenden Grenzen überrannt, ist weit in die westlichen Gesellschaften eingedrungen und gestaltet diese in vielfacher Weise um“ (Buchauszug zitiert nach FAZ 2016).

Gedeon zu Stolperstein-Aktionen:

„Wer gibt diesen oft sehr penetranten Moralisten das Recht dazu? Es geht nicht nur um eine Inflationierung von Gedenken, sondern auch darum, dass hier aus Erinnerungs-Kultur immer mehr Erinnerungs-Diktatur wird“ (zitiert nach Südkurier 18.02.18)

Ansprechpartner

Geßmann Fraktion
Simone Geßmann
Beraterin für Recht, Verfassung, Medienpolitik