Wir alle zusammen sehen seit der EU-Osterweiterung und insbesondere seit der EU-Südosterweiterung zu, wie jährlich hunderte von neuen 18-, 19- oder 20-jährigen Mädchen jetzt hauptsächlich aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland in die Prostitution verbracht werden.

Die Methoden dieser mafiösen Strukturen sind uns hinlänglich aus nicht wenigen Tatort-Folgen bekannt.

Aber auch das Lagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes berichtet von der häufigen Anwendung von psychischer und physischer Gewalt, falschen Versprechungen über die Arbeit, die zu verrichten ist, der „Loverboy-Methode“ oder einfach nur dem Willen der jungen Frauen, aus Verschuldung oder Armut zu fliehen. Letzteres geht sogar so weit, dass junge Frauen die Schulden ihrer Familie in der Prostitution „abarbeiten“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist genug geredet. Jetzt ist die Chance, etwas zu ändern. Und ich will viel ändern und nicht wenig!

Deshalb auch mein gesonderter Antrag.

Das Prostituiertenschutzgesetz wurde im Oktober letzten Jahres im Bund beschlossen und ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten. Der Referentenentwurf, an welchem dann nicht mehr so viel verändert wurde, wurde bereits am 29. Juli 2015 veröffentlicht. Und die Diskussionsphase vor der Veröffentlichung des Referentenentwurfs im Bund war bei diesem Gesetz außerordentlich lang.

Insofern hätte die Landesregierung ausreichend Zeit gehabt, uns einen Ausführungsgesetzentwurf vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vorzulegen. Andere Länder wie etwa Nordrhein-Westfalen waren da deutlich besser.

Außerdem legt uns die Landesregierung hier einen Gesetzentwurf vor, in dem die meisten Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden. – Allerdings ohne sich mit den Kommunen über den Ausgleich über die dort entstehenden Kosten auch nur annähernd zu einigen.

„Das Land versteht sich als fairer und verlässlicher Partner der Kommunen.“ So steht es im grün-schwarzen Koalitionsvertrag.

Fragen Sie bitte mal die Kommunen, ob sie sich in dieser Angelegenheit „fair und verlässlich“ behandelt sehen. Die Fraktionen haben ja noch einmal in dieser Woche eine massive Beschwerde des Landkreistages erhalten.

Herr Minister Lucha, gut regieren geht anders!

Nach Ihrem Vorschlag sollen wir die unteren Verwaltungsbehörden in den Stadt- und Landkreisen als „zuständige Behörden“ bestimmen. Das gilt insbesondere für die Anmeldung sowie die Beratung und Information der Prostituierten, aber auch für die Erlaubniserteilungen an Betreiber von Prostitutionsgewerben.

Das halten wir für richtig. Denn bei diesen Aufgaben geht es nicht ohne lokale Ansprechpartner und lokale Kenntnisse.

Außerdem sollen auch nach unserer Ansicht von den Prostituierten keine Gebühren erhoben werden. Weder für die Anmeldung, noch für das Informations- und Beratungsgespräch, noch für die gesundheitliche Beratung.

Aber: Wenn das Land den Kommunen neue Aufgaben zuordnet, muss es die entstehenden Kosten auch ausreichend ausgleichen. Das stellen Sie ja auch noch einmal in dem Vorblatt fest.

Die Kommunen fühlen sich jedoch mit Ihrer Kostenfolgeabschätzung völlig über den Tisch gezogen.

Jetzt sagen Sie vielleicht: „Wir machen doch nach § 4 Absatz 3 und 4 des Ausführungsgesetzes einen nachträglichen Ausgleich entsprechend der aufgrund des Gesetzes angefallenen Kosten.“

Aber – sehr geehrter Herr Minister Lucha – dann darf man jetzt nicht etwa in Frage stellen, dass Dolmetscher überhaupt für die Informations- und Beratungsgespräche notwendig sind und sich damit auch die Dauer Gespräche verlängert.

Ebenso wenig sollte man den durchschnittlichen Zeitbedarf für die Anmeldung sowie das Informations- und Beratungsgespräch auf 35 Minuten ansetzen und einen hohen Anteil des mittleren Dienstes für die Kostenschätzung berücksichtigen. Und das obwohl, der Hauptteil der Arbeit unzweifelhaft von Sozialarbeiterinnen oder auf vergleichbarem Ausbildungsniveau erledigt werden muss.

Sonst bleiben die Kommunen, die das Gesetz wirklich zum Schutz der Prostituierten durchführen, auch nach einer Evaluation auf den erhöhten Kosten sitzen.

Das wird auch durch Ihren Hinweis, dass Sie sich an der Kostenschätzung der Bundesregierung orientiert haben, nicht besser. Ich lese Ihnen dazu aus der Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vor.

„Der Bundesrat stellt fest, dass die Kosten, die mit dem Gesetzentwurf für die Haushalte der Länder und Kommunen verbunden sein werden, im Gesetzentwurf nur unzureichend spezifiziert und ausgewiesen sind. In der Berechnung des Erfüllungsaufwandes der Verwaltung sind beispielsweise die Mehrkosten für Widerspruchsverfahren oder für Übersetzungen und Sprachmittlung nicht enthalten.“

Ich frage mich, warum Sie, Herr Minister Lucha, dann bei der entscheidenden Sitzung des Bundesrates 23. September 2016 nicht der Ausschussempfehlung gefolgt sind. Dort gab es ja eine Ländermehrheit dafür, gerade aufgrund der nicht nachvollziehbaren Kostenschätzung den Vermittlungsausschuss anzurufen.

Sie haben mit dazu beigetragen, dass diese Mehrheit im Plenum des Deutschen Bundesrates nicht mehr zustande kam.

Jetzt könnte man ja positiv denken: Vielleicht wollten Sie das Inkrafttreten dieses wichtigen Gesetzes nicht weiter verzögern.

Dann muss man aber auch das Rückgrat zeigen und zu seinen Verpflichtungen stehen.

Nordrhein-Westfalen hat genau das getan und aus den von mir vorhin genannten Gründen die eigene Kostenfolgeschätzung gegenüber der der Bundesregierung um 50 % – ich wiederhole es: um 50 % – erhöht.

Wir werden entsprechende Änderungsanträge in die Ausschussberatungen einbringen.

Außerdem fordern wir, dass im Gegensatz zum uns jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wieder eine Regelung zur Gültigkeit der Anmeldebescheinigungen aufzunehmen. Nämlich so, wie sie im Anhörungsentwurf formuliert war. Oder sogar noch schärfer.

Durch die Bordellbetreiber organisierte Ortswechsel der Prostituierten führen auch dazu, dass Prostituierte fortlaufend aus ihren sozialen Bezügen vor Ort gerissen werden. Eine erneute Anmeldung macht ihnen deutlich, wo sie Hilfe erhalten können.

Ein Abdrängen der Prostituierten in die Illegalität befürchten wir dadurch nicht.

Ich glaube, ich muss anhand dieses Beispiels einmal erläutern, warum wir eher mehr als weniger verpflichtende Hilfsangebote für Prostituierte fordern.

Wir glauben nicht mehr an das Märchen von der selbstbestimmten Hure.

Für Frauen und speziell auch für kaum 18-jährige Mädchen ist das kein selbstgewählter Beruf – so wie die einen Krankenschwestern und die anderen Lehrerinnen werden.

Ich habe, seit ich ab 2011 Landtagsabgeordnete bin, viele Gespräche mit Mitarbeiterinnen der entsprechenden Beratungsstellen geführt. Und ich habe auch die Berichte der Kriminalpolizei gelesen, die im Übrigen etwas tiefgehender sind als die Antworten der Landesregierung auf meine Berichtsanträge.

Mein Bild von der Prostitution in Deutschland und speziell auch in Baden-Württemberg ist, dass nahezu alle Frauen nur unter physischem, psychischem oder auch großem finanziellen Druck und ohne Ausweg in der Prostitution arbeiten.

Das gilt ganz besonders für die 18-jährigen Mädchen, die den Freiern immer wieder neu als „frische Ware“ aus Rumänien oder Bulgarien in der Begleitung von Männern, denen ich lieber nicht begegnen würde, in den Bordellen vorgestellt werden.

Es sollte uns ein Zeichen sein, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach längeren Ermittlungen gerade erst in den letzten Tagen gegen den Betreiber sowie zwei weitere Verantwortliche einer hier sehr bekannten Bordellkette Anklage wegen des Verdachts der Beihilfe zum schweren Menschenhandel sowie der versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Förderung des Menschenhandels erhoben hat.

Das sind genau die Menschen, die uns in den TV-Talkshows und den Zeitungsinterviews immer das vorhin schon angesprochene Märchen erzählt haben.

Gehen Sie mal auf die Homepage des entsprechenden Etablissements. Das erste, was sie dort lesen, ist genau dieses Märchen: „Wir weisen darauf hin, dass alle anwesenden weiblichen Gäste ihre Dienste als selbständige Unternehmer anbieten. Jegliche Absprachen über die Art der Dienstleistung, die Höhe der Vergütung sowie die Bezahlung findet ausschließlich zwischen unseren Gästen statt.“

Ich habe ein anderes Bild von der Prostitution gewinnen müssen. Und deshalb halte ich es für besser, die jungen Frauen erhalten lieber einmal zu viel Informationen und Beratung insbesondere auch über Ausstiegswege aus der Prostitution als einmal zu wenig.

Und das in einer Sprache, die sie verstehen können – also für sehr viele mit Hilfe von Sprachmittlern.

Wenn Prostituierte dieses Angebot – aus welchen Gründen auch immer – nicht annehmen können, dann arbeiten sie vielleicht illegal.

Aber geht es ihnen dann wirklich schlechter als bei den Bordellbetreibern, die die Stuttgarter Staatsanwaltschaft im Blick hat?

Und wenn eine größere Zahl von Freiern sie noch findet, dann finden sie auch unsere Sozialarbeiterinnen. Da bin ich mir sicher.

Ich komme zu einem weiteren unheimlich wichtigem Punkt:

Mit dem neuen Prostituiertenschutzgesetz benötigt der Betreiber eines Prostitutionsgewerbes eine Erlaubnis von der zuständigen Behörde – also bei uns zukünftig der Stadtverwaltung bzw. des Landratsamtes.

Diese Erlaubnis soll ihm insbesondere versagt werden, wenn er dafür offenbar nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt.

Die allermeisten Informationen, die ein Kommunalbeamter dazu benötigt, sind aber in der Kommune zunächst nicht vorhanden.

Auf den Polizeicomputern aber schon.

Nach dem Bundesgesetz soll die zuständige Behörde dafür ein Führungszeugnis sowie eine „Stellungnahme der für den Wohnort zuständigen Behörde der Landespolizei, einer zentralen Polizeidienststelle oder des jeweiligen Landeskriminalamtes, ob und welche tatsächlichen Anhaltspunkte bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen können …“ einholen. Deshalb müssen zukünftig unsere Kommunen und die Polizei hier sehr eng zusammenarbeiten.

Hierbei steht jetzt eine Güterabwägung an: Es geht zum einen um den Schutz der Prostituierten vor etwa solchen Menschen, gegen die jetzt Anklage erhoben ist, – und zum anderen um den Schutz von Daten, die ich in unserem Rechtsstaat auch Bordellbetreibern zugestehen muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie ahnen schon in welche Richtung ich gern gehen möchte. Bei dieser Stellungnahme muss dem Schutz von vulnerablen Mädchen und jungen Frauen eine höhere Bedeutung zukommen als dem Schutz von Bordellbetreibern.

Leider hat mir die Landesregierung auf meinen entsprechenden Berichtantrag diese Priorität nicht bestätigt. Deshalb werde ich diese äußerst wichtige Frage in den Ausschussberatungen noch einmal zum Thema machen.

Zusammenfassend stelle ich fest:

Die Landesregierung – in diesem Fall federführend die Minister Lucha und Strobl –

  • nutzen nicht die Chancen, ein auf der Bundesebene durchaus nicht unumstrittenes Gesetz auf der Ebene unsere Bundeslandes zu erweitern und damit den Schutz der Prostituierten zu verbessern

und

  • sie haben es nicht fertig gebracht, mit den Kommunen, die hauptsächlich das Gesetz ausführen sollen – und im Übrigen auch wollen, eine faire Absprache über die Finanzierung der wirklich notwendigen Kosten zu treffen.

Das war kein Meisterstück!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns die gravierenden Mängel dieses Gesetzentwurfs gemeinsam in den Ausschussberatungen beheben.

+++Es gilt das gesprochene Wort+++

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik