Eigentlich, ja eigentlich gibt es dieser Tage etwas zu feiern: vor fünf Jahren wurde in Baden-Württemberg ein pädagogischer Reformstau aufgebrochen. Mit der Gemeinschaftsschule erlebte das Land einen Innovationsschub.  Die methodische Fokussierung auf individuelle Lerngeschwindigkeiten verbunden mit einem Verzicht, Eltern und Schüler zu zwingen, sich bereits im Alter von zehn Jahren für einen Abschluss entscheiden zu müssen.

Aber trotz der Erfolge in anderen Bundesländern wurde die GMS von konservativen Kräften in Baden-Württemberg von Anfang an massiv ideologisch bekämpft.

Mit dem Regierungswechsel verbanden einige die Hoffnung auf eine Art Burgfrieden mit Blick auf die GMS. Immerhin hatte die neue Kultusministerin als Schulbürgermeisterin selbst GMS eingerichtet.

Leider hat sich die Hoffnung auf einen Pragmatismus nicht erfüllt. Im Gegenteil, man fragt sich heute, was einem lieber ist: die offene Ablehnung – unangenehm, aber man weiß woran man ist. Oder die jetzt vorherrschende Politik der perfiden Nadelstiche.

Jüngstes Beispiel die Stuttgarter Zeitung vom 29. September: Frau Eisenmann verkündet pauschal, anhand der aktuellen Zahl der Fünftklässler könne man ablesen, dass die GMS an Zuspruch verliert.

Herzlichen Glückwunsch, möchte man laut rufen!

Kann es Sie denn verwundern, nachdem die Ministerin ohne Gegenwehr der Grünen  über ein Jahr lang Verunsicherung und Unterstellungen zugelassen, ja betrieben hat?

Es war Frau Eisenmann, die nicht widersprochen hat, als ihr Fraktionsvorsitzender die schlechten IQB-Test-Ergebnisse (Klasse 8) des Landes pauschal mit dem Hinweis auf die grün-roten Reformen begründet hat, obwohl wir alle in diesem Hause wissen, dass hier nur Schulen des alten schwarz-gelben Systems abgeprüft wurden. Im Klartext: die GMS wurde gar nicht geprüft! Aber trotzdem wurde  versucht, sie zum Sündenbock zu machen. Gleiche Schnellschüsse drohen mit Blick auf die neuen Ergebnisse der Viertklässler, obwohl nur ein Bruchteil der Grundschulen im Verbund mit einer GMS arbeitet. Dies muss ein Ende haben!

Und es ist auch Frau Eisenmann, die Entscheidungen trifft, die peu à peu eine Schlechterstellung der GMS bewirken: Ein paar Beispiele hierfür? Leider gerne!

Beispiel 1: Ungleichbehandlung der Lehrkräfte

Hauptschullehrkräfte an GMS, die sich für A 13 qualifizieren wollen, müssen im Vergleich zu den Lehrkräften an Realschulen mehr Module absolvieren, mehr Prüfungen ablegen und das größtenteils in ihrer Freizeit. Eine nicht fachlich zu begründende Benachteiligung.  Wer an eine GMS geht, wird bestraft. Lehrkräfte, die heran Kritik ihnen ggü. äußern, schlichtweg barsch abgebügelt werden, so geschehen auf der  Vororttour der Ministerin in der Kurpfalz. Und das ist nicht in Ordnung!

Wir wissen um die besondere Belastung der Gemeinschaftsschul-Lehrkräfte durch die besondere Individualisierung.

Sie brauchen Entlastung!

Wir fordern eine gleiche Behandlung der A13-Qualifikationen für Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen und Realschulen.

Beispiel 2: Gezielte Verunsicherung von Eltern und Schülern beim Übergang an berufliche Gymnasien

Schon im Februar haben wir mit einem Antrag die Landesregierung aufgefordert zu klären, in welches Kontingent die GMS-Schüler beim Zulassungsverfahren fallen. Der Hintergrund:  85% der Plätze sind für Realschüler reserviert, nur 15% für Übergänger vom Gymnasium.

Aber obwohl der Starterjahrgang der GMS schon im vergangenen Frühjahr für den Weg zur mittleren Reife oder Abitur entscheiden musste, kam von der Landesregierung keine Verlautbarung.

Verunsicherung ist die Folge und bleibt auch mit der Neuregelung. Alle mit 2 Fremdsprachen fallen nämlich in das gedeckelte Kontingent für das GYM, egal ob die GMS eine eigene Oberstufe hat oder nicht. Folge: Verunsicherung, wie es weiter geht.

Dies wird sich rumsprechen und Auswirkungen auf die Wahlentscheidung von Eltern und Schülern haben. Das ist kein Kollateralschaden, sondern Kalkül.

Mensch Grüne, sehr Ihr das nicht?

Die SPD fordert: der 15%-Deckel darf nur da greifen, wo es eine gymnasiale Oberstufe gibt!

Beispiel 3: Bewusste Mangelwirtschaft bei GYM-Lehrkräften

Gerne argumentiert die Ministerin mit der Gleichbehandlung aller Schularten, wenn es um eine Beschneidung der GMS geht. Beim Thema Zuweisung von dringend benötigten GYM-Lehrkräften an Gemeinschaftsschulen vergisst sie die Gleichbehandlung.

Seit unserer Anfrage wissen wird, dass über 900 Referendare gerne an GMS gehen würden, aber nur 180 wurden eingestellt.

Kein Wunder: zu Beginn des Schuljahres 2017 hat die grün-schwarze Landesregierung über 1000 Lehrerstellen gestrichen. Die Kultusministerin zieht sich lapidar hinter der Aussage zurück, es gebe sowieso nicht so viele Lehrkräfte für Neubesetzungen. Das ist hier keine Verlegenheitslüge, das ist bewusste Täuschung.

Wir fordern eine Einstellungsoffensive von Gymnasial-Lehrkräften – jetzt!

Beispiel 4: Verschleppung der Genehmigung von Oberstufen

  • 30b Schulgesetz regelt: für die Genehmigung einer gymnasialen Oberstufe muss in Klassenstufe 9 die Mindestschülerzahl von 60 für Klasse 11 langfristig prognostiziert werden können.

Seit letztem Jahr geht das Gerücht um, die Schule müsste auch stabil vierzügig sein. Wieder wurden Schulträger und Eltern verunsichert.

Schulen, die sich trotzdem auf den Weg machen, werden nicht etwa gefeiert. Erst letzte Woche wurde nach Konstanz auch in Tübingen eine Oberstufe genehmigt. Dem KM ist das keine Meldung wert stattdessen redet die Ministerin die GMS in Interviews schlecht.

Dass wohlwollende und unterstützende Worte ausbleiben, ist nicht das Ende vom Lied. Bewerbern, wie der erfolgreiche GMS in Wutöschingen, werden aktiv Steine in den Weg gelegt. Nachdem das vom KM beschriebene Verfahren dort ordnungsgemäß durchlaufen und alle Prognosekriterien erfüllt wurden, ändert die Ministerin die Spielregeln und die regionale Schulentwicklung wird wieder aufgerollt und ganz neue Vorgaben formuliert.

Offensichtliches Ziel: die positive Entwicklung der GMS nicht zu begleiten, sondern zu behindern. Die Folge: Frustration und Verunsicherung bei Schulgemeinschaft und Schulträger.

Das darf nicht sein! Wir fordern: das Verfahren für die Zulassung muss so transparent bleiben wie beschlossen! Genehmigen Sie die Oberstufe für die erfolgreiche Gemeinschaftsschule in Wutöschingen!

Kolleginnen und Kollegen, diese Fehlentwicklungen müssen ein Ende haben.

Ich fordere Sie auf: Würdigen Sie heute ausdrücklich das pädagogische Engagement und die Qualität der Arbeit der Kollegien an den GMS. Ansonsten kann ich nur hoffen, dass die Grünen endlich aktiv werden und der Ministerpräsident interveniert. Schimpfen Sie von mir aus auf Ihre Vorgänger. Wir werden uns zu wehren wissen. Aber hören Sie auf mit dieser Politik des Schlechtredens und der Verunsicherung. Sie demotivieren Kollegien, sie verunsichern Eltern und Kinder.

Sie wollen eine bessere Qualität im Bildungswesen, unabhängig von ideologischen Debatten und Strukturdiskussionen? Dann fangen Sie heute damit an!

Ich danke Ihnen.

+++Es gilt das gesprochene Wort+++

Ansprechpartner

Daniel Born
Stellvertretender Landtagspräsident

Dr. Stefan Fulst-Blei
Stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bildungspolitischer Sprecher

Lisa Rößner
Beraterin für Bildung, Jugend und Sport