Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

nach langen Monaten und vielen Ankündigungen hat die Landesregierung am 20. Juli diesen Jahres, somit weit mehr als ein Jahr nach Start der grün-schwarzen Landesregierung, ihre vermeintliche Digitalisierungsstrategie vorgestellt. Eine Digitalisierungsstrategie, die in dieser Hochglanzbroschüre dargestellt werden soll.

Passend ja bereits das Deckblatt. Ein älterer Herr berauscht sich offensichtlich an seinem virtuellen Erleben, während er in seinem Ohrensessel doch eher im Biedermeier wohnt.

Man kann sich durchaus vorstellen, dass der Ministerpräsident vor etwas mehr als zwei Jahren ähnlich verzückt von seiner Reise ins Silicon Valley zurückgekehrt ist. Und wenn man ihm seither zuhört, dann hat man ja mitunter den Eindruck, als ob die Digitalisierung erst mit seiner Rückkehr von dieser Reise nach Baden-Württemberg gekommen sei. Und wer hat sie nicht schon gehört die Reden des Ministerpräsidenten oder seines Stellvertreters, in denen ständig von diesen disruptiven Entwicklungen die Rede ist und an deren Ende man versichert bekommt, dass man doch ganz sicher nachdem man die erste Halbzeit ja verloren habe, die zweite Halbzeit gewinnen werde. Herr Ministerpräsident, weder mit diesen hohl klingenden Beschreibungen noch mit dieser Hochglanzbroschüre tragen sie irgendetwas zu einer wirklichen Strategie bei, die echte Antworten auf die Fragen der Menschen gibt.

Und diese Fragen stellen das Schicksal der Menschen in unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt. Etwa die Frage: Welche Folge haben denn die Prozesse von Digitalisierung und Globalisierung auf meinen konkreten Arbeitsplatz oder die Zukunftschancen meiner Kinder? Welchen Einfluss haben diese Veränderungen auf mein Mobilitätsverhalten? Kann ich mir zukünftig Mobilität oder auch eine angemessene gesundheitliche Versorgung noch leisten? Welche Veränderungen werden in unseren Städten und Gemeinden vor sich gehen? Was bedeuten diese Veränderung für das Zusammenleben der Menschen in unserer Gesellschaft und deren Kommunikation?

Eine echte Strategie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung, nimmt diese Themen in den Blick und in den Mittelpunkt und dies ganz besondere deshalb, weil ansonsten die großen Vereinfacher in der Politik kommen und die Ängste der Menschen ausnutzen und für sich politisch nutzbar machen. Es ist die Aufgabe der demokratischen Parteien den Menschen Antworten auf die Fragen zu geben, die sie umtreiben und die teilweise zu Ängsten und Sorgen führen.

Demgegenüber ist diese „Strategie“ nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Projekten, die teilweise bereits seit mehreren Jahren in den Fachministerien erarbeitet werden und teilweise bereits in Umsetzung begriffen sind. Eine echte Strategie wird aus dieser Aneinanderreihung von einzelnen Handlungsfeldern nur dann, wenn für die Menschen in diesem Land ein durchgehender roter Faden erkennbar wird.

Daran fehlt es und dies möchte ich Ihnen anhand einiger Beispiele darlegen:

Nehmen wir als erstes das Thema Mobilität der Zukunft. Deutlich mehr als die Hälfte der dort genannten Einzelmaßnahmen, wie z.B. die Einrichtung eines Testfeldes „autonomes Fahren Baden-Württemberg“ oder auch die Einrichtung einer Plattform für Verkehrsdaten unter dem Titel „Move BW“, stammen bereits von der Vorgängerregierung und werden nun unter der aktuellen Landesregierung fortgesetzt.

Dies ist ja grundsätzlich begrüßenswert, allerdings erscheint es doch so, dass die Landesregierung in ihrer Hochglanzbroschüre Kreativität vorgaukelt, während sie vorgeblich neue Themen verkaufen möchte, die bereits seit einigen Jahren in Arbeit und in den Fachministerien in Entwicklung sind. Und auch hier gilt: ein bloßes Aneinanderreihen von Einzelprojekten bzw. Pilotprojekten ergibt noch keine konsistente Mobilitätstrategie.

Vergleichbar stellt sich die Situation auch in den Kapitel „digitale Gesundheitsanwendungen“ und „digitale Kommunen“ dar. Der vermeintlich innovative Einsatz von neuen technischen Möglichkeiten im Bereich des Gesundheitssektors enthält lediglich eine Wiedergabe von sechs Maßnahmen, die bereits unter der früheren Sozialministerin Katrin Altpeter entwickelt wurden. Lediglich eine der in der Digitalisierungsstrategie genannten Maßnahmen kann für sich in Anspruch nehmen, Neuigkeitswert zu haben.

Vergleichbar ist dies auch im Kapitel über die Zukunft von Kommunen und Verwaltung. Die Entwicklung und Umsetzung der sogenannten elektronischen Akte sowohl in der Verwaltung als auch in der Justiz oder auch eine digitale Steuerverwaltung sind längst auf dem Weg und daher kein Ausdruck großer Kreativität der grün-schwarzen Landesregierung.

Besonders schwerwiegend ist jedoch ist die Ideenlosigkeit der Regierung im wichtigsten aller Themen, nämlich beim Thema Bildung.

Der zuständige Minister, Herr Strobl, hat in seiner Regierungserklärung zu diesem Thema lediglich die technische Ausstattung der Schulen angesprochen. Er meint, dies mit dem besonders eindrücklichen Satz beschreiben zu müssen, dass „die Kreidezeit an unseren Schulen ein Ende haben müsse“.

Herr Strobl, viele unseren Schulen setzen schon heute modernste technische Möglichkeiten und neue Medien ein. Dies haben wir insbesondere unseren Kommunen zu verdanken, die in diesem Bereich schon in den vergangenen Jahren erhebliche Mittel investiert haben. Dass es hier nicht wirklich zu einer Investitionsoffensive kommt, ist auch die Schuld des Landes und der Bundesbildungsministerin. Frau Wanka hatte vollmundig 5 Mrd. € für die technische Ausstattung der Schulen im Zuge der Digitalisierung versprochen. Nur leider hat sich herausgestellt, dass Frau Wanka sich diesen Betrag nicht von Herrn Schäuble, dem obersten Kassenwart des Landes, hat genehmigen lassen. Es ist ein unerträglicher Zustand, dass aufgrund dieses Pokers zwischen dem Bund und den Ländern die technische Ausstattung unsere Schulen nicht in dem Tempo ausgebaut wird, wie dies notwendig und wünschenswert wäre.

Aber gerade im Bereich der Bildung und unserer Schulen gilt doch im besonderen Maße, dass die technische Ausstattung die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung ist. Ohne die Menschen werden sie dieses Großprojekt nicht stemmen können. Aus diesem Grunde müssen wir, und dies ist für uns Sozialdemokraten besonders wichtig, die Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen. Was ist für unserer Schülerinnen und Schüler der richtige Lerninhalt und welches sind die richtigen Techniken, die sie erlernen müssen, um später erfolgreich im Berufsleben bestehen zu können?

Und hier ist es geradezu ein Skandal, wenn sie in ihrer Regierungserklärung verkünden, dass zukünftig ein Aufbaukurs Informatik in Klasse 7 für alle Schülerinnen und Schüler in allen Schularten angeboten werden soll.

Wir waren es in der grün-roten Landesregierung, die im neuen Bildungsplan einen Grundkurs Medienbildung für alle Schülerinnen und Schüler in Klasse 5 festgeschrieben haben. Darüber hinaus wurde die Medienbildung als Leitperspektive über alle Alters- und Klassenstufen hinweg in den Bildungsplan aufgenommen. Weiterhin hatten wir entschieden, dass ab dem Schuljahr 2017/18 Informatik als Pflichtfach an allen Schularten starten sollte. Es war ihre Kultusministerin Eisenmann, die im vergangenen Jahr aus Kostengründen verkündet hatte, dass der im Bildungsplan festgeschriebene Start eines Aufbaukurses Informatik lediglich an den Gymnasien stattfinden sollte, während alle anderen Schularten noch ein Jahr auf dieses Angebot warten müssen. Sie haben also eine bereits getroffene Entscheidung der Vorgängerregierung revidiert und zwar wegen eines Kostenaufwandes für 90 Deputate, in Zahlen sind dies etwa vier Millionen Euro. Wollen sie ernsthaft behaupten, dass ihr Handeln ein Nachweis für vorausschauende Bildungspolitik oder gar eine glaubhafte Digitalisierungsstrategie ist?

Ein weiteres wichtiges Element von digitaler Bildung ist darüber hinaus die Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Ihre Aussagen hierzu in der Regierungserklärung und in der Hochglanzbroschüre sind, vorsichtig gesagt, eher unterkomplex. Es muss doch jedem klar sein, dass eine erfolgreiche Medienbildung nur dann möglich ist, wenn alle Lehrkräfte in der Lage sind, diese Lerninhalte auch aufgrund eigener Kompetenzen zu vermitteln. Eine echte Fortbildungsstrategie im Bereich der Digitalisierung ist hier jedoch nicht zu erkennen.

Ich möchte allerdings im Folgenden den Bildungsbergriff noch etwas weiter fassen. Sie gehen in der Regierungserklärung und auch in ihren Papieren ausführlich auf die wirtschaftliche Dimension der Digitalisierung ein. Dies ist grundsätzlich auch richtig, weil gerade in diesem Bereich das höchste Entwicklungstempo zu verzeichnen ist. Hier müssen die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, insbesondere auch was die öffentlich zu regelnden Angelegenheiten, zum Beispiel das Thema Datensicherheit, angeht.

Allerdings kommt bei Ihnen auch hier wieder die Dimension des Menschen deutlich zu kurz. Wenn Menschen im Bereich der Wirtschaft heute mit den Begriffen Globalisierung und Digitalisierung konfrontiert werden, dann sehr oft im Kontext der Angst um den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes. Wenn wir hier als politisch Verantwortliche nicht Antworten auf die berechtigten Fragen der Beschäftigen geben können, dann passiert das, was wir am vergangenen Sonntag erleben mussten. Die politischen Extreme werden gestärkt, die von der Angst der Menschen leben und diese in unverantwortlicherer Weise befeuern. Es ist unsere Verantwortung, den Beschäftigten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land, die Sicherheit zu geben, dass sie auch zukünftig in der Lage sind, die Anforderungen in ihrem Beruf bewältigen zu können. Hierzu benötigen wir Impulse von Bund und Land und insbesondere auch vom Land Baden-Württemberg, um diesen Transformationsprozess nicht von Massenarbeitslosigkeit begleiten zu lassen, sondern sinnvolle Strategie zur Transformation zu entwickeln.

Im Kern wird es dabei um Fragen der Qualifizierung der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen. Wir als SPD-Fraktion haben bereits im vergangenen Jahr die Einrichtung eines Weiterbildungfonds angeregt, da wir sicher sind, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen Unterstützung und Anreize brauchen, um gemeinsam mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diesen Transformationsprozess erfolgreich zu gestalten.

Von all diesen Notwendigkeiten hören wir von dieser Landesregierung nichts.

Es ist Aufgabe einer verantwortlichen Politik, die berechtigten Ängste und Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und nicht lediglich in Sonntagsreden über zweite Halbzeiten und disruptive Prozesse zu philosophieren.

+++Es gilt das gesprochene Wort+++

Ansprechpartner

Geßmann Fraktion
Simone Geßmann
Beraterin für Recht, Verfassung, Medienpolitik

Jonas Hoffmann
Sprecher für digitales Leben und Digitalisierung